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Graz 2003: Internationale Pressestimmen +++ Heftige Kritik an Jörg Haiders Kulturpolitik
Graz 2003: Internationale Pressestimmen
orf - Auch international sorgte das Eröffnungswochenende der Kulturhauptstadt Europas, Graz 2003 für Aufsehen. Die Berichte widmeten sich dem Gesamtprogramm, der Uraufführung von Beat Furrers Musiktheater "Begehren", der Premiere von Henning Mankells Stück "Butterfly Blues" und den Architekturprojekten. Im folgenden Zitate aus den heutigen Ausgaben von "taz", der "Frankfurter Rundschau", der "Süddeutschen Zeitung", der "Neuen Zürcher Zeitung", der "Welt" und dem "Tagesspiegel".
Über die im TV übertragene Eröffnungsgala schreibt die "taz", auf eine dort getätigte Aussage Nikolaus Harnoncourts Bezug nehmend ("Graz ist keine sehr bekannte Stadt"): "Denn die Eröffnungsgala beleuchtete nur die Höhepunkte des Programms und deren prominente, meist nichtgrazerische Entwickler. Graz selbst hingegen blieb im Hintergrund. Da man aber nicht über seine Unbekanntheit hinwegtäuschen kann, wirkte es so, als wollte sich Graz hinter dem eigenen Kulturhauptstadtprogramm verstecken".
Eine Kritik zu Beat Furrers Musiktheater "Begehren" findet sich in der Frankfurter Rundschau: "Die szenische Uraufführung mobilisierte ein ebenso aufgeschlossenes wie aufgekratztes Honoratiorenpublikum, dem keinerlei Berührungsangst mit neuester Musik anzumerken war....In der optimalen Helmut-List-Akustik gelangen auch dem dirigierenden Beat Furrer und den 15 Instrumentalisten des Ensemble Recherche eine in leisesten Abtönungen sublim exzellierende Musikwiedergabe".
Auch das theatrale Auftragswerk für Graz 2003, Henning Mankells "Butterfly Blues", wurde ausführlich beurteilt, etwa in der "Süddeutschen": "Mankell stürmt die Festung Europa auf Schmetterlingsflügeln. Solange Menschen hoffen, ist Schönheit für ihn nicht verloren und offenbart humane Substanz - sogar im Zustand ihrer Unkenntlichkeit. Das ist eine Haltung, die sich dem Vorwurf aussetzt, naiv zu sein. Aber sie hat vielleicht mehr Kraft als die treffende Gesellschaftsanalyse, die sich nicht anzuwenden weiß."
Dazu schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ): "Mit Musik aus seiner Wahlheimat Mocambique und in fünf Sprachen macht Mankell einen der größten Konflikte der Gegenwart zum Soff seiner Inszenierung am Grazer Schauspielhaus. Tiefer als in die Klischees, die sich der eine Kontinent vom anderen schafft, lotet er allerdings kaum. Henning Mankell hat Recht mit seiner Anklage. Er hat so sehr Recht, dass sich die ehrliche Sozialkritik auch schon mit der gut gemeinten, aber im Allgemeinen eher mittellosen Ästhetik von Schülertheatern begnügt."
"Als eine der wichtigsten Attraktionen" lobt die NZZ Vito Acconcis Mur-Insel. "Als Partybühne wird die (temporäre) Insel ihren Zweck nicht verfehlen, architektonisch allerdings wird sie an das neue Kunsthaus von Peter Cook und Colin Fournier kaum heranreichen. An der blauen Blase, am Grazer Organ lebendiger Kunst, das in unmittelbarer Nachbarschaft entsteht, wird noch gearbeitet. Erst im September soll der wichtigste Bau von Graz 2003 fertig sein."
Ähnlich der "Tagesspiegel": "Das spektakulärste unter den bleibenden Projekten entsteht jedoch am linken Mur-Ufer, das gegenüber dem "schönen" Renaissance- und Barockzentrum als die ärmliche, "schiache" Seite der Stadt gilt. Dort schweißen Arbeiter gerade das Stahlskelett für den "Friendly Alien" zusammen. Mit bläulichem Acrylglas überzogen, soll das neue Kunsthaus von September an als wolkenförmige Blase über der Straße schweben".
Im Gegensatz dazu schreibt die Welt: "Aber muß die moderne unbedingt in Gestalt einer nassforschen Architektur-Avantgarde in die Altstadt poltern? Es ist ja schön, wenn neue Gebäude für "Gesprächsstoff" sorgen, wie es in den Werbebroschüren heißt. Sie bleiben in der Regel jedoch auch lange stehen. Das mag bei der Insel in der Mur des New Yorkers Vito Acconci nicht weiter stören, auch wenn man sich fragt, warum es ein urbanistisches Muss sein soll, dass sich die Stadt dem Lebensraum Wasser öffnet. Der Fertigstellung des neuen Kunsthauses am Flussufer, eines riesigen, von einer Kunststoffhaut umschlossenen futuristischen Eis von Peter Cook und Colin Fournier, schaut man mit Bangen entgegen. Damit legt sich die Stadt auf ihre alten Tage an einer ihrer schönsten Stellen eine dicke Herpes-Blase zu."
