Mit dem Kulturellen Ehrenpreis würdigt München jedes Jahr eine in der Stadt lebende Persönlichkeit mit internationaler Ausstrahlung. Dieses Jahr ging der Preis an Julia Fischer. Geboren 1983 in München, erhielt sie im Alter von vier Jahren ersten Unterricht auf der Geige, wenig später auch am Klavier. Im Alter von acht Jahren gab sie ihr erstes Violinkonzert mit Orchesterbegleitung. 2011 wurde sie auf eine Professur an der Hochschule für Musik und Theater München berufen. Mit ihrer Familie lebt sie in Gauting.
Wäre der Kulturelle Ehrenpreis der Landeshauptstadt München eine Veranstaltung des Freistaats, dann hätte im Wahljahr sogar der hochkulturell eher desinteressierte Markus Söder höchstpersönlich den Kulturstaat Bayern gepriesen. Im Fall einer bundespolitischen Verhinderung wäre die Landtagspräsidentin erschienen. Und der Kunstminister hätte selbstverständlich eine Lobrede auf den von der Liberalitas bavarica ausgehenden Geldregen angestimmt.
Nachlässige Ehrung
Aber der Kulturelle Ehrenpreis ist ein städtischer Preis. Mit ihm wurde Anfang Mai im Münchener Alten Rathaus die Geigerin Julia Fischer geehrt. Bei dieser höchsten kulturellen Würdigung der Landeshauptstadt fehlte der einladende Oberbürgermeister. Grund: die üblichen kurzfristigen Terminschwierigkeiten. Die Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden und die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl ließen sich wegen einer Reise in die Partnerstadt Be’er Sheva entschuldigen. Die für Dieter Reiter nicht gerade überbegeistert einspringende Stadträtin Evelyne Menges brachte in ihrer Rede immerhin selbstkritisch unter, dass die Ehrung bisher selten an Frauen und noch seltener an jüngere Menschen vergeben wurde. Dann trug Kulturreferent Anton Biebl ohne ein persönliches Wort die Begründung der Jury vor. Die bescheidene Preisträgerin ließ sich nichts anmerken. Julia Fischer freute sich über die Laudatio ihres Entdeckers Heinrich Klug, bei dessen philharmonischen Kinderkonzerten ihre Weltkarriere früh mit dem „Winter“ aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ begonnen hatte. Dafür habe sie ihr erstes Honorar bekommen. Sehr großväterlich wurde es, als Klug der Mutter der Preisträgerin symbolisch einen Diamanten überreichte.
Die Geigerin braucht München für ihre Weltkarriere nicht wirklich. Trotzdem fühlt sie sich ihrer Heimatstadt verbunden – trotz des eher rauen Herzens der Stadtspitze. Die sollte gelegentlich wieder einmal ihre eigene Selbstdarstellung zur Kenntnis nehmen: Der Kulturelle Ehrenpreis soll schließlich „höchste Wertschätzung“ symbolisieren. Robert Braunmüller sprach im Vorfeld der Preisverleihung mit der Geigerin.
Künstlerin, geerdet
Robert Braunmüller: Frau Fischer, der Kulturelle Ehrenpreis ist eine Art Lebenswerk-Preis. Fühlen Sie sich in Ihrem jungen Alter damit nicht unwohl?
Julia Fischer: Nein, darüber denke ich nicht nach. Ich verstehe die Ehrung nicht als Beendigung eines Lebenswerks, sondern als Ansporn.
Braunmüller: Was verbindet Sie mit München?
Fischer: Ich bin hier geboren, aufgewachsen und lebe hier mit meiner Familie. Ich habe auch nie in einer anderen Stadt gewohnt. Außerdem unterrichte ich an der Hochschule für Musik und Theater. München ist Zentrum meines Lebens und meiner Arbeit. Heimatverbundenheit spielt für mich eine große Rolle. Ich versuche, so wenig wie möglich zu reisen, und daher ist es mir auch wichtig, hier in München zu spielen und zu wirken.
Braunmüller: Was hält Sie vom Reisen ab?
Fischer: Ich mache mir Gedanken über den Klimawandel und halte es nicht für vernünftig, vier- oder fünfmal im Jahr nach Asien zu jetten. Als reisender Künstler sollte man eine Balance finden. Denn andererseits halte ich den kulturellen Austausch für wichtig.
Braunmüller: Wie lösen Sie das Problem?
