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Fülle des Wohllauts in schweren Zeiten behüten

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Grußwort zur Eröffnung der Klassik Komm. 97 von GEMA-Vorstand Reinhold Kreile
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Die Klassik Komm., dieses wichtige Forum für alle, die sich in Deutschland mit der klassischen, der sogenannten ernsten Musik verbunden fühlen, ist im nunmehr vierten Jahr ihres Bestehens zu einem etablierten und idealen Schaufenster eines zwar kleineren Segments des Musikgeschäfts, aber bedeutenden Teils unserer Musikkultur avanciert. Die Klassik Komm. stellt sich auch in diesem Jahr vor allem deshalb wieder als ein wichtiges Musikforum dar, weil sie nicht nur unsere heutige Rezeption der musikalischen Klassik thematisiert, sondern – und dies liegt mir als Vorstand der deutschen Musik-Autorengesellschaft GEMA besonders am Herzen – weil diese in ihrer Ausrichtung international einzigartige Fachmesse vor allem auch das in der klassischen Musiktradition stehende zeitgenössische, also das aktuelle Musikschaffen diskutiert und reflektiert. Als vor vier Jahren die Klassik Komm. ihre Pforten zum er-sten Mal öffnete, wurde noch über die Berechtigung eines solchen Forums für klassische Musik diskutiert. Inzwischen ist die Klassik Komm. für alle, die mit dem Musikleben in Deutschland verbunden sind, zu einem jährlichen Kristallisationspunkt geworden. [...] Auf unserer durchaus befreundeten Parallelmesse, der Pop Komm. in Köln, hat der eine oder andere gemeint, die sogenannte E-Musik – das ist hierzulande die gebräuchliche Bezeichnung für das, was die Amerikaner so zutreffend Classical Music nennen – hat also gemeint, die E-Musik zu einer „Minderheitenmusik“ herabzustufen. Ist es schon nicht recht verständlich, wenn hier der Vertreter großer Musikkonzerne einen doch auch wichtigen Teilbereich seines eigenen Geschäfts abqualifiziert und nicht sehen will, daß beides zum großen internationalen Musikgeschäft gehört, so verkennt er auch, daß diese Auffassung auf jeden Fall nicht von den deutschen Komponisten und Autoren geteilt wird. Diese wissen vielmehr sehr genau, daß nicht jede Musik für alle da sein muß, sondern die vielfältige Musik sich jeweils an ganz bestimmte Zuhörerkreise richtet; daß sich die Musikliebhaber in ebenso viele Kategorien einteilen lassen, wie sich andererseits auch die Musik stets in Kategorien hat einteilen lassen. Die Einteilung in E-Musik, als Classical Music, und Unterhaltungsmusik ist keine Einteilung in gut und böse oder böse und gut; es ist eben eine aus langer und verständlicher Tradition gebildete und praxisorientierte Einteilung wie die in romantische, melodische, kontrapunktische, fugierte oder volksliedhafte Musik. Dies alles gehört zum großen Bereich der Musik. Und im großen Haus von Frau Musica haben die Komponisten eben nicht nur ein Zimmer, sondern viele Zimmer, manche Komponisten durchaus gleich mehrere, denn unsere heutigen Komponisten beherrschen durchaus mehrere Stile und Kategorien. Das eben ist die Fülle der Musik des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die „Fülle des Wohllauts“, die Thomas Mann beschwor, ist in jeder Kategorie zu finden. Darum sollen sich die Kategorien gegenseitig schätzen, und deswegen soll nicht populistisch – weil gerade die eigenen Anhänger vor einem stehen – die eine oder andere aus dem großen Haus der Musik verdrängt werden. Deswegen wollen wir miteinander, wie es der Kongreßkatalog 1997 ankündigt, diskutieren, „wie die Akzeptanz von zeitgenössischer Musik verbessert werden und ein größeres Interesse für neue Kompositionen geweckt werden kann“. Man hat sich leider inzwischen fast daran gewöhnt: Wie in einem schönen deutschen Tenorlied der Renaissance zieht sich ja immer wieder durch alle Diskussionen um die klassische Musik und um zeitgenössische „Classical Music“ das ostinate Lamento über das