Fast euphorisch hat der steirische Kulturlandesrat Gerhard Hirschmann (VP) auf das vergangene Eröffnungswochenende von "Graz - Kulturstadt Europas" reagiert: "In den ersten Tagen" so Hirschmann, sei schon aufgegangen, was sich die "Väter" dieser Idee vor rund zehn Jahren dabei gedacht hätten. Ausdrückliches Lob gab es für 03-Intendanten Wolfgang Lorenz und sein Team. Graz könne es, so viel ist für Hirschmann jetzt schon sicher, "mit jeder Kulturhauptstadt in der Vergangenheit aufnehmen und da waren bekanntlich Städte wie Paris und Athen dabei".
Heftige Kritik an Jörg Haiders Kulturpolitik
orf - Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (F) sieht sich immer heftiger Kritik an seiner Kulturpolitik ausgesetzt. Die Grünen haben am Montag seinen Rücktritt aus dieser Funktion gefordert. SPÖ und ÖVP erklärten am selben Tag, sie würden nach der nächsten Landtagswahl den Anspruch auf dieses Referat erheben. In einem sind sich alle drei Parteien einig: Seit Haider Kulturreferent ist, herrsche im Lande "kultureller Stillstand".
Seit drei Jahren gebe es seitens des Kulturreferenten große Ankündigungen, doch passieren würde nichts, kritisierte SP-Vorsitzender LHStv. Ambrozy bei einem Pressegespräch in Klagenfurt. "Es ist Haider nicht einmal gelungen, in dieser Zeit das Kulturamt ordentlich zu besetzen." Die von Haider eingesetzte interimistische Kulturamtsleiterin Erika Napetschnig sei nur dazu da, um "personell aufzuräumen". Die jüngst erfolgte Demontage des Leiters der Landesgalerie, Arnulf Rohsmann, sei ein deutliches Beispiel. Die SPÖ werde daher in Regierung und Landtag einen Bericht über die Vorgänge um die Landesgalerie anfordern und eine Rücknahme der getroffenen Maßnahmen einfordern.
"Desaströs" sei die Bilanz der Seebühne, sagte Ambrozy. Es gebe kein Konzept. Mitte Jänner sei noch nicht einmal entschieden, was heuer auf der Seebühne gespielt werden solle. Von der Produktion des Vorjahres, "Falco meets Amadeus", liege noch keine Abrechnung vor. Ambrozy: "Wir wissen also noch nicht einmal, was uns die Sache eingebracht hat, außer Verrissen in allen europäischen Zeitungen". Haider habe den politischen Konsens darüber, auf dieser Bühne, für die immerhin mehr als fünf Millionen Euro investiert wurden, in Kärnten erarbeitete Produktionen zu spielen, ignoriert und lieber schlechte Produktionen von anderswo geholt. Das sei ein falscher Weg, der dem Land nichts bringe.
VP-Obmann Georg Wurmitzer kritisierte, dass Kärnten in jeder Beziehung kulturelles Schlusslicht sei. Lediglich 1,45 Prozent des gesamten Kulturbudgets der Republik würden wahrgenommen werden und 1,4 Konzert- und Theaterveranstaltungen auf 10.000 Einwohner stattfinden. "Es herrscht ein Zustand der Windstille", sagte Wurmitzer bei einem Pressegespräch in Klagenfurt. VP-Kultursprecher Abg. August Eberhard erwähnte in diesem Zusammenhang die Seebühne, das Gironcoli-Museum in Bad Bleiberg und die in der Landesgalerie geplante Ausstellung "Klassische Moderne in Kärnten".
Die Grünen werfen Haider eine "verfehlte Kulturpolitik" vor. Kulturförderung käme in Kärnten in immer größerem Ausmaß Vereinen zugute, welche das traditionelle Kulturgut pflegen. Landessprecher Friedrich Zirgoi fordert deshalb den Rücktritt des Landeshauptmannes als Kulturreferent.
Haider selbst weilt derzeit auf Urlaub. FP-Kultursprecher Johann A. Gallo wirft Wurmitzer vor, mit der von der ÖVP initiierten Musikveranstaltung "Trigonale" (15. Juni bis 16. Juli 2003 in St. Veit/Glan, Maria Saal und St. Georgen/Längsee) "in fremden Gewässern zu fischen" und spricht von "musikverbrämten Schatten der Gemeinderatswahl" (diese findet am 9. März statt).