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Kultur- und Kreativwirtschaft 2007

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Hohe Umsätze allein machen nicht glücklich
Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird 2007 ein Thema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sein. Ein Anlass, sich - jenseits von Jubelmeldungen über hohe Umsätze - die Lage der verschiedenen Branchen der Kulturwirtschaft präzise anzuschauen.

Die gute Nachricht ist einfach wie sensationell: Nach drei Jahren der Rezession wächst der Umsatz von Deutschlands “Creative Industries” (sog. Kreativwirtschaft) erstmals wieder von 114,6 Mrd. € in 2003 um 2,2 Prozent auf 117,1 Mrd. € in 2004. Auf der von der Friedrich-Naumann Stiftung und dem Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft veranstalteten Tagung wurden die Konjunktur-- und Beschäftigungstrends in der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland bekannt gegeben. Dabei legte nach Angaben des Arbeitskreises Kulturstatistik der Umsatz in der Designwirtschaft um 6,5 Prozent und in der Games Industrie sogar um sensationelle 11,4 Prozent zu. Rückläufig sind unverändert Filmwirtschaft/TV Produktion (- 4,5%), Architektur (- 4,6%), Journalismus (- 3,1%) und das Verlagswesen (- 0,3%). Design und Games sind die neuen Wachstumsmotoren der “Creative Industries” am Anfang des 21. Jahrhunderts. Die Kreativwirtschaft ist gemessen an der Bruttowertschöpfung von 58 Mrd. Euro in 2004 größer als die Chemie-Industrie (46 Mrd. Euro), die Energie-Branche (33 Mrd. Euro) und die Landwirtschaft (24 Mrd. Euro).,

Durchschnittliche Einkommen sinken
Doch die schlechte Nachricht der letzten Jahre ist unverändert: Der Umsatzboom führt im Durchschnitt nicht zur Steigerung der Einkommen der rund 200.000 Firmen in der Kultur- und Kreativwirtschaft, denn: Die Zahl der Unternehmen stieg in 2004 von ca. 191.000 auf 200.000 um 4,2 Prozent und damit fast doppelt so stark wie der Umsatz. Wächst die Zahl der Marktteilnehmer jedoch schneller als der Umsatz der Branche, bleibt für jeden Akteur im Schnitt weniger vom Kuchen. Bedenkt man zusätzlich, dass die Einkommen zwischen den Akteuren natürlich nicht gleich verteilt sind, kann man zu Recht vermuten, dass die allermeisten Firmen den Umsatzboom nicht in steigende Einkokmmen umsetzen können. Und sogar in Branchen mit sinkenden Umsätzen legte die Zahl der Firmen zu – z.B. Filmwirtschaft: Umsatz – 4,5%, Firmenzahl + 1,1%. Verlagsgewerbe: Umsatz – 0,3%, Firmenzahl + 2,0%. In der Boombranche Games Industrie stieg die Zahl der Firmen genauso stark wie der Umsatz (+ 11,4%). Rückläufig war die Zahl der Firmen in der Branche der Einzelhandels mit Bücher (- 0,2%). In der Branche Darstellende Kunst/Musik/ Kunst stieg die Zahl der Einzelunternehmen (+ 4,0%) sogar stärker als der Umsatz (+ 2,6%). Die durchschnittlichen Einkommen in der Boombranche Kreativ- und Kulturwirtschaft dürften daher paradoxerweise stagnieren oder rückläufig sein.

Nachhaltigkeit des Aufschwungs gefährdet
Immer mehr Existenzgründungen, immer mehr Umsatz: Das allein ist keine Erfolgsstrategie für die Kulturwirtschaft, denn: Werden die Einkommen nicht parallel zu den Umsätzen steigen, kann man wohl erwarten, dass viele Akteuere nicht gut vorbereitet sind auf die Krise, die jedem Boom folgt. Wie sollten sie Rücklagen bilden? Und wie sollten sie in neue Produkte, also in Märkte der nächsten 10 Jahre investieren, wenn die Erträge heute nicht steigen. In diesem Fall könnte der Boom der Kreativwirtschaft auf kapitalschwachen, sprich tönernen Füssen stehen – dies umso mehr, als Fremd- und Kreditfinanzierung den meisten Firmen in der Kulturwirtschaft nicht zugänglich sind. Ob der frische Boom also nachhaltig ist, wird sich daran erweisen, ob es gelingt in den nächsten Jahren die Einkommen und damit die Eigenkapitalkraft der kulturwirtschaftlichen Akteure zu erhöhen.

Werden die Strategien der 90er Jahre kontraproduktiv?
Was ist aber eine nachhaltige Strategie für Kulturwirtschaft? Bevor man sich an dieser visionären Frage für die nächsten 10 Jahren festdiskutiert, empfiehlt es sich pragmatisch zu prüfen, welche heutigen Strategien nicht mehr zukunftsfähig sind. Von welchen liebgewonnenen Zöpfen müssen wir uns möglicherweise sofort verabschieden?

 Die Produktion von Kultur und Kreativität entsteht durch die innere Motivation des Künstlers und der Kreativen. Angesichts des vorhandenen enormen und schon für die Firmeneinkommen kontraproduktiven Zuwachses an Firmengründungen muss daher die Strategie „Existenzgründung“ nicht länger eine Priorität in der Kulturwirtschaftspolitik sein. Die Strategie der Förderung der Existenzgründungen war erfolgreich – jetzt muss sich die „Sicherung“ der Existenzen anschließen.

 Wirtschaftliche Existenzen in der Kulturwirtschaft lassen sich auf Dauer nicht durch kostengünstige Infrastrukturen „sichern“ – ob durch Immobilienleerstand oder Industriebrachen. Denn: Die Nachfrage nach Kultur ist höchst wandelbar, da Kultur als Vertrauensgut ständig neu bewertet werden kann. Wenn einem Kinobesucher der Film abends noch gefiel, kann er morgens nach einer Diskussion mit Kollegen am Arbeitsplatz zu einem neuen Schluss kommen – und schon entfällt die Nachfrage nach dem zweiten Kinobesuch. Ohne Kulturrezeption, Teilhabe an Kultur und damit Kultur-Nachfrage keine kulturwirtschaftliche Existenzen – kostengünstige Produktionsbedingungen sind nur eine Überbrückung bis zur bitteren Wahrheit der fehlenden Anerkennung bzw. des ausbleibenden Publikums.

Einmal Umdenken führt zu vielen neuen Strategien
Es wäre schon der Anfang einer neuen Kulturwirtschaftspolitik, wenn die Politik in Bund, Ländern und Kommunen bisher richtige, heute möglicherweise kontraproduktive Strategien überprüft und ggs. einstellt. Ziel einer neuen Strategie sollte es sein, mehr Nachfrage für Kulturprodukte zu schaffen. Dies bedeutet die Vermittlung von Kultur zu stärken, nicht die Qualität von Kultur zu senken. Wer das Interesse der Bevölkerung an Kultur fördert, der stärkt die Nachfrage nach Qualität und Vielfalt der Kultur und damit die Einkommen in der Kulturwirtschaft. Diese können dann ihrerseits wieder in die Entwicklung innovativer und spannender Kultur investieren. Ein positiver, sich selbst tragender Kreislauf könnte beginnen. Entlang dieses roten Fadens - Effektivität des Marktes im Vertriebs- und Finanzierungsbereich verbessern - lassen sich viele neue Strategien zur Förderung privatwirtschaftlicher Kulturproduktion und –vermittlung entwickeln.

Die deutsche Ratspräsidenschaft könnte die Gelegenheit sein, neue Ansätze in der Kulturwirtschaftspolitik zu wagen.
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