Im EG-Vertrag von Amsterdam in der Fassung vom 2. Oktober 1997 sind der Förderung des Jugendaustauschs eineinhalb Zeilen gewidmet, der Vertrag von Nizza hat da keine Änderung gebracht. Was die EU-Kommission daraus gemacht hat, ist mehr als beachtlich: In dem bis zum Jahre 2006 laufenden Programm „Jugend“ werden immerhin 520 Millionen Euro als Fördermittel zur Verfügung gestellt; darin enthalten sind die Mittel für die Nationalagenturen, über die die Fördermittel vergeben werden.
Im EG-Vertrag von Amsterdam in der Fassung vom 2. Oktober 1997 sind der Förderung des Jugendaustauschs eineinhalb Zeilen gewidmet, der Vertrag von Nizza hat da keine Änderung gebracht. Was die EU-Kommission daraus gemacht hat, ist mehr als beachtlich: In dem bis zum Jahre 2006 laufenden Programm „Jugend“ werden immerhin 520 Millionen Euro als Fördermittel zur Verfügung gestellt; darin enthalten sind die Mittel für die Nationalagenturen, über die die Fördermittel vergeben werden.Das EU-Parlament hatte mehr als 900 Millionen Euro gefordert, die EU-Kommission sel- ber mehr als 700 Millionen, die nationalen Finanzminister ließen sich aber nicht mehr abringen als die besagten 520 Millionen. Immerhin ist das Programm so attraktiv, dass die Beitrittsländer alle Anstrengungen unternehmen, um den Beitrag zu zahlen, der sie berechtigt, an den Programmmitteln zu partizipieren. Hier erscheint der Hinweis notwendig, dass dieser Beitrag von seiner Höhe her nicht selten den gesamten Etat einzelner Beitrittsländer für ihre internationale Jugendarbeit auffrisst.Mit anderen Worten: das Programm ist beliebt, der politische Wille zu seinem Ausbau ist vorhanden, und überdies hat das „Deutsche Büro Jugend für Europa“ als Nationalagentur einen guten Ruf. Also alles bestens. Oder doch nicht?
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, das Programm in allen seinen Facetten ausführlich darzustellen; hier mag der Hinweis genügen, dass in der „Aktion 1“ bi-,tri- und multilaterale Jugendbegegnungen und in der „Aktion 2“ die Europäischen Freiwilligendienste gefördert werden, während die Fachkräfte der internationalen Jugendarbeit für unterstützende Maßnahmen in Bezug auf die „Aktion 1“ aus der „Aktion 5“ finanzielle Hilfe erfahren können.
Das klingt alles recht vernünftig und durchdacht – ist es sicherlich auch –, geht aber völlig an der kulturellen Jugendbildung vorbei, zumindest an der deutschen Szene, die so konstruiert ist, dass sie die Förderbedingungen einfach nicht erfüllen kann. Darüber kann auch eine Statis- tik nicht hinwegtäuschen, die in der „Aktion 1“ eine Förderung der kulturellen Jugendbildung von mehr als 20 Prozent ausweist. Hier handelt es sich in der Regel um homogene lokale Jugendgruppen, die sich bei ihren internationalen Treffen der Mittel und Methoden der kulturellen Jugendbildung bedienen, eine sehr zu begrüßende Entwicklung, denn dafür bietet die kulturelle Jugendbildung ja zu einem guten Teil ihre Fortbildungsseminare an, – nur hat das mit dem Kern der kulturellen Jugendbildung, der in Deutschland jährlich mehr als zwölf Millionen Kinder und Jugendliche anzieht, nichts zu tun; denn hier kommen in aller Regel heterogene Gruppen zusammen, die im gemeinsamen Streben nach künstlerischem Ausdruck in einer Weise zueinander finden, die die Begegnung zum prägenden Erlebnis macht – und damit Bildung vermittelt.
Auch die für die Jugendkulturszene typischen Großveranstaltungen kommen für eine Förderung aus EU-Mitteln nicht in Betracht, weil die Teilnehmerzahl auf 60 begrenzt ist (Chor aus dem einen Land trifft Orchester aus anderem Land ist schon nicht mehr drin). Wettbewerbe gar, die ja den zusätzlichen Sinn hätten, ein Findungsinstrument für auf demselben Niveau agierende Gruppen in Europa zu sein, sind gänzlich verpönt.
