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Die Nachrichtenlage aus Berlin Ende April ist nur mit einem Wort zu beschreiben: konfus. Mittel wurden gestrichen, dann wieder zugesagt. Was wirklich geplant ist, weiß keiner. Was wirklich in Berlin los ist, wollte Theo Geißler von Christian Höppner, Musikschulleiter und Präsident des Landesmusikrates Berlin wissen.
Die Nachrichtenlage aus Berlin Ende April ist nur mit einem Wort zu beschreiben: konfus. Mittel wurden gestrichen, dann wieder zugesagt. Was wirklich geplant ist, weiß keiner. Was wirklich in Berlin los ist, wollte Theo Geißler von Christian Höppner, Musikschulleiter und Präsident des Landesmusikrates Berlin wissen.Theo Geißler: Beim Kongress „Musik als Wirtschaft“ in Berlin tönte es laut vom Staatsminister Julian Nida-Rümelin bis hin zum Chef der Bertelsmann music group Thomas M. Stein: wie wichtig die musikalische Bildung sei, dass es eine Katastrophe sei, wenn die schulische und die außerschulische Musikausbildung unserer Kinder und Jugendlichen immer mehr reduziert würde. Schlagen sich diese Kraftworte aus Politik und Wirtschaft konkret bei Ihnen in Berlin nieder?Christian Höppner: Eigentlich ist das Gegenteil zu spüren, nämlich, dass die Angebote für die Bürger in der Stadt, was Bildung und Kultur angeht, rapide abgebaut werden. Wir haben es hier mit einer neuen Qualität von Politik, von Politikkultur zu tun. Ich habe jedenfalls hier in Berlin noch nie beobachtet, dass wir einen derart starken Finanzsenator haben, der im Grunde genommen Fachpolitik macht. Es fehlt auch überhaupt die Idee, was Berlin sich künftig an Kultur und Bildung leisten will und leisten muss. Ich glaube, dass wir hier auch von den Verbänden her einen Paradigmenwechsel einleiten müssen, der Musikpolitik im Kontext ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung versteht und stärker als bisher intern diskutieren: Was können wir der Politik, vor allem der Fachpolitik als Partnerschaft anbieten, mit welchen Konzeptionen können wir Kultur und Bildung künftig finanzieren, und zwar so, dass es weiterhin eine gesellschaftliche Akzeptanz findet? Wer sich kräftig wehrt, wenn gestrichen oder gekürzt wird, wie es jetzt bei uns im Landesmusikrat der Fall war, kann unter Umständen Glück haben. Dies wird aber nicht mehr lange funktionieren, weil sich die Schmerzgrenze mehr und mehr nach oben verlagert. Vor einem Jahr wäre es noch undenkbar gewesen, auch nur die Idee zu äußern, ein Opernhaus zu schließen. Heute ist das möglich, ohne dass eine Revolution ausbricht. : Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat sofort beteuert: Alle Opernhäuser bleiben auf jeden Fall erhalten. Ist das jetzt nur eine populistische Politikeräußerung oder ist das ernst zu nehmen?
: Ich glaube, dass Wowereit da einfach ein sehr geschicktes Rollenspiel betreibt. Denn im Grunde genommen hat das Land ja nicht mehr viele Möglichkeiten: Entweder wir erklären den Bankrott, was eigentlich bei einem Wirtschaftsunternehmen schon längst notwendig wäre, oder man versucht, den Bund auch in eine gewisse Zwangslage zu bringen. Oder man geht wirklich so rigide heran. Es sind Testballons, die da gestartet werden, um zu sehen, wie weit man so etwas treiben kann. : Es kam die Nachricht, dass in Berlin der Wettbewerb ”Jugend musiziert“ nicht mehr finanziert werden soll. Dies wurde von Jugend-Senator Klaus Böger veranlasst. Ferner wurde gemeldet, dass das Landesjugendorchester Berlin kein Geld mehr bekommt. Auch das Landesjugendstreichorchester soll geschlossen werden.