mangelnde Interesse der Musikliebhaber, der Konzertbesucher, der Tonträgerindustrie, der Konsumenten, der Programmverantwortlichen, insbesondere der Rundfunkveranstalter, oder auch das mangelnde Interesse der Berufs- und Laienmusiker an den Werken der neuen Musik. Und auch das heute nachmittag noch stattfindende Kongreß-Panel „Out of the Ghetto“ nimmt wohl von diesem Analysenergebnis eines mangelnden Interesses am zeitgenössischen Repertoire seinen Ausgang. Dies ist bereits ablesbar an der fast liebevoll protektionistisch formulierten Ankündigung des Panels durch die Veranstalter (ich darf noch einmal aus dem Katalog zitieren): „Die Experimentierfelder und Klangbiotope zeitgenössischer Komponisten sind auch in unserer Fast-food-Gesellschaft nicht überflüssig.“ Wie wahr! Uns bestürzt zunehmend der gleichermaßen schleichende wie stetige Abbau von Musikunterricht in den Schulen und der kaum mehr kaschierte Rückzug der öffentlichen Hand aus dem Kulturbereich. Dieser Rückzug aus der kulturellen Verantwortung wird nicht nur in Deutschland diskutiert. Selbst das amerikanische – und damit durchaus internationale – Branchenmagazin Billboard, ein Medium, in dem sonst doch eher die Themen der Popmusik dominieren, spricht von „Decline“, registriert den „Niedergang der Klassik“ und sieht das Ende des „Classical Music Business“ voraus. Doch dieses steht mitnichten bevor: Gewiß sind – wenn auch auf hohem Niveau – sinkende Verkaufszahlen zu registrieren; die fast abgeschlossene Ersetzung privater LP-Sammlungen durch die CD wirkt sich aus. Doch fragen jüngere Käufer verstärkt nach „Classical Hits“. Die Kommentatoren jedenfalls haben keine überzeugenden Belege dafür finden können, daß wir uns in bezug auf unseren Umgang mit der klassischen Musik generell in einem Zeitalter der gravierenden Krise befinden. Veränderungen dieser Art, die vielleicht der eine oder andere als Niedergang deuten mag, scheinen doch eher temporär zu sein, sie betreffen nicht den Kern des Interesses an Klassik. Die medialen Verbreitungsmöglichkeiten für klassische Musik jedenfalls sind vielfältiger denn je, aber sie müssen genutzt werden. Land der Musik Es war kein Geringerer als unser verehrter Bundespräsident Roman Herzog, der kürzlich mit Blick auf Erosionen im musikalischen Bildungsbereich und im Musikleben Deutschlands insgesamt die Befürchtung geäußert hat, daß die im Ausland vorherrschende Meinung, Deutschland sei ein Land der Musik, eines Tages zum Gerücht werden könne. Es liegt an uns, daß solch düstere Prophetie nicht Realität wird. Noch haben wir gute Chancen, die wir aber nutzen müssen, zum Erhalt und Ausbau unserer Musiktradition, die geprägt und bestimmt ist von unseren Berufsorchestern und Laienensembles, den Konservatorien und Musikschulen und -hochschulen, den Konzertbühnen und Opernhäusern. Doch die Pflege und der Erhalt einer großen musikalischen Tradition kann nicht gleichsam museal verwaltet werden. Tradition muß immer wieder neu angeeignet und weiterentwickelt werden. Klassische Musik ist unendlich vielfältig und verschiedenartig, es widerspricht ihrer Originalität und ihrem Reichtum, sie im öffentlichen Musikleben auf wenige Epochen der Musikgeschichte zu reduzieren. „Die Klassik muß aufhören, nur in der Vergangenheit zu leben“, lautete die Hauptthese eines Billboard-Artikels. Und genau die mit dieser Forderung verbundene Maxime ist seit Jahrzehnten das Agens der GEMA bei ihrer täglichen Arbeit für die kreativen Musiker und für die Musikkultur in unserem Lande: Die deutsche Autorengesellschaft GEMA weiß um die Musiktradition und sieht es daher als ihre Verpflichtung an, einen wesentlichen Beitrag zur Fortentwicklung dieses Erbes zu leisten. Deswegen sorgt die GEMA als Treuhänderin der Urheber für eine gerechte Entlohnung der schöpferischen Tätigkeit: das Ziel ist die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage der Komponisten, auf der sie dann ihre