Die Gründe hierfür liegen in der his- torischen Entwicklung der Jugendarbeit in Deutschland und in Europa. Spätestens seit 1968 hat sich die Jugendverbandsarbeit in der Bundesrepublik die politische Jugendbildung auf die Fahnen geschrieben, und zwar mit einer fast radikalen Ausschließlichkeit. Das brachte für die Protagonisten unter anderem den Vorteil, dass sie an der europäischen Entwicklung erheblich früher und intensiver Anteil hatten als die Vertreter anderer Bereiche der außerschulischen Jugendbildung. Durch ihren europäischen Zusammenschluss in „Cenic“ waren sie früh ein respektabler und respektierter Gesprächspartner der EU-Kommission; sie sind es bis heute geblieben,denn der Kern des Europäischen Jugendforums, das die EU-Kommission bei der Ausgestaltung ihrer Jugendpolitik und - förderung berät, ist eben „Cenic“.
Europäische Analogie
Damit vollzieht sich auf der europäischen Ebene genau dieselbe Entwicklung, die es zuvor beim Kinder- und Jugendplan des Bundes zu beobachten gab. Auch hier ist man bei der Entwicklung der Förderrichtlinien von den Bedürfnissen der Jugendverbandsarbeit ausgegangen, der Ausbau der kulturellen Bildung musste über die Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen erkämpft werden.
Gewiss, im Europäischen Jugendforum sitzen auch Vertreter von Organisationen der kulturellen Jugendbildung; sie sind aber so in der Minderheit, dass Abstimmungen für sie sehr häufig zu Frustrationserlebnissen führen. Das Kräfteverhältnis im Europäischen Jugendforum zeigt, dass die Unterbewertung der kulturellen Jugendbildung kein deutsches Problem ist, auch wenn es hier aufgrund der quantitativen Diskrepanzen besonders ins Auge sticht. Es wäre auch nicht sehr überzeugend, wenn eine Änderung der EU-Förderpolitik allein auf den quantitativen Aspekt gestützt werden müsste. Vielmehr muss die Frage gestellt werden, ob die derzeitige Förderpraxis den Zielen der europäischen Jugendpolitik gerecht wird. Oberstes politisches Ziel ist die Herstellung eines europäischen Bewusstseins bei jungen Menschen. Hiermit wird begründet, dass die Förderung der EU-Kommission die Förderung der Mitgliedsstaaten ergänzt, aber nicht ersetzt (weshalb dann die bilateralen Programme zwischen den Mitgliedsstaaten so stark zurückgehen, darf hinterfragt werden).
Kultur als lingua franca
Ein europäisches Bewusstsein war vor dem Aufkommen der Nationalstaaten in Europa durchaus existent, die lateinische Sprache war die lingua franca, die dieses Bewusstsein transportierte, allerdings mit dem Nachteil, dass nur die höheren Schichten daran teilhatten. Die EU-Kommission war sich dieses Tatbestands vielleicht sehr bewusst, als sie entschied, dass vor allem lokale Gruppen, darunter zu einem Drittel Jugendliche mit erschwertem Zugang zur internationalen Begegnung, in den Genuss der europäischen Fördermittel kommen sollen. Wenn es im heutigen Europa eine lingua franca gibt, ist es die Kultur, vornehmlich die Musik. Die englische Sprache kann und will es nicht sein, unsere benachbarten Inselbewohner sind inzwischen eher entsetzt, was auf dem Kontinent mit ihrer Sprache geschieht – und das in Deutschland erschreckend weit verbreitete „Denglisch“ führt mehr zur Verwirrung als zur Verständigung. Und wenn die Vielfalt die Attraktivität Europas ausmachen soll, fällt das Augenmerk wie von selbst auf die Kultur. Ansonsten macht die Gleichmacherei große Fortschritte: den Tanz ums Goldene Kalb machen alle mit, die Wirtschafts-Multis lassen die Städte einander immer ähnlicher werden, auch die Kleidung, also die Selbstinszenierung der Menschen, wird uniformer, die Nahrung schmeckt immer ähnlicher, kurz, die Lebensumstände der Einzelnen sind inzwischen einander so angenähert wie der Sozialismus es sich aus ideologischen Gründen immer erträumt hat.
