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Kulturpolitik spielte schon im Wahlkampf nicht mehr die Rolle, die sie noch unter Bundeskanzler Schröder innehatte: Kultur war ein Thema auf gleicher Augenhöhe mit den so genannten „großen Themen“, wie der Wirtschafts- und Finanzpolitik: Doch schon im Wahlkampf war die frühere Kulturstaatsministerin Weiss nicht präsent, auch nominierte Rot/Grün keinen Nachfolger. Für Kultur schickte Rot/Grün niemanden in den Wahlkampf.
Parallel dazu zog sich Antje Vollmer, die Vorkämpferin für Kultur bei Bündnis90/Die Grünen, aus dem Bundestag zurück. Dagegen berief die CDU/CSU in das Kompetenzteam für Kultur den gerade neu gewählten Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Lammert erklärte, dass es in der Kultur kaum einen Parteienstreit um Positionen gäbe. Kurz: Für die künftigen Großkoalitionäre war Kultur schon während des Wahlkampfes kein Thema. Dabei gibt es viel Klärungsbedarf und Konfliktstoffe. Immerhin setzte die FDP bundesweit auf Kultur im Wahlkampf und führte zahlreiche Veranstaltung allein zur Kulturpolitik durch: Sicherung der Künstlersozialversicherung, Transparenz und Staatsferne in der Kulturfinanzierung, GATS, Hauptstadt-Kulturfonds, Auswärtige Kulturpolitik – die Liste offener Fragen ist lang. Doch auch der Bundestagswahl sind bisher die zwei Hauptfragen noch offen: Wird der Bund ein Bollwerk bleiben gegen die Kürzungen der Kulturausgaben in den Ländern und den Kommunen? Wird der Bund eine aktive Kultur-Ordnungspolitik betreiben – auch in Europa?In Höhe von 5 bis 10 Prozent streichen viele Bundesländer jedes Jahr ihre Kulturausgaben – allen voran Bayern. Der Aberglaube, dass man so einen Haushalt sanieren könnte, spukt immer noch in den Ministerien – mit einigen Ausnahmen: Das Land NRW hat beispielsweise unter der von Ministerpräsident Rüttgers geführten schwarz-gelben Koalition schon wenige Monate nach Amtsantritt die Erhöhung der Kulturetats um 10 Prozent für 2006 festgelegt. Dies lies für den Bund hoffen!Doch diese NRW-Steilvorlage für eine Stärkung der Kulturpolitik wurde von den Großkoalitionären in Berlin nicht aufgegriffen – im Gegenteil: Vor den Koalitionsverhandlungen wurden für alle Ressorts die künftigen Minister berufen – nicht so für das Amt des Kulturstaatsministers. Doch wer soll für den Etat und die Aufgaben einer künftigen Kulturpolitik im Bund kämpfen, wenn nicht ein künftiger Kulturstaatsminister in den Koalitionsverhandlungen? Niemand – oder vielleicht der künftige Finanzminister Peer Steinbrück, der noch letztes Jahr als Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens die reduzierte Mehrwertsteuer für Kultur als unnötige Subvention streichen wollte ?!
Die Große Koalition hat die künftigen Minister vor den Koalitionsverhandlungen benannt – aus gutem Grund: Was immer in den Koalitionsverhandlungen vereinbart wird, muss von Personen umgesetzt werden – von Personen, die sich damit identifizieren. Doch man verzichtete darauf, eine Person für das Staatsministerium für Kultur zu benennen – wissend, dass dies das Thema „Kultur“ in der Koalitionsverhandlung schwächen würde. Natürlich musste den Großkoalitionären auch klar sein, dass Tausende von öffentlichen Kulturinstituten und rund 960.000 Erwerbstätige in der Kulturwirtschaft enttäuscht sein würden. Allen voran das SPD Kulturforum und SPD-Kultur-Wahlkämpfer wie Klaus Staeck wurden vor den Kopf gestoßen. Warum glauben die Großkoalitionäre, dass eine Branche, die größer als die Energiewirtschaft in Deutschland ist, keine personifizierte Vertretung in den Koalitionsverhandlungen braucht? Nicht zuletzt ist Kulturwirtschaft eine der letzten Branchen in Deutschland, in denen Arbeitsplätze entstehen und ein Wirtschaftswachstum von ca. 2,2 Prozent (Durchschnitt 1996 – 2002 ) vorhanden ist.
An mangelnder Kompetenz liegt es nicht: Norbert Lammert und Wolfgang Thierse wissen dies alles und stellen die Arbeitsgruppe Kultur in den Koalitionsverhandlungen. Personalmangel für einen Staatsminister scheidet auch aus: Gitta Connemann, Karin von Welck, Monika Grütters und Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff sind alle qualifizierte Kenner der Kultur und haben Verwaltungserfahrung.
Die These, dass die Großkoalitionäre das Thema „Kultur“ gezielt zurückgesetzt haben, ist so erschütternd, dass man sie kaum wahrhaben mag, doch scheint sie unabweisbar: Ohne die Benennung eines künftigen Kulturstaatsministers werden sich die Kompetenzen des Kulturstaatsministers in den Koalitionsverhandlungen eher verschlechtern als verbessern. Dass die KMK in diesen Tagen entschied, einige Kulturausgaben – z.B. für die Nachwuchsförderung im Film - um rund 5 Prozent kürzen, mag Zufall sein. Doch diese Entscheidung fiel im Machtvakuum des Bundes: Besser hätten die Bundesländer es nicht planen können, um öffentlichen Protesten möglichst zu entgehen. Die Bundesländer – ob rot oder schwarz – betreiben seit Jahren Kahlschlag in der Kulturausgaben ihrer Länder, doch nehmen sie vom Bund gerne Zuschüsse für Prestigeprojekte von nationaler Bedeutung – möglichst stillschweigend, um die Kulturhoheit der Länder nicht kompromittieren. Allerdings können die Länder die Fahne „Kulturhoheit der Länder“ schon seit Jahren nicht mehr allein hochhalten.
Nun werden viele ehemalige Länderminister und Ministerpräsident im Bundeskabinett sitzen: Werden Stoiber und Steinbrück ihre kurzsichtige Länderkulturpolitik im Bund fortsetzen? Wer dies im Sinne hat, kann nur einen schwachen Kulturstaatsminister gebrauchen, der das Ergebnis einer Koalitionsvereinbarung vorgesetzt bekommt und als Verwalter ausführen darf. Man stelle sich vor, ein künftiger Finanzminister würde berufen nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen – ein Skandal. Kultur steht zurzeit im Bund nicht mehr auf gleicher Augenhöhe mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Sollte sich diese Schieflage der Kulturpolitik fortsetzen, ist dies nicht nur für die Kultur von Nachteil: Eine Reform Deutschlands gelingt nur durch Innovation und Risikobereitschaft: Doch das sind Kernkompetenzen in der Kultur, insbesondere der Künstler, die auch für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsreform wichtig sind. Daher müßten - im Interesse einer Reformpolitik für Deutschland - die Koalitionsverhandlungen Kulturpolitik stärken, nicht kalt stellen.
Bernd Fesel
Diplom Volkswirt
Weitere Informationen: http://www.berndfesel.de