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Orchestervereinigung befürchtet Verdrängung heimischer Ensembles
Berlin (ddp). Der Preiskampf tobt nicht nur auf Schlachthöfen und Baustellen. Auch deutsche Orchester bekommen leise und schleichend, aber zunehmend Konkurrenz aus Osteuropa - wegen der geografischen Nähe vor allem aus Polen und Tschechien.
Die osteuropäischen Musiker, deren künstlerischer Standard laut Mertens «unstreitig» ist, verdienen in Deutschland weniger als ein heimisches Ensemble, aber deutlich mehr als in der Heimat. Wer dagegen in der Bundesrepublik ein Orchester aus Osteuropa engagiert, spart viel Geld. «Die Konkurrenz aus den neuen EU-Ländern wird stärker», sagt Mertens. B bereits seit einigen Jahren finde «mehr unmerklich» eine Verdrängung statt. Dabei sei nicht das klassische Stadttheater gefährdet, sondern der Gastspielmarkt. Gastreisen seien «kein Problem», eine Verdrängung heimischer Ensembles schon.
Der Gewerkschafter beobachtet vor allem ein «Abbaggern des Randgeschäftes». Davon betroffen seien kleinere und mittlere Ensembles. Deutsche Kurorchester gebe es etwa kaum noch, diese Sparte sei «fest in der Hand östlicher Ensembles». Auch Kirchenchöre hätten früher oft auf Orchester aus der Region zurückgegriffen und verpflichteten heute häufig «Musiker aus der polnischen Provinz».
Auch die Europäische Filmphilharmonie in Berlin hat schon entsprechende Erfahrungen gemacht. 2006 war sie im Auftrag des privaten Klassik Radios zusammen mit den Hamburger Symphonikern auf Tour, eine Fortsetzung stand bereits fest, wie die Geschäftsführerin Beate Warkentin sagt. Dann habe Klassik Radio jedoch kurzfristig ein eigenes Orchester gegründet. Die Europäische Filmphilharmonie vermutet, dass dafür aus Kostengründen Musiker aus Osteuropa eingekauft und zusammengestellt wurden.
Die für das sendereigene Orchester Klassik Radio Pops zuständige PR-Agentur weist diese Vorwürfe derweil zurück. Das Ensemble sei «ein Premiumprodukt» mit Musikern von internationalem Format, keine «Low-Budget-Lösung», sagte Susanne Hertzner von Die Agentour.
Die DOV hat weitere Orchester im Auge, deren Zusammensetzung unklar sei. Laut Mertens spielen in den Ensembles oft angeblich Studenten, die keine Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis bräuchten. Ob die Musiker tatsächlich Studenten sind, sei jedoch fraglich.
Neben dem Verdrängungsaspekt fürchtet Mertens auch um ein zunehmend engeres Repertoire: Die meisten Gastspielorchester aus dem Osten spielten ein «Mainstreamprogramm mit Mozart oder Beethoven» und wagten keine musikalischen Experimente. Das Einkaufen dieser Ensembles führe daher auch zu einer »musikkulturellen Verarmung«.
Für Mertens ist daher die «spannende Frage», wie sich die neuen EU-Länder in den kommenden Jahren wirtschaftlich entwickeln und welchen Anteil die Kultur daran haben werde. Die DOV will die Entwicklung aufmerksam beobachten und im Fall einer zunehmenden Verdrängung Kultur- und EU-Politiker auf das Problem ansetzen.
Der SPD-Kulturpolitikerin Monika Griefahn ist das Thema bereits bekannt. Sie fordert in einem ersten Schritt Mindestgagen sowohl für deutsche als auch ausländische Musiker. Ideal sei dabei eine Selbstverpflichtung der Branche. In einem weiteren Schritt müsse eine Aufnahme von Musikern in das so genannte Entsendegesetz diskutiert werden. »Was wir in anderen Berufen, zum Beispiel bei Friseuren beklagen, muss auch für Musiker gelten«, sagt sie.
Der kulturpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Wolfgang Börnsen (CDU), betont ebenfalls, er sehe «die Entwicklung mit Sorge». Der Gastspielmarkt erfahre eine Wettbewerbsverzerrung. Er habe bereits an Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) geschrieben und diesen um Stellungnahme gebeten. Börnsen fordert zunächst eine «konkrete Bestandsaufnahme» der tatsächlichen Fälle.
Der Deutsche Bühnenverein blickt derweil noch gelassen gen Osten. Der Stellvertreter des geschäftsführenden Direktors, Michael Schröder, sagte, er sehe »kein dramatisches Szenario«. Seiner Einschätzung nach kauften Konzertveranstalter mit Blick auf die Qualität eher weniger Konzerte ein als auf billigere Orchester zu setzen. In den kommenden Jahren werde es zudem automatisch eine Angleichung der Löhne in West- und Osteuropa geben. »Wir werden nicht auf Dauer so ein starkes Gefälle wie jetzt haben", betont er.
Nadine Emmerich