Das Kopieren von Noten gilt in Musiker- und Pädagogenkreisen als Kavaliersdelikt. Wer macht sich heute während der Proben- und Unterrichtsvorbereitung Gedanken über Verlags- und Urheberrecht? Im Preis des Kopiergerätes war doch die Kopierabgabe bereits enthalten, oder? Im zweiten Teil unseres Artikels beschäftigt sich Werner Nied wiederum mit dieser interessanten Materie.
Diese Aufklärungsarbeit muß bereits in Schulen, insbesondere Musikschulen stattfinden. Denn in den Musikschulen werden Musiker ausgebildet, und zu einer ordentlichen Musikausbildung sollte nicht nur das Beherrschen des eigenen Musikinstrumentes, sondern auch das Wissen, welchen Marktwert Musik hat, wie Musik zu „verkaufen“ und was in der Musikbranche erlaubt ist, gehören. Um so erstaunlicher ist es, daß es gerade bei an Fachakademien, Universitäten oder privaten Musikschulen ausgebildeten Musikern die meiste Unsicherheit beim Umgang des Kopierens von Musiknoten gibt. Gemäß § 53 UrhG dürfen ohne Zustimmung des Berechtigten (Komponisten oder Musikverlegers) Noten, soweit sie noch der urheberrechtlichen, Schutzfrist unterliegen nur in ganz engen Ausnahmefällen kopiert werden.
Begründete Ausnahmen
Zum einen dürfen Noten kopiert werden, wenn diese in ein eigenes Archiv aufgenommen werden, eine Archivierung geboten ist und als Vorlage für die Kopie ein eigenes Originalwerkstück benutzt wird. Unzulässig ist es daher, von entliehenen Werkstücken Kopien herzustellen. Unzulässig ist es auch, Musiknoten zur Erweiterung des Bibliothekbestandes zu kopieren, weil dies nicht zur Archivierung geboten ist, folglich der Archivierungszweck im Sinne des Gesetzes nicht vorliegt. Wann für einen Musiker ein Kopieren von Musiknoten für sein eigenes Musikarchiv geboten, d.h. erforderlich ist, ist mir nicht bekannt, solche Gründe dürften nahezu ausgeschlossen sein. Auf diese Ausnahme kann sich ein Musiker folglich nicht berufen.
Die zweite Ausnahme urheberrechtlich geschützte Noten kopieren zu dürfen ist dann gegeben, wenn das zu kopierende Musikstück seit mindestens zwei Jahren vergriffen ist. Ein Musikwerk ist dann vergriffen, wenn es vom Verlag nicht mehr geliefert werden kann. Ob das Musikwerk noch im Handel oder in Antiquariaten erhältlich ist, dürfte eine untergeordnete Rolle spielen. Denn es ist nahezu unmöglich, durch Umfragen oder umfangreiche Recherchen ausfindig zu machen, ob ein bestimmtes Musikwerk noch im Handel oder in einem Antiquariat erhältlich ist oder nicht. Es gibt jedoch auch andere Meinungen Rechtsgelehrter, die ein Musikwerk erst dann als vergriffen annehmen, wenn das Musikwerk auch nicht mehr im Handel oder in Antiquariaten zu bekommen ist. Ein Urteil eines Gerichtes liegt leider noch nicht vor, das über diesen Meinungsstreit zu befinden hatte. Die beiden vorgenannten Ausnahmen vom Kopierverbot von Musiknoten kommen in der Praxis folglich so gut wie nicht in Frage.
Zur Klarstellung möchte ich hier anmerken, daß das Kopierverbot von Noten selbstverständlich auch für Schulen und sonstige pädagogische und soziale Einrichtungen gilt. Warum sollte ein Komponist bzw. ein Musikverleger das Ergebnis seiner „Schaffenskraft“ die Komposition Schulen oder sozialen Einrichtungen kostenlos zur Verfügung stellen? Hierfür besteht überhaupt keine Veranlassung. Allerdings gibt es zwischen den Musikschulen und den Inhabern von geschützten Musiknoten Verträge, die das Kopieren von geschützten Musiknoten unter bestimmten Bedingungen zulassen (hierzu weiter unten). Das Verbot kann verjähren Das oben erwähnte Kopierverbot von Musiknoten gilt nur dann, wenn die Musiknoten noch den urheberrechtlichen Schutzfristen unterliegen. Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. D.h., Noten eines Komponisten unterliegen dann nicht mehr dem Urheberrecht (sie sind gemeinfrei), wenn seit dem Tod des Komponisten 70 Jahre vergangen sind. Nicht der Zeitpunkt der Entstehung der Komposition ist maßgebend, sondern der Tod des Komponisten. Die Musikwerke eines am 30.04.1926 verstorbenen Komponisten werden folglich am 01.05.1996 gemeinfrei, d.h. sie sind nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Wenn Musiknoten nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind, kann auch das im Urheberrechtsgesetz normierte Kopierverbot von Musiknoten nicht gelten. Gemeinfreie Noten dürfen folglich kopiert werden, soweit kein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vorliegt (hierzu weiter unten).
