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Innovativ aus Tradition

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Jeunesses Musicales mit neuem Generalsekretär
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Genau zwei Monate ist Ulrich Wüster als neuer Generalsekretär der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) im Amt. Obwohl noch etwas Zeit ist, bis „die hundert Tage“ voll sind, stellte sich der Nachfolger von Thomas Rietschel den Fragen von nmz-Redaktionsleiter Andreas Kolb.

Genau zwei Monate ist Ulrich Wüster als neuer Generalsekretär der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) im Amt. Obwohl noch etwas Zeit ist, bis „die hundert Tage“ voll sind, stellte sich der Nachfolger von Thomas Rietschel den Fragen von nmz-Redaktionsleiter Andreas Kolb.neue musikzeitung: Die Phase der Einarbeitung ist abgeschlossen, Sie haben sich einen Überblick über die Geschäfte, die laufenden Projekte und die Vorhaben dieses traditionsreichen bundesrepublikanischen Musikverbands ein Bild machen können. Auf welche inhaltlichen Schwerpunkte werden Sie besonderen Wert legen?

Ulrich Wüster: Die Jeunesses Musicales Deutschland war der Zeit immer einen Schritt voraus, in ihrem Selbstverständnis ist sie ein innovativer Verband mit Tradition. Unter dieser Prämisse ist es mir ein Anliegen, zunächst die Aktivitäten, die den Kern der Jeunesses Musicales bilden, weiter zu entwickeln: den Internationalen Opernkurs, den Internationalen Kammermusikkurs, überhaupt das Kursprogramm der Jeunesses Musicales. Außerdem ist die Jeunesses Musicales der Verband der Jugendorchester. Möchte sie die Interessen der Jugend vertreten, muss sie auch Trendscout sein und erkennen, was die musikalische Jugend heute und vielleicht auch morgen schon interessiert.

Wir wollen den Dialog mit der Jugend zukünftig noch direkter führen. Partizipation ist bei der Jeunesses Musicales groß geschrieben. So wird auch ein weiterer Schwerpunkt der näheren Zukunft darin liegen, die Mitglieder von Jugendorchestern zu motivieren und zu befähigen, ihre Geschicke „zu Hause“, also in Ihrem Orchester in die Hand zu nehmen.

