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Blut und Blödel

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Die Erfurter Schul-Tragödie hat sehr rasch viele Exegeten gefunden. Besonders schnell reagiert haben unsere Spitzenpolitiker. Sie standen, noch während die Polizei erste Erkenntnisse sammelte, Schlange vor den Fernsehkameras, um ihrer Betroffenheit öffentlich Ausdruck zu verleihen.

Die Erfurter Schul-Tragödie hat sehr rasch viele Exegeten gefunden. Besonders schnell reagiert haben unsere Spitzenpolitiker. Sie standen, noch während die Polizei erste Erkenntnisse sammelte, Schlange vor den Fernsehkameras, um ihrer Betroffenheit öffentlich Ausdruck zu verleihen.Rau und Vogel, Schily, Schröder, Stoiber, Westerwelle: Den Eindruck, dass sie Verantwortung übernähmen für den Zustand unserer Republik, der solchen Wahnsinn zulässt, vermittelte keiner. Verantwortung für jenen kulturell derangierten Zustand, der bezeichnenderweise unter Bankrott-Aspekten betrachtet den Befindlichkeiten des so genannten neuen Marktes ähnelt.
Es wurde – sicherlich zu Recht – vor flotten Interpretationen des Erfurter Amoklaufes gewarnt.

Doch lässt sich schon mal festhalten: glaubwürdig kam die medienwirksam vorgetragene Erschütterung unserer gewählten Gesellschaftsgestalter nicht über den Bildschirm. Zu abgenutzt sind wohl die Stimmen, Gesten und Gesichter in den aktuellen Schaubuden unserer postmodernen Spaßgesellschaft. Zu häufig gezeigt die gleiche ernste Miene vor der Verlautbarung der nächsten Lüge.

Ein Kanzler, der bei „Wetten dass“ um Wählerstimmen buhlt und für Stefan Raab wie ein Blödel-Barde Bierlieder singt, ein Parteigeneral, der im Big-Brother-Container seine Anything-goes-Liberalität glaubt unter Beweis stellen zu müssen, ein Kulturstaatsminister, der, statt sich um Basics wie Bildung zu kümmern (mangels Kompetenz?) lieber durch den Show-Room des Filmexports feuilletonisiert: gefährliche Exponenten kultureller Armut und Anbiederung, politischer Dekadenz und quantitätsgesteuerter Schnellschuss-Entscheidungen.

Keine Hoffnung auch auf den Kanzlerkandidaten der Union. Stoiber entwickelte stereotyp die Idee eines „Bündnisses gegen Gewalt“ – statt beispielsweise eines Bündnisses für Kultur, das über ein, zwei Jahrzehnte konsequent gepflegt, den Boden für ein menschenwürdiges Miteinander in unserer Gesellschaft wieder aufbereiten könnte. Der lauthals und vielstimmig bejammerte Werteverlust hier zu Lande wird sich nicht im Verlauf einer Legislaturperiode und nur durch sehr bewusste, flächendeckende Kulturarbeit beheben lassen.

Kein Interesse, dauert zu lange, ist nicht wählerwirksam. Stattdessen weiterer Abbau künstlerischer Fächer an unseren Schulen und Orientierung an den plutokratischen Profilen einer amerikanischen Star-Wars-Society. Zögerliche, industriehörige Wackelpolitik, wenn es um die Substanz unseres kulturellen Lebens geht, um die Anerkennung des Wertes von geistigem Eigentum in materieller und ideeller Hinsicht. Kurze Schock-Reaktion auf Pisa, gefolgt von gebanntem Starren auf die Prognosen für die nächste Wahl. Es ist – zum Amoklaufen.

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