Body
Die Franz-Kafka-Gesellschaft Prag verwaltet seit 27. Februar einen literarischen Schatz, der in dieser Form einmalig ist in Europa: die Kafka-Bibliothek. Es handelt sich um eine Sammlung von mehr als 1000 Büchern, Zeitschriften, Almanachen und Anthologien, die dem Schriftsteller zugeschrieben werden.
Prag (ddp). "Spolecnost Franze Kafky", Franz-Kafka-Gesellschaft, steht an der Tür in der 5. Etage des Bürgerhauses gleich neben der Prager Altneusynagoge. Der Besucher wird vorgelassen zu Frau Uherkova. Sie ist Vizechefin in der Zentrale der Gesellschaft, eines gemeinnützigen Vereins, der das Erbe des Schriftstellers und der Prager deutschsprachigen Literaten pflegt und propagiert. Und dem, weltweit, 800 vielfach hochkarätige Mitglieder angehören.Und mehr noch: Die Gesellschaft verwaltet seit 27. Februar einen literarischen Schatz, der in dieser Form einmalig ist in Europa: die Kafka-Bibliothek. Es handelt sich um eine Sammlung von mehr als 1000 Büchern, Zeitschriften, Almanachen und Anthologien, die dem Schriftsteller zugeschrieben werden. Nur, und das ist das Besondere - die Sammlung ist eine Replik. Der größte Teil der einstigen Original-Bücherei nämlich war auf nicht geklärte Weise - Kafkas Schwester Ottla, die sie besessen hatte, war von den Nazis nach Terezin (Theresienstadt) deportiert worden und dort umgekommen - in einem Münchener Antiquariat gelandet. Von dort kam sie 1982 in die Forschungsstelle für Prager deutsche Literatur an der Universität Wuppertal.
Das, was nun in Prag hinter elektronisch gesicherter Tür lagert, bis es am 7. Mai feierlich zugänglich gemacht wird, ist dem Stuttgarter Antiquar Herbert Blank und dem Sportwagenhersteller Porsche zu verdanken. Blank sammelte in jahrelanger detektivischer Kleinarbeit die Erstausgaben jener Bücher, die einst bei Kafka im Regal gestanden hatten. Diese ergänzte er mit Werken, die in Kafkas Aufzeichnungen erwähnt sind, von denen man also annimmt, dass er sie besessen oder doch zumindest gelesen hat. Porsches Verdienst besteht darin, dass das Unternehmen rund 128 000 Euro für die "In Kafkas Bibliothek" betitelte Sammlung hingelegt hat - eine Summe, die die tschechische Kafka-Gesellschaft nie hätte aufbringen können. Die Stuttgarter begründeten die Investition zum einen mit ihrem bereits traditionellem "Standort-Engagement- das Unternehmen hat im Herbst 2001 mit der Fakultät für Maschinenbau der Tschechischen Universität Prag die "Porsche Engineering Services s.r.o. (PES) gegründet. Zum anderen wolle man die Kultur der deutschen Sprache und damit die Verständigung fördern. Und die ganz allgemein gefährdete Lesekultur schließlich ebenfalls.
Denn was eine "kavka ist, eine Dohle nämlich, weiß in Tschechien jedes Schulkind. Nicht aber, wer Franz Kafka war. Der 1883 in Prag geborene Schriftsteller, mit gerade einmal 41 Jahren bei Wien verstorben, erobert sich nur langsam einen Platz in den Bücherschränken seiner Heimat. Nach dem Kriege waren Autor und Werk, wie der ganze Kreis der Prager deutschsprachigen Literaten, vor allem wegen ihres Deutschtums suspekt. Gar nicht zu reden von der Ära des sozialistischen Realismus, in die Kafka in keiner Weise einzupassen war.
Die rekonstruierte Bibliothek freilich wird nur einem begrenzten Kreis von Lesern zur Verfügung stehen. Zum einen sind die Räume der Gesellschaft für breiten Publikumsverkehr nicht geeignet, zum anderen sind die Bücher viel zu wertvoll. Wissenschaftler jedoch und die Mitglieder der Gesellschaft werden sie für ihre Arbeiten nutzen können.
Auch die Öffentlichkeit wird teilhaben. Denn die Gesellschaft veranstaltet Vorträge und Lesungen, Ausstellungen und Seminare, sie gibt Bücher der Prager Deutschen und über diese heraus. Nun endlich auch in tschechischer Übersetzung. Und mittlerweile hat der so lange Verschmähte in Prag eine starke Lobby, er wird gekauft, es gibt ein Kafka-Cafe, eine Kafka-Bücherei, und demnächst wohl auch ein Kafka-Denkmal.
Günter Gensicke