: Das Jugendorchester als Praxislabor? : Die Jeunesses Musicales hat in der Vergangenheit ein wichtiges Instrument geschaffen, um diese Aktivitäten der Jugendlichen zu forcieren: das ist der Jugendorchesterpreis. Der läuft in diesem Jahr zum dritten Mal. Es gilt, Initiative zu ergreifen und sein Orchester selber zu vermarkten, selber Plakate zu machen, selber Programmgestaltung zu betreiben. Das Thema des diesjährigen Jugendorchesterpreises heißt „Macht ein Konzert für junge Hörer“, so dass unser Jeunesses-Thema „Konzerte für Kinder“ hier auch als Impuls für die Jugendorchester selbst angeboten ist. Sehr überzeugt bin ich von unserer Förderung junger Komponisten. Die Jeunesses Musicales hat hier ein etabliertes Forum, den Bundeswettbewerb Komposition. Wir werden 2003 einen internationalen Kongress zum Thema komponierende Jugendliche veranstalten. In Gemeinschaft mit der Stadt Weikersheim starten wir das Projekt „Stadtkomponist“. Ein junger Komponist wird jeweils für ein halbes Jahr nach Weikersheim geholt. Er bekommt ein Stipendium, um dort zu komponieren, soll aber vor allem auch mit der Jeunesses Musicales und ihren Projekten zusammenarbeiten und auch die Schulen und Musikschulen der Region einbeziehen.
: Betreut ein etablierter Komponist dieses Projekt? : Wir sind in der glücklichen Lage, dass der Vorsitzendende der Jeunesses Musicales, Martin Christoph Redel, als Komponist und Professor für Kompositionslehre in Detmold einen hervorragenden Ruf genießt. : Die Jeunesses Musicales hat drei Tätigkeitsbereiche: den lokalen Standort Weikersheim, ihre bundesweite Tätigkeit als Verband im deutschen Musikleben und ihre internationale Verflechtung. Ein paar Worte dazu? : Der Standort Weikersheim ist für die Kreativität der Jeunesses Musicales ein ganz wichtiger Platz. Durch die Jeunesses Musicales ist Weikersheim seit den 50er-Jahren zu einem Begriff in der deutschen Musiklandschaft geworden. Wir haben vor, gemeinsam mit der Stadt Weikersheim, die Trägerin der musikalischen Bildungsstätte ist, diesen Musikstandort weiter auszubauen, als Zentrum innovativer musikalischer Projekte und Ideen. Geplant ist zum Beispiel eine e-Community im Internet mit Zentrum Weikersheim aufzubauen, wir wollen noch weitere Musikverbände für Weikersheim als Standort interessieren. Es steht außerdem eine Neuorientierung der musikalischen Bildungsstätte auf dem Programm.
: Was darf man unter Neuorientierung verstehen? : Die Musikbildungsstättenlandschaft in Deutschland wird immer dichter besetzt. Das ist erfreulich, und der „Markt“ scheint vorhanden. Für eine gute Zukunftsperspektive muss man aber sein eigenes Angebot sehr stark profilieren. Das ist mein mittelfristiges Ziel für die nächsten drei bis fünf Jahre. : Bereits der Name ist international: Wie steht es mit der Internationalität der Jeunesses Musicales heute? : Die Jeunesses Musicales ist 1951 als deutsche Sektion einer internationalen Organisation gegründet worden. Dieses Selbstverständnis gilt nach wie vor. Wir sind auf diese Weise Teil eines Netzwerks mit 60 Ländern der Erde, das wir über die Zentrale in Brüssel auch aktiv pflegen. Schloss Weikersheim ist vor drei Jahren World Meeting Center der Jeunesses Musicales geworden. Dies wollen wir mit Leben füllen. 2003 werden wir etwa mit dem Jeunesses-Musicales-Welt-Orchester zusammenarbeiten und die Welt zu Gast in Weikersheim haben. : Welche Projekte gibt es 2003 außerdem? : Die Opernproduktion des Jahres 2003 ist „Carmen“, ein Publikumshit. Vielleicht nicht eben ganz so innovativ, aber lassen wir uns mal von der Inszenierung überraschen. Wir halten es für gerechtfertigt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine erfolgversprechende Oper anzuführen. : Schaut man als Mitglied eines internationalen Verbands nicht manch-mal neugierig über den Gartenzaun? : Die internationale Jeunesses-Gemeinde muss man sich sehr heterogen vorstellen. Und dies führt immer wieder zu gegenseitigen Anregungen. Zum Beispiel ist die Jeunesses Österreich der größte Konzertveranstalter des Landes für Konzerte für Kinder und Jugendliche. Das wollen wir hier gar nicht werden, aber wir haben das Thema „Konzerte für Kinder und Jugendliche“ aufgegriffen und dazu kulturpolitische Positionen und Beratungskompetenz aufgebaut.

Oder das Beispiel Venezuela: Die Jeunesses Musicales hat in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal eine große Deutschlandtournee des Venezuelanischen Jugendorchesters präsentiert. Dies ist das Aushängeschild eines großen Netzwerkes von Kinderorchestern im ganzen Land, in denen Kinder aus den sozialen Brennpunkten der Großstädte angeleitet werden, Musik zu machen, und darüber hinaus ein Zuhause und eine Lebensperspektive bekommen. Eine Idee, bei der wir gerade überlegen wie sie für deutsche Verhältnisse zu interpretieren ist.