Dennoch heißt es Vorsicht walten zu lassen. Wenn ein gemeinfreies Musikwerk bearbeitet worden ist, unterliegt die Bearbeitung wieder der urheberrechtlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Bearbeiters, weil die Bearbeitung als selbständiges Musikwerk geschützt wird. Die Originalkomposition, die der Bearbeitung zugrunde liegt, darf kopiert werden, die Bearbeitung nicht. Auch bei sog. nachgelassenen Musikwerken ist größte Vorsicht geboten, wenn man solche Musikwerke kopieren möchte.
Ein nachgelassenes Musikwerk liegt dann vor, wenn ein bisher nicht erschienenes oder nicht mehr urheberrechtsschutzfähiges Musikwerk erstmals der Öffentlichkeit angeboten und in Verkehr gebracht worden ist. Zu denken ist hier z.B. an Volkslieder, Volkstänze oder neu entdeckte Kompositionen von bereits längst verstorbenen Komponisten. Der Inhaber eines nachgelassenen Musikwerkes kann sich auf einen 25-jährigen Schutz dieser Musikwerke beruten. Wie bereits erwähnt gibt es zwischen Schulen und den Inhabern von geschützten Musiknoten einen Gesamtvertrag über die Abgeltung urheberrechtlicher Ansprüche für die Vervielfältigung von Unterrichtsmaterialien. Die Schulen werden in diesem Gesamtvertrag durch die Bundesländer, die Inhaber der Nutzungsrechte an den geschützten Noten durch die Verwertungsgesellschaft Musikedition vertreten. Die Verwertungsgesellschaft Musikedition nimmt aufgrund von Verträgen mit fast allen Musikverlagen die Rechte an urheberrechtlich geschützten Musiknoten wahr. Aufgrund des Gesamtvertrages zwischen den einzelnen Bundesländern und der Verwertungsgesellschaft Musikedition dürfen Schulen Noten kopieren, soweit dies für den Schulgebrauch oder für staatliche Prüfungen in der für die Schulklasse oder für die staatliche Prüfung erforderlichen Anzahl geboten ist. Wenn ein Musiklehrer kopierte Noten an die Schüler verteilt, um die Kompositionen mit seinen Schülern zu besprechen, ist dies erlaubt. Gibt der Lehrer die kopierten Noten seinen Schülern mit, um zu Hause zu üben, ist dies sicherlich nicht erlaubt. Der Schüler muß dann die Originalnoten selbst kaufen. Selbst wenn das Kopieren von Musiknoten an Schulen aufgrund des Gesamtvertrages erlaubt ist, dürfen nur kleine Teile eines Musikwerkes kopiert werden; ein ganzer Notenband zählt hierzu sicherlich nicht.
Bewährte Verträge
Die alten Bundesländer zahlen für das Kopieren von Musiknoten an Schulen ca. 3,5 Mio. Mark jährlich an die Verwertungsgesellschaft Musikedition, die das Geld an die Musikverlage weiterleitet. Die Musikverlage behalten ihren Anteil und leiten den Rest an die Komponisten entsprechend der Vereinbarung im Musikverlagsvertrag weiter. Von den 3,5 Mio. DM zahlt Bayern z.Zt. 18 %, Baden-Württemberg 13 %, Nordrhein-Westfalen 25 %, Saarland 1,5 %. Die neuen Bundesländer zahlen z.Zt. je Schüler 38 Pf. Zwischen der Verwertungsgesellschaft Musikedition und der evangelischen Kirche Deutschland (EKG) gibt es ebenfalls einen Gesamtvertrag. Danach zahlt die EKG 250.000 Mark jährlich für das Kopieren von geschützten Musiknoten in Gottesdiensten. Viele Musikverlage haben – nachdem die Schutzfristen für Kompositionen berühmter Komponisten abgelaufen waren – neue Ausgaben der wichtigsten Kompositionen herausgebracht. So haben Musikverlage die am 31.12.1927 nicht mehr geschützten Kompositionen von Johannes Brahms oder die im Jahre 1958 gemeinfrei gewordenen Kompositionen von Edvard Grieg neu gedruckt und herausgegeben. Die Noten wurden nicht kopiert, sondern mit einem eigenen Notenstichbild herausgegeben. Wenn nun diese – nicht mehr urheberrechtlich geschützten Noten – kopiert werden, berufen sich die Musikverlage darauf, daß ihre Rechte am Notenstichbild verletzt werden. Einerseits behaupten die Musikverlage, daß ihr eigenes Notenstichbild urheberrechtlich geschützt sei und folglich die gemeinfreien Noten nicht kopiert werden dürfen.
