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Der Intendant der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt Graz, Wolfgang Lorenz, warnt davor, den Auftrag Kulturhauptstadt als touristisches Unternehmen oder als Festival zu verstehen. «Das Allerschlimmste, was man als Kulturhauptstadt machen kann, ist eine Art kulturelles Oktoberfest übers ganze Jahr».
Graz (ddp). Das am 30. November zu Ende gegangene Kulturhauptstadtjahr in Graz habe gezeigt, dass «der doch ein bisschen abgelutschte Titel» eine enorme gesellschaftspolitische und infrastrukturelle Kraft entwickeln könne.Dabei sei keines der 108 Projekte mit rund 6000 Veranstaltungen mit dem Gedanken entwickelt worden, dass es touristisch besonders populär sein könnte. «Wir wollten ein künstlerisch-kulturelles Programm machen, und wenn das in der Stadt funktioniert und bei ihren Bürgern sozusagen eine neue Identität auslöst, dann kommen auf einmal auch die Touristen», betonte Lorenz.
Auch rate er vor «zu tiefer Tradition» für eine Kulturhauptstadt ab. Bewerberstädte müssten für sich eine Vision von Europa entwickeln und ihren geschichtlichen Reichtum in die Zukunft transformieren. «Interessant ist, wie geht es weiter, wie stellen wir uns für die Zukunft und in Europa auf», betonte Lorenz. Außerdem müsse sich die Politik weitgehend aus der inhaltlichen Gestaltung heraushalten. Das Programm müsse unbedingt von einem unabhängigen Team verantwortet werden. «Sonst kommt nur die Kunst des Möglichen heraus. Kulturhauptstadt heißt aber, die Kunst des Unmöglichen machen», betonte Lorenz, der auch ORF-Programmdirektor ist.
Mit fast 2,8 Millionen Besuchern habe die Hauptstadt der Steiermark in diesem Jahr so viel Gäste angezogen wie eine Fußball-Weltmeisterschaft oder die olympischen Spiele und ein weltweites Echo ausgelöst, betonte Lorenz. Über die Kultur hätten sich die Grazer «einen neuen Stolz» und eine neue Stadt-Identität zugelegt.
Mit einem Plus von 25 Prozent bei den Übernachtungen sowie einer schwarzen Null bei einem Budget von 58,6 Millionen Euro gilt Graz auch wirtschaftlich als eine der erfolgreichsten Kulturhauptstädte bisher. Die durch das Projekt in Bewegung gebrachten Nachfragesummen und Investitionen berechneten Volkswirte auf das Vierfache der ursprünglichen Aufwendungen der Stadt von 18,2 Millionen Euro. Neben den kulturell-geistigen Impulsen bleiben der 250 000-Einwohner-Stadt eine umfassend erneuerte Infrastruktur mit zahlreichen neuen Kulturbauten wie Stadthalle, Kunsthalle, Literaturhaus, Kindermuseum und dem Gebäudeensemble auf der Insel in der Mur.
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Die Konzepte der drei bayerischen Kulturhauptstadt-Bewerber
Regensburg (ddp-bay). Ende März nächsten Jahres müssen die drei bayerischen Bewerber um den Titel Kulturhauptstadt Europa 2010, Bamberg, Regensburg und Augsburg, ihre Konzepte im Kunstministerium abgeben. Bundesweit sind mehr als ein Dutzend Städte im Rennen. Die Entscheidung trifft der Europäische Rat 2006 aus einer Vorschlagsliste des Auswärtigen Amts.
Mit 300 000 Euro bewilligte der Regensburger Stadtrat den höchsten Bewerbungsetat aller drei Städte. Unter dem Arbeitstitel «Regensburg 2010 - Alles wird denkbar!» brachten bisher laut Kulturhauptstadt-Manager Hubert Feil mehr als 1100 Kulturschaffende der Stadt ihre Vorschläge ein. Für die Bewerbung sollen noch vor Weihnachten eine ganzheitliche «Marken-Philosophie» mit einem Leitbild, einem Logo und einem eigenen Internet-Auftritt für die Bewerbung vorgestellt werden.
Der Bamberger Stadtrat bewilligte nur 100 000 Euro und verzichtete auf die Einstellung eines Managers. Oberstes Leitmotiv der Bewerbung sei Nachhaltigkeit, betont Stadtsprecher Steffen Schützwohl. Unter dem Motto «Bamberg bewegt!» und mit dem Bamberger Reiter als Logo wolle man daher vor allem auf das Engagement der Bürger setzen. Die durch die Bewerbung in Gang gekommenen Projekte sollen auch dann umgesetzt werden, wenn die Weltkulturerbe-Stadt nicht den Zuschlag bekommt. Daher verzichte man auf ein «überzogenes Programm-Feuerwerk», sondern wolle mit einem «Kulturfahrplan» bis 2010 und darüber hinaus positive Effekte für die Stadt erzielen.
Die Augsburger präsentieren ihr Bewerbungsmotto und -logo laut Bewerbungsintendant Thomas Höft erst einen Tag vor dem gemeinsamen Gespräch im Kunstministerium am 17. Dezember. Die Schwaben-Metropole will vor allem als einstige Römerstadt, als Ort des Religionsfriedens, als Fugger- und Industriestadt punkten. Erster konkreter Ausfluss des «Kulturhauptstadt-Fiebers» sei der Umbau einer brach liegenden Spinnerei zu einem Textilmuseum. Außerdem wurde auf dem Rathausplatz eine Art Amphitheater aus Euro-Paletten gebaut. Die «Kulturpalette» soll den Bürgern als Forum für künstlerische Darbietungen dienen. Das Budget beträgt zunächst 250 000 Euro.