: Die Jeunesses Musicales begreift ihr musikalisches Tun auch als Ausdruck gesellschaftlicher Standpunkte? : Richtig. Wir haben beispiels- weise dieses Jahr unter dem Titel „Wei-kersheimer Begegnung“ zum ersten Mal mit großer Resonanz das Projekt „Orient-Okzident“ durchgeführt: Junge Musiker aus arabischen Ländern kamen nach Weikersheim und führten dort einen sehr intensiven musikalischen, aber auch verbalen Dialog. : Für die Mitgliedsschulen des VdM haben Sie in Ihrer früheren Tätigkeit ein Qualitätsmanagement (QM) entwickelt. Was heißt Qualitätsmanagement im Zusammenhang mit der Jeunesses Musicales? : Qualitätsmanagement heißt auf der einen Seite in klar definierten Bahnen zu arbeiten. Eine klare Zielsetzung zu formulieren. Da kann ich hier auf vielem aufbauen. Qualitätsmanagement heißt aber auch kundenorientiert und mitgliederorientiert zu denken und zu handeln. Wir wollen die Mitgliedschaft in der Jeunesses Musicales gerade für junge Leute noch interessanter machen, für Jugendorchester, aber auch für Einzelmitglieder. Kundenorientiert heißt im Hinblick auf unsere Kursveranstaltungen und als Betreiber der musikalischen Bildungsstätte Servicequalität vorzuhalten. Qualitätsmanagement heißt dazu, das Ganze dann noch möglichst wirtschaftlich zu führen. : Beim VdM waren Sie acht Jahre hauptsächlich für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Was planen Sie für die Jeunesses Musicales in diesem Feld? : Als praxisgeprüfter Öffentlichkeitsarbeiter sehe ich freilich allerhand Potenziale. Die Jeunesses Musicales ist sehr bekannt, ich brauche nur wenig Imagewerbung zu betreiben. Wir haben vor, ein Gesamtkonzept unserer öffentlichen Darstellung zu entwickeln. Dazu werden wir sicher auch externen Rat bemühen. Die Ressourcen dafür habe ich schon bereitgestellt. : Im Rahmen der Debatte um die Zukunft des Deutschen Musikrates wird derzeit viel von Ehrenamt und professioneller Verbandarbeit gesprochen. Wie stellen sich diese Bereiche bei der Jeunesses Musicales dar? : Die Jeunesses Musicales lebt geradezu von einem fantastischen ehrenamtlichen Engagement. Zum Beispiel im Vorstand, wo Menschen aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen sich für die Arbeit dieses Verbandes einsetzen und wirklich aktiv arbeiten. Sie brauchen und verdienen dafür die hauptamtliche Unterstützung um-so mehr.
Ich habe aber den Eindruck gewonnen, dass bezüglich Arbeitsteilung und Kommunikation gute Strukturen vorhanden sind. : Die Jeunesses Musicales finanziert sich vor allem durch öffentliche Gelder. Spielen daneben private Finanzierungsmodelle in Zukunft möglicherweise eine größere Rolle? : Bei der JMD tun sie das bereits und mit unseren „Haus“-Sponsoren sind wir in gutem Gespräch. Dennoch erleben es auch wir, dass es immer schwerer wird, an Gelder der öffentlichen Hand oder auch privater Geldgeber zu kommen. In bestimmten Bereichen muss ich versuchen, in den nächsten Jahren auch in Richtung vertraglicher Absicherung von Zuwendungen eine größere Planungssicherheit zu erzielen. : Überlegungen zu Teilprivatisierung wie es in Modellen für den zukünftigen Deutschen Musikrat angedacht wird, existieren nicht? : Auch im Non-Profit-Bereich wird heutzutage keiner darum herumkommen, betriebswirtschaftliches Denken in sein Management mit einzubeziehen. Ich halte aber eine Privatisierung bestimmter Aufgaben nicht für den richtigen Weg, wenn dadurch der Zugriff auf die Gestaltung dieser Aufgaben mittelbarer wird. Ich glaube, es ist eine Stärke der Jeunesses auch zu Gunsten ihrer Experimentierfreudigkeit, dass sie unmittelbar über ihre Geschicke bestimmen kann. Das können wir mit den bisherigen Partnern und Strukturen. : Wie schätzen Sie die Zukunft des Deutschen Musikrates ein? : Die Jeunesses Musicales war stets eines der aktiven Mitglieder des Deutschen Musikrats und wird es bleiben. Hier gibt es ein Forum, in dem auch die Stimme der musikalischen Jugend nicht ungehört verhallt, sondern eher verstärkt in einen Interessenabgleich zwischen Künstlern, Pädagogen und Wirtschaft eingeht, der in dieser Form einzigartig ist. Gerade die Förderprojekte des Musikrats – Jugend musiziert, das Bundesjugendorchester und die gesamte Palette – sind bei einem Dachverband viel besser aufgehoben als bei Einzelverbänden und ihren Einzelinteressen, zumal sie so auch optimal koordiniert werden können. Der Deutsche Musikrat muss – und zwar in größter Selbstbestimmung – handlungsfähig bleiben. Thomas Rietschel sollte in diesem Bemühen alle Unterstützung erfahren.

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