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Das sogenannte funktionelle Vierspartenhaus

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Rostocks Theaterkompromiss hat harte Personaleinschnitte zur Folge
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In Rostock brennt die Luft: Die dortige Bürgerschaft hat am 25. Februar mehrheitlich für das von Kulturminister Brodkorb und Bürgermeister Methling eingebrachte so genannte Kooperationsmodell gestimmt. Das bedeutet: Orchester und Schauspiel bleiben eigenständig, bei den Sparten Musiktheater und Tanz soll mit anderen Häusern „zusammengearbeitet“ werden. Faktisch würde diese Entscheidung zu einem Zweispartenhaus führen. Das als Theater-Kompromiss bezeichnete Modell beinhaltet den Verzicht auf 81 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vornehmlich im künstlerischen Bereich. Barbara Haack sprach mit dem Intendanten des Volkstheaters Sewan Latchinian und dem Kaufmännischen Geschäftsführer Stefan Rosinski. Das komplette Gespräch können Sie im Netz auf www.operundtanz.de lesen.

Barbara Haack: Ist nach diesem Bürgerschafts-Beschluss schon das letzte Wort gesprochen? Oder geht der Kampf weiter?

Stefan Rosinski: Der Bürgerschaftsbeschluss enthält einen Terminplan: Kulturminister und Oberbürgermeis-ter koordinieren zunächst den Finanzrahmen, der für die nächsten Jahre gelten soll. Wenn das Fine-Tuning von Ministerium und Stadt vorliegt, wird die Theater-Geschäftsführung aufgefordert, ein Umsetzungs-Szenario zum Personalabbau zu erarbeiten. Dieses Szenario soll der Bürgerschaft am 9. September zur Kenntnisnahme vorgelegt werden. Dann erst kann und muss der so genannte Unternehmer-Beschluss gefasst werden, der die Rechtsgrundlage darstellt für unser Handeln in Bezug auf Personalabbau.

Sewan Latchinian: Insofern haben wir noch Zeit. Wichtig ist, dass wir als Theater diese bittere Enttäuschung über diese verheerende Entscheidung einer offensichtlich überforderten Bürgerschaft erst einmal verarbeiten. Wir werden jetzt versuchen, die Überschrift über der Beschlussvorlage, die nämlich zynischerweise „Bürgerbeteiligung am Volkstheater Rostock“ hieß, mit Leben zu füllen und auf alle möglichen Formen der Bürgerbeteiligung abzuheben.

Rosinski: In Erfüllung unserer Dienstverträge, die uns anhalten, für das Wohl der Gesellschaft zu wirken, reagieren wir auf eine Beschlusslage, von der wir der Meinung sind, dass sie mittelfristig nicht haltbar ist. Wir glauben, dass sie sogar letztlich zum massiven Schaden sowohl für die Hansestadt Rostock als auch für die Gesellschaft führt, und zwar betriebswirtschaftlich wie künstlerisch. Es gibt einen alternativen Weg. Der Weg, der dagegen hier eingeschlagen werden soll, wird unter Umständen am Ende in den totalen Exit führen. 

Haack: Wie versuchen Sie, bis zum 9. September einen Weg zu finden, tatsächlich zu überzeugen? Was machen Sie ab jetzt anders als bisher?

Latchinian: Wir haben alle viel getan, aber tatsächlich noch nicht genug. Ich habe wirklich an eine Art kollektive Weisheit der Bürgerschaft geglaubt. Ich war da in manchem noch zu naiv. Insofern sind wir jetzt alle zusammen in einer knallharten Realität angekommen, die eine Eigendynamik entwickeln könnte, auf der Seite der Bürger, aber auch auf unserer Seite. Wir wissen jetzt ganz genau, wo die Frontlinie dieses Kulturkampfes verläuft, wer Freund, wer Feind ist.

Wir baden hier auch Erosionsprozesse aus, die zum Teil schon in der DDR begonnen haben und sich jetzt seit über 25 Jahren fortsetzen. Stefan Rosinski hat drei Jahre lang an seiner Front gekämpft und das Haus wirtschaftlich konsolidiert. Auch meine künstlerische Arbeit des letzten Jahres war positiv. Aber wir können diesen Erosionsprozess von über 25 Jahren in so kurzer Zeit nicht kippen.

