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Ost bleibt Ost, West bleibt West

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Protokoll einer Diskussion während des Musikmagazins „taktlos"
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„Kommt ein Ossi zum Wessi und sagt: „Wir sind ein Volk." Sagt der Wessi: „Wir auch." Ost bleibt Ost, West bleibt West war das Thema einer Live-Diskussion auf Bayern2Radio, zu der Theo Geißler am 3. September 1999 den Musikabteilungsleiter des Mitteldeutschen Rundfunks, Steffen Lieberwirth, den Komponisten Thilo Medek, den Komponisten und Verleger Thomas Heyn, den Liedermacher und Autor Steffen Mohr sowie den Schweizer Musikjournalisten Max Nyffeler einlud. Die Diskutanten stürzten sich in eine lebendige, launige Themenrunde und bezogen Standpunkte. Eines lernten die Zuhörer dabei mit Sicherheit: Humor ist, wenn man trotzdem lacht und an Humor fehlte es Theo Geißlers Gästen wahrhaftig nicht. Letztendlich läuft es doch darauf hinaus, dass wir alle – bei aller Verschiedenheit zwischen Ossis und Wessis – aus dem selben Ei geschlüpft sind. Oder etwa doch nicht? taktlos (Foto: Martin Hufner) Max Nyffeler, Steffen Lieberwirth, Thomas Heyn, Tilo Medek Theo Geißler: Haben die Ossis einen anderen Musikgeschmack als wir hier im Westen, habt ihr zum Beispiel andere Sendeinhalte? Steffen Lieberwirth: In der Musik gibt es keine anderen Auffassungen. Aber wir hatten natürlich andere Traditionen, andere Interpreten. Als wir angefangen haben, das Radio im vereinten Deutschland zu machen, hatten wir auch eine andere Ausgangsbasis. Wir hatten nur die Aufnahmen aus der DDR-Zeit, CDs gab es so gut wie gar nicht. Natürlich existierte eine ganz andere Szene, eine ganz andere musikalische Landschaft. Geißler: Das heißt, das ist so regional bedingt wie sich der Bayerische Rundfunk vom NDR oder WDR unterscheidet? Lieberwirth: Ja. Ich betrachte es auch heute noch – wir sind eine Dreiländeranstalt für die Länder Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt – als Aufgabe, die Musiklandschaft unserer Regionen zu pflegen. Geißler: Der Komponist Thilo Medek hat schon 1977 die DDR verlassen. Sind sie ein Republikflüchtling? Tilo Medek: Nein. Ich hatte als wohl einziger Komponist die Biermann-Resolution unterschrieben und alle, die sich dafür nicht entschuldigten, wurden gebeten die DDR zu verlassen. Es war für mich sehr wichtig in der DDR zu leben, weil Unruheleute dort leben sollten, wo Unruhe nicht üblich ist. Insofern hatte ich nicht die Absicht die DDR zu verlassen. Geißler: Sie beobachten ja beide Szenen, hatten Sie den Eindruck, dass sich da in den letzten zehn Jahren etwas Unterschiedliches entwickelt? Medek: Ich stelle eine Entwicklung fest, die zur Harmonisierung führt. Es macht natürlich mehr Spaß, über die Schwierigkeiten der Wiedervereinigung zu sprechen als über die Schönheiten. Zum Beispiel sind junge Menschen, die heute im wiedervereinigten Deutschland studieren können sehr glücklich darüber. Geißler: War das früher in der alten DDR schlechter? Medek: Ja, natürlich. Die Wettbewerbsmöglichkeiten waren beschränkt, die Lehrer waren... auch beschränkt, das hat sich ja alles geöffnet. Geißler: Thomas Heyn hat vor zehn Jahren den „Verlag für Neue Musik" sehr günstig gekauft. Kann man Sie als Wendeprofiteur bezeichnen? Heyn: Ich lebte bis zur Wende in Leipzig und hatte bis dato keine Minute Telefon in meinem Leben. Ich konnte nicht abgehört werden und war ein vollkommen unbeschriebenes Blatt. Da kam im Rahmen aller möglichen Umstrukturierungen dieses Angebot, den Verlag zu übernehmen. Geißler: Die Entscheidung fiel rein subjektiv, überhaupt nicht beeinflusst durch irgendetwas, das ringsum war? Heyn: Es war die Möglichkeit einen Beruf zu ergreifen, den ich seit 30 Jahren ergreifen wollte. Geißler: Steffen Mohr, in der DDR gab es eine kritische Liedermacherszene und die geriet naturgemäß in Konflikt mit den Staatsorganen. Steffen Mohr: Was die Musik betraf, da spaltete sich der Liedergeschmack und die Liederinhalte. Die Liedermacherszene selbst war sehr aufmüpfig schon bevor die Demos in Leipzig begannen. Ich selbst hatte verständlicherweise mehr auf kabarettistischem Gebiet Auftrittsverbote, als auf musikalischem. Geißler: Max Nyffeler hatte schon immer einen scharfen Blick auf die deutsche Szene. Hat sich in den letzten zehn Jahren in den neuen Bundesländern doch etwas anderes entwickelt als im Westen? Nyffeler: Es gibt da immer noch etwas das anders ist, aber ich hoffe das löst sich langsam auf. Sie interessiert mich nämlich nicht, diese Ostbefindlichkeit genauso wenig wie mich die Westbefindlichkeit interessiert. Diese Nabelschau macht eine bestimmte Provinzialität des deutschen Denkens aus. Die Deutschen sollten sich wieder einmal öffnen. Heute ist leider eine Tendenz