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Aus für Reclam in Leipzig

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Der Verlagsstandort Leipzig ist um einen seiner berühmten Verlage ärmer geworden. Wie gestern bekannt wurde, wird das Stuttgarter Stammhaus des Reclam Verlages seine Zweigstelle „Reclam Leipzig“ im Frühjahr 2006 schließen.


Vor 177 Jahren pumpte ein ambitionierter junger Mann namens Anton Philipp Reclam seinen Vater um 3000 Taler an, kaufte in Leipzig das Literarische Museum, eine Leihbibliothek mit „Lesekabinett“, und gründete einen Verlag in der aufblühenden Buchstadt. Auch wenn dieser damals noch nicht den heutigen Namen Reclam trug, gilt der 1. Oktober 1828 als Gründungstag eines der namhaftesten deutschen Verlage. 1867 wurde die Universal-Bibliothek in Leipzig gegründet, dies revolutionierte die Lesekultur in Deutschland. Allein bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen 5000 UB-Titel in Leipzig. 1912 setzte Reclam erstmals Verkaufs-Automaten ein, von denen bis 1917 fast 2000 in Betrieb waren.

Mit der sowjetischen Besatzung Ostdeutschlands verlegte Ernst Reclam, damaliger Verlagschef, im Jahr 1947 den Hauptsitz nach Stuttgart. Das Leipziger Unternehmen wurde teilenteignet und als „Verlag mit staatlicher Beteiligung“ mehr schlecht als recht weitergeführt.

Nach der Wende bekannte sich der Stuttgarter Verlag zum Standort Leipzig, 1992 stand die Reprivatisierung an und die gelb/orange Universalbibliothek West fusionierte mit der schwarz/weißen UB Ost. Die „Reclam-Bibliothek Leipzig“ entstand. Dort arbeiteten anfangs acht Mitarbeiter, das Stuttgarter Mutterhaus behauptete von sich, die verlegerische Arbeit in Leipzig nicht zu beeinflussen. Trotzdem wechselten die Leipziger Verlagsleiter insgesamt vier mal. Ein Zeichen für Halbherzigkeit? Maria Koettnitz, letzte Leiterin der Zweigstelle, wechselt im Januar 2005 als Verlagsleiterin zu Econ.

„Reclam Leipzig“ editierte insgesamt 140 belletristische sowie 126 Sachbuchtitel und beschäftigte zuletzt drei Mitarbeiterinnen und eine Praktikantin. Unter Birgit Peters, der ersten Verlagsleiterin nach der Reprivatisierung, wurden so erfolgreiche Bücher wie Robert Schneiders „Schlafes Bruder“ verlegt und eine Hardcover-Reihe ins Leben gerufen. Erst kürzlich konnten die Filmrechte an Claudia Schreibers „Emmas Glück“ verkauft werden.

Gestern wurde bekannt, dass das Stuttgarter Stammhaus seine Leipziger Wurzeln kappt und die Dependance „Reclam Leipzig“ im Frühjahr 2006 schließt. Die etwa noch verbliebenen 25 Titel pro Jahr sollen von Stuttgart aus betreut werden, so dass die Marke „Reclam Leipzig“ zwar erhalten bleibt, allerdings nur noch virtuell. Da bereits seit geraumer Zeit Investitionen ausblieben und sich Schließungsabsichten anbahnten, haben sich die noch verbliebenen Mitarbeiterinnen selbst um neue Jobs bemüht, sodass „Kündigungen aus Rationalisierungsgründen“ gar nicht erst notwendig werden.

Das mutet also auf den ersten Blick nicht so tragisch an. Für Leipzig allerdings ist es ein Schlag ins Kontor. Da muss man sich fragen, ob ein Attribut wie „Buchstadt“ für Leipzig überhaupt noch zutreffend ist. Allein eine Buchmesse, sei es auch die zweitgrößte Deutschlands, oder ein Literaturinstitut können die lange und viel gepriesene Verlagstradition in einer Stadt, aus der die Verlage Schritt für Schritt abwandern, nicht aufrecht erhalten. Es gilt aufzupassen, dass die Buchstadt Leipzig nicht zu einer Sportstadt mutiert!

(nmz, B.L.)