WIR SIND VIELE – JEDE*R EINZELNE VON UNS / WE ARE MANY – EVERY SINGLE ONE OF US / BIZ ÇOGUZ – HER BIRIMIZ: Diese Worte – in weit mehr als diesen drei Sprachen– liest man schon von Weitem, wenn man sich am Morgen des geschichtsträchtigen 9. Novembers dem Max Liebermann Haus am Brandenburger Tor in Berlin nähert. Vor der Haustür steht ein älterer weißer Kombi über und über geschmückt mit Plakaten und glitzernden Folien – alles in den Farben gold, silber und pink, den Farben Der Vielen.
Wenige Meter dahinter – im Vergleich fast unscheinbar und doch so bedeutend – schmücken Kerzen und weiße Rosen den Stolperstein, der an die ehemalige Hausherrin des Pariser Platz 7 erinnert: Martha Liebermann, die Ehefrau des Malers Max Liebermann.
Beide Beobachtungen machen gemeinsam deutlich, worum es geht: In Deutschland wurde schon einmal Kunst als entartet diffamiert und für Propaganda missbraucht. In unserem Land wurden schon einmal Millionen unschuldige Menschen umgebracht oder ins Exil gezwungen – darunter viele Künstlerinnen und Künstler. Das darf nie wieder geschehen. Nie wieder.
Genau deshalb haben sich Die Vielen gegründet. Die Vielen – das ist ein bereits im Juni 2017 gegründeter Verein, der mit der „Erklärung der Vielen“ eine bundesweite Kampagne mit regionalem Charakter auf die Beine gestellt hat. Der Verein Die Vielen solidarisiert sich mit den Akteurinnen und Akteuren der Kunst- und Kulturlandschaft und den zugehörigen Institutionen, die von rechten Positionen angegriffen oder infrage gestellt werden.
Diese Stoßrichtung verfolgt auch die Erklärung der Vielen, in der es heißt: „Die unterzeichnenden Kunst- und Kulturinstitutionen führen den offenen, aufklärenden, kritischen Dialog über rechte Strategien. Sie gestalten diesen Dialog mit Mitwirkenden und dem Publikum in der Überzeugung, dass die beteiligten Häuser den Auftrag haben, unsere Gesellschaft als eine demokratische fortzuentwickeln. Alle Unterzeichnenden bieten kein Podium für völkisch-nationalistische Propaganda. Wir wehren die illegitimen Versuche der Rechtsnationalen ab, Kulturveranstaltungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Wir verbinden uns solidarisch mit Menschen, die durch eine rechtsextreme Politik immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.“
Neben dieser Erklärung haben sich die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner eine Selbstverpflichtung mit elf Punkten auferlegt. Der letzte und wichtigste Punkt lautet: „Die Unterzeichnenden verpflichten sich zu gegenseitiger Solidarität mit Kultureinrichtungen und Akteur*innen der Künste, die durch Hetze und Schmähungen unter Druck gesetzt werden.“ Er wird auch an diesem 9. November immer wieder von den Berliner Vertreterinnen und Vertretern von Die Vielen, die aus über 140 Institutionen kommen, betont. Denn in Berlin ist man sich sehr wohl, der vergleichsweisen „Luxussituation“ bewusst: Hier gehört es (noch) nicht zum Alltag von Kultureinrichtungen, sich gegen kontinuierliche Störungen von Rechten in Aufführungen, Performances, Ausstellungen etcetera zur Wehr setzen zu müssen.
Umso wichtiger erscheint es, sich mit den Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Republik – vor allem in ländlicheren Regionen, wo die Bedrohung wachse – zu solidarisieren, denen diese Situationen nur allzu bekannt sind. So sagt Holger Bergmann, Vorstandsvorsitzender von Die Vielen: „Von jetzt an bekommt man es mit uns allen zu tun.“
In diesem Sinne ist der Text der Erklärung der Vielen, den die Berliner Kultureinrichtungen unterzeichnet haben, die Vorlage für weitere regionale Erklärungen der Vielen. Zeitgleich mit der Berliner Erklärung der Vielen fanden am 9. November Veröffentlichungen und Pressekonferenzen in Hamburg, Düsseldorf und Dresden statt. Andere Städte wie Weimar arbeiten bereits an ihren Erklärungen.
Das Presseecho auf die Erklärung der Vielen ist zum Redaktionsschluss dieser Zeitung enorm – weit über regionale Berichterstattungen hinaus. Das ist richtig und überaus wichtig – denn an diesem 9. November habe ich eine weitere Beobachtung gemacht, die zwar nicht neu, aber immer wieder erneut erschütternd ist: Wie so oft berichtete ich für den Deutschen Kulturrat, der zu den Erstunterzeichnern der Berliner Erklärung der Vielen gehört, live in den sozialen Medien von der Pressekonferenz im Max Liebermann Haus – und welche Masse man an aggressiven, rechtsextremen Kommentaren als Reaktion auf die Erklärung der Vielen allein bei Twitter erhält, lässt die Haare zu Berge stehen und andere Zeiten sehr schnell sehr präsent werden.
Aber WIR SIND VIELE – JEDE*R EINZELNE VON UNS. Und diese Vielen stehen ab heute gemeinsam.
Theresa Brüheim, Chefin vom Dienst von Politik & Kultur