München/Erfurt - Der Vorstoß des britischen Kunstexperten Sir Norman Rosenthal nach einem Ende der Rückgabe von NS-Raubkunst an die Erben der früheren jüdischen Eigentümer hat die brisante Debatte in Deutschland neu entfacht. Bayern und Thüringen betonten, sie hielten zweifellos an der Restitution der Kunstwerke fest. Zustimmung bekam Rosenthal derweil vom Kurator der Kunstsammlung im Stadtmuseum Jena, Erik Stephan. «Irgendwann sollte es ein Ende haben», sagte er.
Das bayerische Kunstministerium teilte am Dienstag in München mit, es gebe «nicht die mindeste Absicht oder Veranlassung», von der Restitutionspraxis abzurücken. Man sehe in dieser Angelegenheit «keinerlei Diskussionsbedarf». Die während des Nationalsozialismus unrechtmäßig erworbenen Gemälde und Kunstgegenstände würden den ursprünglichen Eigentümern oder deren Erben zurückgegeben.
Die bayerische Staatsbibliothek will ihre Restitutionsbemühungen weiterhin fortsetzen. Man bedauere zutiefst die Hintergründe und Umstände, wie manche Bestände ins Haus gelangten, ebenso die damalige Verstrickung der Bibliothek in geschehenes Unrecht, sagte Sprecher Peter Schnitzlein. Seit 2003 werde aktiv nach NS-Raubgut gefahndet und dieses herausgegeben. Dabei handle es sich bisher «übrigens nicht um hohe Sachwerte - ein wichtiger Aspekt vor dem Hintergrund der Argumentation von Herrn Rosenthal». Die Rückgabe sei vielmehr ein »symbolischer Akt».
Auch ein Sprecher des thüringischen Kultusministeriums in Erfurt betonte: «Ein Ende der Rückgabe darf es nicht geben.» Die Restitution sei auch ein Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Rosenthals Forderungen «entbehren jeglicher Grundlage», sagte er.
Der Jenaer Kurator Stephan schloss sich hingegen der Forderung Rosenthals an. «Die Kunstwerke wurden geraubt, da ist ganz klar Unrecht geschehen», sagte er. Im Laufe der Jahre seien sie aber durch viele Hände gegangen und am Ende auf dem Kunstmarkt gelandet, wo sie die Museen «in gutem Glauben» gekauft hätten.
An den zurückgegebenen Kunstwerken bereicherten sich vor allem Dritte, sagte Stephan. Auch sein Museum habe schon Briefe von Anwaltskanzleien erhalten, die Raubkunst ausfindig machten, um diese danach in Auktionen zu verkaufen. «Die Anwälte und Auktionshäuser verdienen horrende Summen daran», sagte er. Die Restitutionen hätten zur Folge, dass Gemälde und Kunstgegenstände aus öffentlichen Sammlungen verschwänden. Dies widerspreche in vielen Fällen der Absicht der ursprünglichen Sammler der Werke.
Rosenthal hatte zuvor im «Spiegel»-Interview argumentiert: «Mit der Rückgabe von ein wenig Kunst können Sie nichts wiedergutmachen, und man sollte diesen Eindruck auch nicht erwecken wollen.« Bei der Diskussion um NS-Raubkunst und Restitution müsse man zudem im Auge behalten, »dass der Kunstmarkt in den vergangenen Jahren explodiert ist und Begehrlichkeiten geweckt hat." Oft werde ein Bild sofort nach der Restitution veräußert, «und so mancher Anwalt erhält 50 Prozent des Erlöses».