: Das Ganze ist zu sehen als Einstieg in den Ausstieg. Es fing an mit dem Austritt des Landes Berlin aus dem Verband deutscher Musikschulen, dann kam die Nachricht, dass Senator Böger die Absicht hat, diese drei Projekte, die Sie eben genannt haben, komplett zu streichen. Dann gab es einen entsprechenden, auch medial gut unterstützten Aufschrei, und zwar nicht nur von den Betroffenen, sondern von den Orchestern. Daniel Barenboim hat sich geäußert, die Hochschulen und so weiter. Jetzt hat Senator Böger eine 100-prozentige Kehrtwendung gemacht und über die Presse verbreiten lassen, dass der Musiker-nachwuchs für Berlin unverzichtbar sei, dass diese drei Projekte erhalten bleiben sollen. Das begrüßt der Landesmusikrat natürlich, es ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Aber es ist im Moment nicht mehr als eine Absichtserklärung. Meine Befürchtung ist, dass der Zeitfaktor doch wieder gegen diese Absichtserklärung spricht. Denn ich meine, die Haushaltsprobleme des Landes sind gewaltig, und wenn Böger planen sollte, dieses Thema im Juni dieses Jahres in die Haushaltsberatung im Abgeordnetenhaus zu verlagern, dann steht zu befürchten, dass wir aus der Situation nicht heil herauskommen. : Darf man an der Kompetenz dieses Senators starke Zweifel hegen?
: Die Zweifel sind angebracht. Besonders die Unfähigkeit zur Kommunikation – schon immer ein typisches Berliner Problem – wird auch mit diesem Senator wieder einmal deutlich. Dieser Zickzackkurs wird dann letztendlich damit erklärt, dass er sagt, da hat seine Verwaltung einen Fehler gemacht. Aber das geht in einer solchen Position nicht. Er hat ja anlässlich des Abschlusskonzertes von ”Jugend musiziert“ öffentlich und schriftlich erklärt, dass er diese Angebote auf jeden Fall erhalten und womöglich ausbauen möchte, und das auch vor dem Hintergrund, den wir mit der neuen Wertungskategorie Baglama gelegt haben, mit dem türkischen Instrument. Wir haben damit nach über 30 Jahren ”Jugend musiziert“ in Berlin erstmals einen Bereich geöffnet, der bei ”Jugend musiziert“ nicht vorkam. Die Baglama gehört zur Instrumentenfamilie der Saz und ist das türkische Nationalinstrument schlecht- hin. Die türkischen Mitbürger bilden eine große Zahl hier in Berlin und es ist das erklärte Ziel von ”Jugend musiziert“, dass wir versuchen wollen, ein Abbild der musizierenden Jugend Berlins darzustellen. : Eine weitere Hiobsbotschaft erreichte uns kürzlich: Es geht um die Berliner Musikschulen, die in den letzten Jahren immer schon ein wenig wackelten. Ein paar Worte zur Vorgeschichte – und zum aktuellen Stand.
: Bezüglich der Musikschulen haben wir in Berlin eine sehr gute Infrastruktur. Wir haben oder hatten einen relativ hohen Versorgungsgrad bezogen auf die Bevölkerungsdichte. Infrastruktur heißt, pro Bezirk eine Musikschule, also jetzt auch pro fusioniertem Bezirk, mit sehr unterschiedlichen Profilen. Das macht ja den Reiz in dieser Stadt aus, dass wir eben neben dem Grundangebot an Fachbereichen, das es überall gibt, doch sehr unterschiedlich profilierte Schulen haben. All das würde eine zentralistische Struktur ja nicht mehr in dem Maße hergeben. Nun ist durch dieses unselige Ping-Pong-Spiel zwischen Landesebene und Bezirksebene, zwischen Senat und Bezirken die Situation eingetreten, dass es eigentlich nie eine richtige Zuständigkeit gibt. Einerseits ist für übergeordnete Aufgaben der Senat zuständig, anderer- seits ist die Trägerschaft auf Bezirksebene angesiedelt. Das heißt, die Bezirke erhalten ihre Globalsumme und finanzieren daraus die Musikschulen. Durch die ständigen Kürzungen der letzten Jahre – wie gesagt, die Bezirke bekommen nur noch 46 Prozent ihrer konsumtiven Aufgaben von dem, was sie eigentlich nach den Bemessungsgrundlagen bräuchten – hat sich auch ergeben, dass Musikschulplätze abgebaut wurden, also sind in den letzten fünf Jahren 10.000 Unterrichtsplätze weggekürzt