Neue Medien im Musikunterricht? Nichts klingt selbstverständlicher. Die heutigen Musiklehrer werden darauf jedoch gar nicht oder nur unzureichend vorbereitet. Dadurch entgehen ihnen spannende und überzeugende Lehrmodelle – findet Hans Bäßler, Professor am Institut für musikpädagogische Forschung der Musikhochschule Hannover. Über Pläne der Hochschule, dieses Defizit zu beheben, sprach für die nmz Barbara Haack mit dem Pädagogen.
neue musikzeitung: Die Studierenden, die heute ein Schulmusikstudium aufnehmen, gehören zur Generation der „digital natives“. Man sollte denken, dass der Umgang mit neuen Medien jeglicher Art für diese eine Selbstverständlichkeit ist. Inwieweit ist das die Realität?
Hans Bäßler: Über Musikstudenten und besonders auch Schulmusikstudenten wird man das nicht sagen können. Es gibt da eine große Schere. Wir beobachten einerseits eine sehr hohe Kompetenz Einzelner. Manche gehen sehr virtuos mit dem PC um, können zum Beispiel CDs produzieren und mit Notationsprogrammen arbeiten. Daneben gibt es ein Mittelfeld: Studierende, die im Wesentlichen StudiVZ, Word und vielleicht ein bisschen Excel beherrschen. Eine dritte Gruppe ist noch nicht einmal so weit. Manche haben regelrecht Angst vor den neuen Medien. Eine umfassende Medienkompetenz ist in der Breite jedenfalls nicht vorhanden.
nmz: Nun denkt man im Zusammenhang mit Musikstudierenden vor allem an die Möglichkeiten, mit dem Computer Musik zu erzeugen, zu verändern oder zu schreiben. Wie ist es damit bestellt?
Bäßler: Insgesamt nicht gut. Wir haben deshalb in der Musikhochschule Hannover soeben ein Media-Lab eingerichtet, um diese Kompetenz zu erhöhen: Zwölf Arbeitsplätze für ein Seminar, das den aktiven musikalischen Umgang mit dem Medium Computer verbessern soll.
nmz: Gibt es heute bereits einen Anforderungskatalog, welche Medien-kompetenzen ein Musiklehrer mitbringen muss oder sollte, wenn er auf die Schule „losgelassen“ wird?
Bäßler: Offiziell gibt es den nicht. Aber in den Studienseminaren, aus denen die vielen Klagen über mangelnde Standardkompetenzen kommen, wurden gewissermaßen inhärente Standards gesetzt. Konkret gesagt: Jeder muss eigentlich im Multimediabereich absolut sicher sein, denn in den Schulen haben sich durch die Digitalisierung ganz neue und absolut seriöse Möglichkeiten ergeben.
nmz: Bei oberflächlicher Beobachtung der Hochschullandschaft entsteht der Eindruck, dass zumindest in der Schulmusik der Bereich Medienkompetenz und Multimedia bisher kaum angeboten wird. Gibt es solche Schwerpunkte in deutschen Musikhochschulen?
Bäßler: Nach meinen Informationen gibt es die momentan nicht. Einige Hochschulen engagieren sich aber intensiv. Ich weiß, dass sich zum Beispiel in Würzburg sehr viel tut. Geradezu vorbildlich wird in Salzburg gearbeitet. Dort werden die eigentlichen Standards für eine Ausbildung geschrieben. Wichtig ist: Die neuen Möglichkeiten dürfen auf gar keinen Fall Selbstzweck sein. Sie müssen vielmehr immer funktional pädagogisch-didaktisch eingesetzt werden und haben ausschließlich eine dienende Funktion.
nmz: In welchen Bereichen des Musikunterrichts sind die Medien besonders vielfältig nutzbar?
Bäßler: Zunächst kann man neue Sounds einbeziehen, selbst geschriebene Arrangements lassen sich auf diese Weise jederzeit ergänzen oder verändern. In den Bläserklassen kann man Schülern eine CD mitgeben, damit sie zu Hause am konkreten Arrangement üben können. Drittens: Es läuft gerade und auch im kommenden Semester in Hannover ein Seminar meines Kollegen Christoph Hempel, das Kompositionsverfahren des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel von Crumb, von Webern oder der Dodekaphonie konkret umsetzen will. Die Schüler können aktiv an diesen Modellen arbeiten und anschließend in der Konfrontation mit dem eigentlichen Werk die Bedeutung eines solchen Kunstwerks neu einschätzen. Die Umsetzung am PC ist natürlich viel leichter, als wenn sie mit Bleistift und Notenpapier daran gehen würden.
nmz: Spielt das Thema E-Learning im Musikunterricht eine Rolle?