Haack: Sie schreiben also jetzt ein Umsetzungskonzept und gehen davon aus, dass es nicht angenommen wird?

Rosinski: Wir untersuchen ein Umsetzungskonzept, von dem wir selber noch nicht genau wissen, was dessen Ergebnis ist. Vielleicht sind es ja nicht 80, sondern 120 Stellen, die wir zur Erreichung der Finanzvorgaben abbauen müssten. Ist das dann immer noch der politische Wille? Das wissen wir ja heute noch gar nicht.

Latchinian: Wir nehmen diesen Beschluss also nicht ernst, aber wir nehmen ihn wörtlich. Wir spielen ihn mit zusammengebissenen Zähnen rechnerisch und künstlerisch durch in der festen Überzeugung, dass das die Grundlage wird für eine Arbeitsebene, auf der von allen Beteiligten ganz sachlich festgestellt werden kann: So geht es nicht.

Haack: Welche Rolle spielt die Landespolitik, welche Rolle spielt Kulturminister Brodkorb?

Rosinski: Er war sehr fleißig. Er war, wie wir hören, mehrfach in allen Fraktionen vorstellig. Er hat keine Scheu, auch einzelne Personen anzurufen und mit ihnen das Gespräch zu suchen.

Haack: Sie sprachen von einem alternativen Weg. Wie könnte der, wirtschaftlich wie künstlerisch, aussehen?

Rosinski: Dazu muss man eines wissen: Was uns hier wirklich das Genick bricht, ist gar nicht die Frage: Flächentarif oder nicht? Maßgeblich in dem vorliegenden Rechenmodell ist die gewaltige Neubau-Miete, die gar keine Neubau-Miete ist, sondern eine Refinanzierungszahlung für den geplanten Theaterneubau, die nach dem Zahlenmaterial auch dann erfolgt, wenn es diesen Neubau noch gar nicht gibt.

Das Volkstheater soll ab 2018 einen Betrag von 2,46 Millionen Euro aus seinem Budget an Stadt und Land in gleichen Teilen zur Refinanzierung der Investitionskosten zahlen. Die sollen zukünftig in den 18 Millionen-Zuschuss eingerechnet werden. Wir haben es nicht geschafft, den Zuschuss für den laufenden Betrieb von dieser neuen Baufinanzierung zu trennen.

Haack: Wie sehen die künstlerischen Ideen bis 2018 aus?

Latchinian: Wir haben damit begonnen, ein künstlerisches Konzept zu realisieren, von dem wir schon relativ viel in relativ kurzer Zeit sichtbar gemacht haben. Dabei geht es darum, sehr viel mehr spartenübergreifend zu produzieren, alle Sparten gleich zu behandeln und zwei zusätzliche Sparten zu etablieren, nämlich das Figurentheater und die Bürgerbühne. Es geht darum, künstlerisch ambitionierter und gesellschaftlich relevanter zu arbeiten.

Es hat auch mit einer höheren Zahl von Premieren und Formaten zu tun, mit mehr Wagnissen, Experimenten, Ur- und Erstaufführungen. Es hat mit einer Steigerung der Qualität aller Künstler zu tun: derer in den einzelnen Ensembles und derer, die als Gäste bei uns arbeiten. Wir wollen vielmehr in die Stadtgesellschaft hineingehen, uns mehr vernetzen mit all den identifikationsstiftenden Knotenpunkten in der Stadtgesellschaft. Es hat etwas zu tun mit neuen Spielstätten innerhalb der Stadt.

Wir haben zum Beispiel eine Inszenierung im Bunker, ein Projekt in der Brauerei realisiert. Wir spielen in der Straßenbahn … Wichtig ist im Übrigen auch die pädagogische und bildungspolitische Aufgabe dieses Theaters. Die ist nur mit einem Apparat zu meistern, der vollständig ist.

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