Bleiben als wesentliche Unterscheidungsmerkmale, was an Natur und Klima noch nicht verändert werden konnte, und eben die Kultur als bewusst gepflegte Eigenheit. Es liegt im ureigensten Interesse Europas, seine Attraktivität zu pflegen und die Hinwendung junger Menschen zur Kultur für seine Zwecke zu nutzen. Ein europäisches Bewusstsein, das auf die Bewusstheit von Vielfalt gegründet ist, bleibt lebendig, bleibt auch offen für neue Entwicklungen und setzt damit geistige Kräfte frei, die ein Abschotten Europas gegenüber den anderen Kontinenten verhindern.
Dass Europa als politisches Gebilde von der Jugend immer weniger wahrgenommen wird, ist eine beklagenswerte Tatsache, die nicht nur an der Wahlbeteiligung zum Europäischen Parlament, sondern auch anhand von Jugendstudien ( z.B. Shell-Studie) festzustellen ist. Wie soll hier nachhaltig Besserung eintreten, wenn die europäische Jugendförderung an der größten Gruppe der Jugendlichen, die über die kulturelle Jugendbildung erreicht wird, völlig vorbeigeht?
Die kulturelle Jugendbildung ist für ein lebensfähiges Europa ein unverzichtbarer Baustein. Das Umsetzen dieser „Erkenntnis“ in die Praxis der europäischen Jugendpolitik bedarf großer Behutsamkeit. Ein Vorpreschen von deutscher Seite würde den Vorwurf der Germanozentrik provozieren, womit das Anliegen verniedlicht würde, aber auch eine adäquate Wahrnehmung des Problems verhindert würde. Andererseits sollte vermieden werden, bei den derzeit Geförderten Verlustängste zu schüren, was schon deshalb nicht zu rechtfertigen wäre, weil die bereitgestellten Fördermittel ja auch wirklich abgerufen, also auch benötigt werden.
Eine Ausweitung des bestehenden Förderprogramms „Jugend“ erscheint nicht sinnvoll im Hinblick auf die dann notwendige Ausweitung von Förderbestimmungen, die das Programm in seiner Gesamtheit unerträglich verbürokratisieren würde.
Bleibt als sinnvolle Möglichkeit die Installation eines eigenen EU-Förderprogramms für kulturelle Jugendbildung. Um das zu erreichen, müsste zwischen den Trägern auf der nationalen Ebene ein gemeinsames Vorgehen abgesprochen werden, besser noch, bereits bestehende europäische Zusammenschlüsse genutzt werden, um die in Brüssel erforderliche Lobbyarbeit zu leisten. Um zu dieser Zusammenarbeit zwischen den Trägern auf europäischer Ebene zu kommen, könnten zwei Wege hilfreich sein: zum einen eine finanzielle Unterstützung auf der jeweils nationalen Ebene aus den durch Verlagerung in das europäische Programm eingesparten Mitteln (siehe oben), zum anderen durch Nutzung der Aktion 2 des EU-Programms „Jugend“, indem die Träger im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes Freiwillige aus kulturellen Organisationen anderer europäischer Länder bei sich aufnehmen und eigene Mitarbeiter in gleicher Weise ins europäische Ausland entsenden. Um Freiwillige bei sich aufnehmen zu können, muss eine Organisation als Aufnahmestelle von Brüssel anerkannt sein; um diese Anerkennung zu erhalten, bedarf es einer Interessensbekundung gegenüber der EU-Kommission, deren Bestätigung noch keinen verpflichtenden Charakter hinsichtlich einer tatsächlichen Aufnahme eines Freiwilligen hat. Für solche Interessensbekundungen kämen in Deutschland nahezu alle Geschäftsstellen auf der bundes- und der Länderebene in Betracht, die Akademien, Hunderte von Musikschulen, Jugendkunstschulen et cetera. Allein diese Interessensbekundungen wären eine überzeugende Demonstration des Potenzials, das die EU-Kommission derzeit noch außer Acht lässt. Der Kommission sollte geholfen werden können.