zum Gegenteil da, deswegen unterstütze ich diesen Diskurs nicht. Geißler: Ich stimme unserem Schweizer Schiedsrichter überhaupt nicht zu und will doch noch ein bisschen in den Gräben rumwühlen, die Ost und West vielleicht trennen und sehen woher sie kommen. Steffen Lieberwirth, du hast den Übergang vom Ostfunk zum Westfunk erlebt. Lieberwirth: Da gab es viel größere Gräben als zwischen Ost und West und zwar zwischen Berlin und dem Rest der Ostzone. Gesendet wurde aus Berlin mit einer Ausnahme: dem Zweiten Großen DDR-Funkhaus in Leipzig. Dort gab es einen Regionalsender für Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt und nun ging es darum, unabhängig von Berlin ein Programm für diese Länder zu gestalten. Das war im Jahre 1990 und es war im Prinzip ein Piratenakt. Für das Land Sachsen wurden nämlich einfach von der Post die Frequenzen der Sendemasten von Berlin abgeschnitten und Leipzig sendete dann selbst mit einem eigenen Programm. Das haben wir ungefähr anderthalb Jahre gemacht. Es waren einfach Zeiten der Großen Wirrnis. Wir haben weitergesendet – und da bin ich heute sehr, sehr stolz drauf – bis zum nahtlosen Übergang zum Mitteldeutschen Rundfunk, also zur ARD-Anstalt selbst. Aber das spannendste in dieser Situation war eigentlich, wie der DDR-Rundfunk gearbeitet hat. Ich erinnere mich, dass wir im Keller des Funkhauses einen riesengroßen Tresor wuss-ten, den wir mit Hilfe des Schlossers geöffnet haben und da fanden sich interessante Bänder. Das war der sogenannte Giftschrank und da wurde im Auftrag der Partei alles reingestellt, das politisch nicht „sauber" war, das heißt, Werke von Komponisten wie Herrn Medek oder von Interpreten, die das Land verlassen hatten oder verlassen mussten. Geißler: Könnten die Divergenzen zwischen Ost und West, die Max Nyffeler provinziell nennt, daraus resultieren, dass die westliche Entwicklungshilfe ein bisschen hektisch war und kann es nicht an der intensiven Entwicklungshilfe liegen, dass man sich in den neuen Bundesländern bevormundet fühlt? Heyn: Ich denke, Nabelschau ist ein treffender Ausdruck. Aber natürlich, dieses Westdenken: das kostet alles viel zuviel und dieses Ostdenken: wir sind die schlechten Verwandten, das ist stabil. Geißler: Hatte denn die gewachsene DDR-Kultur überhaupt eine Überlebensberechtigung nach allem was passiert war? Lieberwirth: Da muss man schon differenzieren. Natürlich gab es eine DDR-Kultur, die würde ich nie im Radio senden. Das waren eben Aufputschlieder. Es hat aber genauso tolle Liederabende gegeben mit Peter Schreyer oder Theo Adam, das hat natürlich seine Daseinsberechtigung. Geißler: Es gibt im Moment eine Art Ostalgie. Ist das nicht blanker Kitsch? Heyn: Kitsch ist es manchmal. Auf jeden Fall ist es Trotz. Ich glaube an all diesen Ost-West-Quatsch einfach nicht. Für mich sind die mentalen Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland mindestens genauso groß, wie die zwischen Ost und West. Die werden nur nicht thematisiert. Geißler: Ich möchte unsere Gäste noch mit dem kleinen Satz konfrontieren: Die BRD war schlauer, das Geld ist jetzt die Mauer. Mohr: Nicht nur das Geld ist die Mauer. Es sind neue Mauern durch neue Strukturen entstanden, mit denen die einen überhaupt nicht und die anderen so erschreckend spielend umgehen können. Medek: Es gibt Schwierigkeiten, die nicht nur im Geld wurzeln. Die Kunst muss einfallsreich sein und wenn das Geld regiert, muss man sehen, wie man die Härte dieser Mauer durchstößt. Die jugendliche Generation kommt mit dem heutigen Zustand besser zu Rande als die ältere. Heyn: Die Reichen fressen nicht die Armen, sondern die Schnellen fressen die Langsamen und diese Geschwindigkeit ist das, was wir als West-Ost-Problem ein bisschen vereinfacht dargestellt haben. Das Westsystem war schneller im Sinne der Entwicklung. Lieberwirth: Wir sind dabei zu normalisieren, ich sehe darin auch eine ganz große Chance. Es kommt zu neuen Ideen, man wird innovativ, es entstehen neue Partnerschaften, man versucht aus der Situation wirklich das Beste zu machen und wir können eine ganze Menge lernen, indem wir uns anderen Ländern öffnen. Nyffeler: Die Mentalitätsunterschiede kann man nicht wegdiskutieren. Man muss andere Lösungen suchen. Das scheint mir wie zwei Eierschalen zu sein, die müssen endlich abfallen, dass man auch künstlerisch auf neue Ideen kommt. Man ist mit neuen Problemen konfrontiert, das Musikleben verändert sich, darauf muss ein Komponist heute reagieren und nicht auf irgendwelche zurückliegenden Traumata. Das schwingt natürlich immer mit. Aber man muss nach vorne schauen und nicht immer zurück. Geißler: Wir freuen uns über die Küken, die aus den Ost-West-Eierschalen rauslaufen und hoffen, dass sie nicht in der Legebatterie landen.

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