Andererseits berufen sich die Musikverlage darauf, daß das Kopieren als unmittelbare Leistungsübernahme unlauter im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sei und folglich nicht zulässig ist. Ob Notenstichbilder urheberrechtlichem Schutz unterliegen ist daran zu messen, ob eine persönliche geistige Schöpfung beim Entwerfen des Notenstichbildes vorliegt. So kann durchaus die graphische Einteilung der jeweiligen Notenseiten, die Entscheidung darüber, wieviel Takte pro Seite aufzunehmen oder welche Abstände zwischen den einzelnen Noten sinnvoll sind, wo die Taktangaben und die Taktstriche anzubringen sind usw. für eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des Urheberrechtsgesetzes sprechen. Die meisten „herkömmlichen“ Notenstichbilder erfüllen die Kriterien einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne des Urheberrechtsgesetzes jedoch nicht, so daß ein urheberrechtlicher Schutz dieser Notenstichbilder abzulehnen ist. Ob das Kopieren des Notenstichbildes ein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb darstellt, ist zunächst davon abhängig, wann das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb überhaupt eingreift. So fallen nur Handlungen unter dieses Gesetz, die in geschäftlichem Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs vorgenommen werden, und die gegen die guten Sitten verstoßen. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb will den wirtschaftlichen und geschäftlichen Verkehr schützen und berührt die private Sphäre nicht. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Wettbewerbsverhältnis dann vor, wenn „zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, daß auf diese Weise der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann“.
Das Kopieren von Noten für den privaten Gebrauch kann daher wettbewerbsrechtlich nicht untersagt werden. Insbesondere auf Musiker, die die Musik als Hobby ausüben, für sich selbst als Ausgleich zum streßigen Alltag oder im Freundes- und Bekanntenkreis musizieren, kann das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb nicht gelten. Üben Musiker ihre Tätigkeit professionell aus, indem sie Konzertauftritte wahrnehmen, auf Hochzeiten, Jubiläen oder sonstigen Anlässen spielen, Tonträger produzieren usw., dürfte ein sog. Wettbewerbsverhältnis vorliegen. So dürfte wohl in den meisten Fällen zwischen den einzelnen Musikbands bzw. den Bandmitgliedern und den Musikverlagen ein Wettbewerbsverhältnis vorliegen. Ein Verstoß gegen das unlautere Wettbewerbsgesetz liegt aber nur dann vor, wenn das Verhalten des Musikers, das Kopieren von Noten unlauter ist. Es muß folglich beim Kopieren von Noten die Absicht vorliegen, den eigenen Wettbewerb zum Nachteil des anderen zu fördern. Kein unlauterer Wettbewerb Ob diese Absicht beim Kopieren von gemeinfreien Musiknoten vorliegt, habe ich meine erheblichen Zweifel. Zwar werden an das Vorliegen der Absicht im Sinne des unlauteren Wettbewerbgesetzes keine hohen Anforderungen gestellt. Dennoch dürfte es in den meisten Fällen des Kopierens von Musiknoten durch Musikbands an dieser Absicht fehlen. Hinzu kommt, daß der Bundesgerichtshof in dem eingangs erwähnten Rechtsstreit, bei dem der New Yorker Musikverlag über 100 Titel gemeinfreier Noten eines deutschen Musikverlages kopiert und dann in eigenen Katalogen zum Verkauf angeboten hat, dies für rechtens erklärt hat. Der Bundesgerichtshof begründete sein Urteil überwiegend damit, daß der deutsche Musikverleger das Notenstichbild bereits im ersten Drittel dieses Jahrhunderts hat stechen lassen und folglich die Kosten hierfür längst amortisiert sein müßten. Das Kopieren der Noten durch den New Yorker Musikverlag sei daher nicht unlauter. Das Kopieren von nicht mehr urheberrechtlich geschützten Noten wird durch das Urteil des Bundesgerichtehofes nicht generell erlaubt. Es ist vielmehr der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz der Musikverlage an den Notenstichbildern zu beachten.
Dennoch dürften an das Kopierverbot solcher Noten durch Musiker hohe Anforderungen gestellt werden, um einen Verstoß gegen das unlautere Wettbewerbgesetz anzunehmen. Ein Verstoß liegt sicher nicht vor, wenn das Erstellen des Notenstichbildes bereits 50 Jahre zurückliegt.