Bäßler: Im Moment noch nicht, obwohl diese Frage immer massiver gestellt wird. Wir stoßen da auf ganz einfache Probleme: Wir könnten mehr anbieten, wenn wir Breitbandkabel mit größerem Durchsatz hätten. Das Knowhow existiert in der Hochschule, es gibt auch Experimente zum E-Learning. Durchgesetzt hat es sich noch nicht, mittelfristig ist das aber durchaus eine Überlegung.
nmz: In Hannover ist zum Thema Medienkompetenz ein neuer Schwerpunkt im Masterstudiengang geplant. Wie soll der aussehen?
Bäßler: Im Rahmen eines Vertiefungsfaches und in der Kooperation von Musiktheorie und Musikpädagogik wird ein sehr breit angelegtes Seminar angeboten. Auf der Basis von Multimedia werden zusammen mit dem Theorielehrer zunächst Modelle entwickelt; anschließend werden diese Modelle konkret in der Schule erprobt. Das heißt: Die Studierenden testen, ob ihre Modelle in der Realität auch funktionieren.
Im April ist das Seminar gestartet. Ein Nachfolgeseminar gibt es im Wintersemester nach dem gleichen Prinzip. Damit die Arbeit des Media-Lab einerseits und der konkreten schulischen Praxis andererseits nicht auseinander bricht, greifen wir eine Initiative auf, die seitens der Landesregierung für die Schulen gewünscht wurde, nämlich eine verbesserte Form des Lernens mit dem Notebook. Die Landesregierung will dieses Projekt „Mobiles Lernen“ nun auch verstärkt in die Hochschulen bringen. Ebenso wie die Kreide soll das Notebook zum selbstverständlichen Inventar des Klassenraums werden. Man kann aber nicht von jedem Studierenden erwarten, dass er sich ein entsprechend leistungsfähiges Notebook anschafft. Wir wollen die Kompatibilität zum Media-Lab herstellen und schaffen aus diesem Grund Macbooks an, die allen Studierenden kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Art verfügt jeder Studierende am Ende über diese Medienkompetenz, sie wird ein weiteres Fach im Rahmen des Pflichtcurriculums. Diese finanzielle Investition und die besondere Art der Umsetzung ist sicher eine Besonderheit der Musikhochschule Hannover.
nmz: Stichwort Pflichtcurriculum: Wenn ein entscheidendes Fach dazukommt, fällt irgend etwas anderes weg?
Bäßler: Nein, es darf nichts wegfallen. Wie bei jedem Medium haben auch diese neuen Medien eine dienende Funktion. Die Musik muss weiterhin im Vordergrund stehen. Man lernt die Medienkompetenz ganz nebenbei. Wir bieten keine Notebook-, Logic- oder Cubase-Kurse. Vielmehr werden für die bisherigen Fächer und Themen Computer als Hilfsmittel eingesetzt. Denjenigen, die damit noch Schwierigkeiten haben, bieten wir zusätzliche Tutorien an, damit existierende Defizite in Ruhe aufgearbeitet werden können.
nmz: Wir sprechen über eine sich sehr schnell entwickelnde Technik und Branche. Wie schafft es die Hochschule, immer die notwendige Kompetenz der jetzt Lehrenden vorzuhalten?
Bäßler: Wir haben das Glück, dass wir eine ganze Reihe von Kollegen haben, gerade auch im Bereich der Musiktheorie, die sehr mediensicher sind. Außerdem steht zusätzlich einen Lehrauftrag in Aussicht, der sich ausschließlich mit der Frage Multimedia befasst. Den wird ein in diesem Bereich sehr erfolgreicher Lehrer übernehmen, der aus der Praxis kommt und die konkreten Umsetzungsbelange in der Schule kennt. Das ist sicher gut eingesetztes Geld.