worden, obwohl der Bedarf nach wie vor vorhanden ist. Es stehen zurzeit rund 12.000 Schüler auf den Wartelisten. Die Kostendeckung im Vergleich Entgelt und Honorar geht bis zu 97 Prozent. Nun gibt es aktuell die Information aus dem Hause des Finanzsenators, dass er ernsthaft plant, die Musikschulen über eine entsprechende Kürzung der Globalsummenzuweisung abzuschaffen. Man ist sich nur über den Zeitpunkt noch nicht einig, wann die Musikschulen ersatzlos zu streichen seien. Beim Finanzsenator ist man der Auffassung, dass diese Arbeit auch von kirchlichen und privaten Trägern geleistet werden kann. Es ist für ihn zudem aus strategischer Sicht sehr einfach, sich der Musikschulen zu entledigen, weil sie überwiegend mit freien Mitarbeitern betrieben werden, die dann zu den regulären Terminen ohne Begründung und juristisch problemlos kündbar seien. Auch die fest Angestellten könnten dann mit Ende der Beschäftigungssicherungsvereinbarung, das heißt mit dem 1. Januar 2005 betriebsbedingt gekündigt werden, wenn die Aufgabe Musikschule im Land Berlin wegfällt. So das Szenario aus dem Hause des Finanzsenators. Staatssekretär Härtel hat mir erklärt, damit würde sich natürlich der Bildungssenator nicht einverstanden erklären, nur angesichts der wachsenden Kulturlosigkeit politischer Führung in dieser Stadt und der politischen Gewichtung habe ich ernste Zweifel, ob es da dem Fachsenator Böger noch gelingen würde, dieses Ansinnen abzuwenden. : Was können denn die Kulturinteressierten, die Eltern tun, um so einen Kahlschlag zu verhindern?
: Natürlich ist der Protest wichtig. Was wir eigentlich bräuchten, wäre ein neues Verständnis der Partnerschaft zwischen den Beteiligten, ein Bewusstsein, dass zum Beispiel auch ein Senator Böger die Verbände nicht als Gegner sieht. Wir sind keine Tarifpartner, sondern im Grunde genommen Ratgeber. Das Thema Musikschulgesetz oder auch Kultursicherungsgesetz ist schon seit zehn Jahren in der Diskussion. Jede Form der Planungssicherheit, egal ob als Gesetz oder als Rahmenvertrag, bindet aber das Abgeordnetenhaus in seiner haushalterischen Souveränität. Deshalb ist es bisher nicht gelungen, diese unabdingbaren Grundlagen einer konzeptionellen Bildungs- und Kulturarbeit im Schuldenmoloch Berlin durchzusetzen. : Wäre es nicht vorbildhaft, wenn Künstler aus der Stadt versuchen würden, angemessene Signale zu setzen?
: Das ist genau die Ebene, auf der ich noch eine Chance sehe und deshalb auch die Verbände dort abholen möchte, wo sie noch in einer unterschiedlichen Position sind. Zum Beispiel bei den Berufsorchestern, bei den Intendanten und Dirigenten oder auch bei den Orchestervorständen merke ich doch einen Umbruchprozess. Nicht nur, dass mehr und mehr die Orchester selbst auch Fördermaßnahmen initiieren, weil sie entdecken, dass sie ihr Publikum von morgen brauchen – auch die Vernetzung von verschiedenen Ebenen setzt sich allmählich durch. Hier wächst die Bereitschaft, zu einem verlässlichen Dialog zur Politik. Im Gespräch mit der Politik merke ich mehr und mehr, dass es auch einen Hunger gibt nach Vorschlägen, wie solche Konzeptionen aussehen könnten. Die vom Landesmusikrat seit fünf Jahren geforderte Einrichtung der Berliner Kulturkonferenz wird damit hoffentlich bald im „Forum Kultur“ ihre Entsprechung finden. Eine Steuerungsgruppe, bestehend aus sieben Personen, flankiert von entsprechenden Unterarbeitsgruppen, soll sich mit der zentralen Frage auseinander setzen: Wie konzeptionieren wir die Berliner Kulturlandschaft? : Was sehen Sie in dieser schwierigen Berliner Situation denn da als Lösungsansatz? Müsste man die Politiker in eine kulturelle Früherziehung schicken?
: Bei Politik und Verwaltung verfestigt sich ein Kulturbild, das Wirtschaftskraft und Touristen mit Kulturleben gleichsetzt und von der kulturellen Basis verlangt, dass sie privat abgewickelt wird. Denn Kultur braucht eigentlich keiner mehr.