musikalischen Kreativität entfalten können. Diese ihre Aufgabe zum Schutz der Schöpfer musikalischer Werke erfüllt die GEMA mit einem im internationalen Vergleich enorm günstigen Kostensatz, wenn unser bereits zitierter – und sich absichtlich unzureichend informiert gebender – GEMA-Freund bei Pop Komm. dies vergißt, so will er damit nur bemänteln, daß er in seiner Eigenschaft als Tonträgerhersteller den Komponisten die angemessene Vergütung für Schallplatten reduzieren will. Dies wird aber nicht geschehen; wir werden uns sicherlich demnächst einigen. Und die GEMA wird dann erneut in der Lage sein, die angemessene Vergütung für die Komponisten, sowohl der Classical Music, der E-Musik, der Pop-Musik, der Volksmusik, kurzum also aller Bereiche der Musik, zu bezahlen und darüber hinaus die kulturelle Verpflichtung erfüllen, die ihr durch den Kultur- und Sonderauftrag des deutschen Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes vorgegeben ist. Die GEMA hat den im Gesetz verankerten Auftrag zur Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen; ein Auftrag übrigens, der sich nicht auf E-Musik allein beschränkt. Die in der GEMA vereinten schöpferischen Kräfte wissen, daß richtige ökonomische, kulturelle und soziale Rahmenbedingungen die beste Grundlage sind für eine noch größere Akzeptanz zeitgenössischer Musik, die uns allen am Herzen liegt und die deshalb auch als ein Themenschwerpunkt der Klassik Komm. 97 gewählt wurde. Gerade diese von der GEMA umgesetzten Rahmenbedingungen ermöglichen seit Jahrzehnten immer noch für zeitgenössische ernste Musik Aufführungsmöglichkeiten, um die Musikautoren im Ausland ihre Kollegen in Deutschland beneiden. Fülle von Kultur Die in der GEMA zusammengeschlossenen Autoren lassen sich bei dieser großen und solidarischen Aufgabe der Förderung der musikalischen Kultur nicht beirren, auch wenn der vom deutschen Gesetzgeber aufgegebene Sozial- und Kulturauftrag, zumal von den anglo-amerikanischen Rechteinhabern, immer schärfer bekämpft wird. Bekämpft wird diese für die Fülle der musikalischen Kultur hierzulande so wichtige Regelung also gerade von denjenigen, die in ihren eigenen Ländern keinen Zusammenhang zwischen dem kulturellen Auftrag des Urheberrechts und dem Inkasso kennen. Es ist schwer, gerade diesen Partnern verständlich zu machen, daß beispielsweise eine Reihe englischer Komponisten – und dies gilt auch gerade für die E-Musik – in Deutschland deswegen so viel häufiger aufgeführt wird, weil seit Jahrzehnten hierzulande durch die Breitenwirkung der sozialen und kulturellen Förderung der Musik die besseren Voraussetzungen für Aufführungsmöglichkeiten geschaffen wurden. Meine Damen und Herren, die Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen auf möglichst breiter Grundlage, so wie sie die GEMA seit Jahrzehnten durch ihre tagtägliche Arbeit erfolgreich praktiziert, ist eine große Kulturaufgabe der Zukunft. Ich möchte alle Partner des Musiklebens am Beginn der Klassik Komm. 97 dazu aufrufen, im Interesse einer lebendigen Musikkultur auch neue Ideen zu entwickeln und Impulse zu setzen für ein lebendiges Musikleben, das unserem tradierten klassischen Musikerbe angemessen ist. Denn ich sehe nicht, um den folgenden Kongreß-Panels vorzugreifen, die klassische Musik im Ghetto, sondern all diejenigen marginalisiert, die der zeitgenössischen Ernsten Musik die notwendige Pflege versagen – sei es aus Interesselosigkeit, mangelnder Verantwortung oder gar kurzsichtigem Geschäftsdenken. Ich begrüße es sehr, daß die Veranstalter der Klassik Komm. 97 wieder [...] Konzerte der zeitgenössischen Musik veranstalten und somit auch der lebendigen Musik ein Forum bieten. Die Konzertbesucher werden mit neugierigen, mit offenen Ohren kommen, um zu erleben, daß die zeitgenössische Musik immer dann etwas Wertvolles zu sagen hat, wenn man ihr nur den Raum zum Erklingen gibt.

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