Hauptrubrik
Banner Full-Size

Direktor der Magdeburger Stadtbibliothek fordert mehr Transparenz

Publikationsdatum
Body

Beutekunst: Zehntausende Bücher lagern in Ländern der ehemaligen Sowjetunion +++ Rückgeführte Bücher oft in katastrophalem Zustand +++ Verhandlungen auf politischer Ebene ohne Bewegung


Magdeburg (ddp-lsa). Acht historische Bücher liegen vor dem Direktor der Magdeburger Stadtbibliothek, Peter Petsch. Alle wurden gerade aufwendig restauriert, ihre einst starken Schäden sieht man den Bänden - darunter die "Kulturgeschichtlichen Bilder aus Quedlinburgs Vergangenheit" von 1922 und die "Anhaltischen Lande und ihre Fürsten" von 1861 - nicht mehr an. Die Werke, die als Teil der Beutekunst nach dem Zweiten Weltkrieg jahrelang in der Sowjetunion lagerten, konnten mittlerweile wieder in den nutzbaren Bestand der Stadtbibliothek integriert werden. Doch noch immer fehlen der Bücherei Zehntausende Bände.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren rund 150 000 Bände, unter anderem Inkunabeln und Zeitschriftenbestände, aus Magdeburg in die Sowjetunion gelangt. Insgesamt zehn Millionen Bücher aus deutschen Bibliotheken ereilte das gleiche Schicksal. Besonders wertvolle Stücke blieben zumeist in Leningrad und Moskau, andere wurden im ganzen Land verteilt.
Magdeburgs Stadtbibliothek hatte Glück: 18 000 Bücher kamen Ende der 90er Jahre zurück. Georgien und Armenien, inzwischen prowestlich orientiert, trennten sich von den oft unter schlimmen Bedingungen gelagerten Stücken. "Wir freuten uns riesig, waren aber zugleich über den schlechten Zustand erschrocken", erinnert sich Petsch. Nur ein Teil der Bücher steht heute wieder in den Regalen, drei Viertel liegen im Magazin. Ohne Sponsoren oder Fördermittel dauere ihre Restaurierung lange, sagt Petsch. 100 bis 300 Euro kostet die Wiederherstellung eines Bandes.

Inzwischen gibt es neue Hinweise auf den Verbleib weiterer Bücher aus Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt. MDR-Reporter entdeckten jüngst ein Depot in feuchten Kellerräumen der Uni-Bibliothek in Georgiens Hauptstadt Tiflis mit Büchern aus der Leopoldina Halle, aus Leipzig, Jena, Berlin und Magdeburg. Bei der Rückführungsaktion vor zehn Jahren war Petsch davon ausgegangen, dass alle Bestände aus Georgien zurückgeschickt worden waren. Dies habe man damals von offizieller Seite versichert.

Mit dem Beschluss der Duma, die eine Rückgabe von russischer Seite ausschließt, müssen die Bibliotheken heute leben. "Dass für uns ein Teil unseres alten Bestandes verloren ist, müssen wir akzeptieren", sagt Petsch. Er wünscht sich allerdings mehr Kooperation und Transparenz. Es wäre eine "Geste guten Willens", würde die russische Seite wenigstens offen legen, katalogisieren und ins Internet stellen, was noch existiert, sagt er. Regionalliteratur oder Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts könnten so wieder für die Forschung nutzbar gemacht werden. Bücher dürften nicht länger in Geheimdepots liegen.
Die bundesdeutsche Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg sieht keine Bewegung bei der Rückgabe von Büchern. Philip Kardel, zuständig für die Dokumentation der Beutekunstverluste, kann über die jüngsten Funde in Georgien nichts sagen. Die Verhandlungen dazu erfolgten auf politischer Ebene. Er bezeichnet die Kontakte zwischen Fachleuten als "funktionierend, wo Mitarbeiter einen Draht zueinander" hätten. Nicht nur die einstigen Sowjetrepubliken verwalteten noch deutsche Bücher. Auch in Polen lägen Bestände, so etwa in Krakau Teile der Berliner Staatsbibliothek, sagt Kardel. Der über das Internet einsehbare Katalog der Koordinierungsstelle mit Kriegsverlusten beinhaltet Kardel zufolge derzeit unter anderem 18 000 Bücher und 14 000 Gemälde aus öffentlichen Einrichtungen.

Beutekunst in fünf Daten

- über 300 öffentliche Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken und Archive in Deutschland verloren in der Folge des Zweiten Weltkriegs Kulturgüter

- seit 1998 hat die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste ihren Sitz in Magdeburg, sie wird von allen 16 Bundesländern und dem Bund getragen

- sie soll Such- und Fundmeldungen zu im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenen und kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern entgegennehmen und dokumentieren

- außerdem werden Kulturgüter erfasst, die im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise durch Beschlagnahmung, Plünderung, Auslagerung oder Vertreibung verloren gingen

- die Internet-Datenbank Lostart (lostart.de), die 2001 eingerichtet wurde, verzeichnet rund 109 000 vermisste Kunstgegenstände