Fischer: Indem ich nicht fünfmal im Jahr fliege, sondern einmal. Und wenn man fliegt, sollte man die Reise auch gut ausnutzen. Das betrifft nicht nur Interkontinentalflüge, sondern auch Auftritte im Inland. Ich hatte vor einigen Jahren eine Tournee, bei der ich innerhalb kürzester Zeit fünfmal durch Deutschland geflogen bin. Ich habe meine Agentur darauf aufmerksam gemacht, dass mich so etwas stört.
Tatsächlich wurde die nächste Tournee anders geplant: zehn Konzerte ohne Flugzeug. Das lässt sich so organisieren, dass ich mich am Morgen selbst im Spiegel anschauen kann und nicht darüber nachdenken muss, wie viele Tonnen CO2 ich in die Luft geblasen habe.
Braunmüller: Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Behalten Sie das Geld für sich?
Fischer: Das Preisgeld geht zu 100 Prozent an meinen Verein, die Kindersinfoniker. Dabei geht es nicht nur um das Orchester, sondern auch um die von dem Verein veranstalteten Musikferien am Starnberger See. Das sind Aktivitäten, die sich nicht selbst tragen und die ich am Laufen halten möchte.
Fischers Kindersinfoniker
Braunmüller: Warum sind die Kindersinfoniker für Sie so wichtig?
Fischer: Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, ein Musikinstrument zu lernen und mit Musik in Berührung zu kommen. Generell beobachte ich, wahrscheinlich verstärkt durch die Corona-Zeit, bei Kindern eine Zunahme von Passivität. Ich habe nichts gegen Digitalisierung und iPad-Klassen, aber wir sitzen zu viel vor Bildschirmen. Das Schöne an einem Musikinstrument ist: Das kann man nicht passiv lernen.
Braunmüller: Geht es Ihnen auch um künstlerischen Nachwuchs?
Fischer: Manche dieser Kinder werden vielleicht Berufsmusiker, aber das ist für mich zweitrangig. Ich möchte, dass sie das Erlebnis haben, gemeinsam zu musizieren und Leute kennenzulernen.
Braunmüller: Johannes X. Schachtner, dessen Violinkonzert Sie kürzlich uraufgeführt haben, ist neben Ihnen und Henri Bonamy einer der künstlerischen Leiter der Kindersinfoniker. Wie lange kennen Sie ihn schon?
Fischer: Ich kann mich an keine Zeit erinnern, als ich ihn nicht kannte. Im Alter von 16 Jahren habe ich das Violinkonzert von Alban Berg einstudiert. Ich fand keinen Zugang zur Musik und habe ihm davon erzählt. Er war damals 14 und erklärte mir, dass es für ihn das großartigste Violinkonzert überhaupt sei.
Braunmüller: Hat er Sie beim Komponieren seines Konzerts um Rat gefragt?
Fischer: Ich versuche Komponisten nicht zu beeinflussen, erkläre aber auf Nachfrage gern, was technisch auf der Geige geht und was nicht. Bei Fragen der Form, der Tonsprache oder der Orchesterbesetzung möchte ich niemanden einengen. Seit Weihnachten habe ich die Noten des Konzerts, seit zwei, drei Wochen übe ich es intensiv. Natürlich sind mir dann noch ein paar Stellen aufgefallen, die geigerisch nicht ideal gelöst sind, und natürlich habe ich darüber mit Johannes X. Schachtner gesprochen.
Braunmüller: Sie haben zuletzt neue Konzerte von Nicholas Maw, Esa-Pekka Salonen, Pascal Zavaro und Matthias Pintscher gespielt. Wie wichtig ist Ihnen Neue Musik?
Fischer: Ich interessiere mich für Musik, wenn sie gut ist. Mir sind auch verschollene und unbekannte Werke wichtig, wie das Konzert des polnischen Komponisten Mieczysław Karłowicz, das ich zuletzt in Warschau gespielt habe.
Braunmüller: Anne-Sophie Mutter, ihre 2001 mit dem Kulturellen Ehrenpreis geehrte Kollegin, hat sich zuletzt sehr kritisch zur Situation der Konzertsäle in München geäußert. Verfolgen Sie die Debatte?
Fischer: Ich freue mich über jeden neuen Saal. Aber ich bin Professorin der Hochschule für Musik und Theater München. Das Gebäude in der Arcisstraße hat schlecht schließende Fenster und eine unzureichende Heizung. Ich höre beim Unterrichten jeden vorbeifahrenden Krankenwagen. Wenn man einen Steinway in diese Räume stellt, ist er ein Jahr später kaputt. Eigentlich funktioniert hier gar nichts, einschließlich der Toiletten. Daher liegt mein Fokus auf dieser Sanierung.