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Die Diskussion über die Zukunft des Nationaltheaters in Weimar hat erneut zu einer Debatte über die Struktur der von der öffentlichen Hand unterhaltenen Theater, also der Stadt- und Staatstheater sowie der Landesbühnen geführt.
Im Mittelpunkt dieser Debatte steht wieder einmal das Thema Tarifverträge. Dabei wird verkannt, dass der Bühnenverein mit den zuständigen Gewerkschaften die von ihm verhandelten Tarifverträge für das künstlerische Personal in den letzten zehn Jahren erheblich reformiert und den Bedürfnissen der Theater- und Orchesterbetriebe weiter angepaßt hat. Außerdem werden über den Inhalt der Tarifverträge in der Öffentlichkeit zunehmend falsche Informationen verbreitet, wie etwa die Behauptung, "ein Schreiner, der einen Stuhl gebaut habe, dürfe diesen aus tariflichen Gründen nicht auf die Bühne tragen". Solche Beispiele entbehren jeder Grundlage. Richtig ist, dass es auch für das nichtkünstlerische Personal theaterspezifische Tarifverträge geben müsste, die allerdings von ver.di als zuständiger Gewerkschaft abgelehnt werden. Der Bühnenverein fordert die theatertragenden Städte und Länder auf, mit ver.di dennoch in Verhandlungen über einen solchen Tarifvertrag einzutreten.Eine zunehmende Bürokratisierung der öffentlichen Theaterbetriebe droht also nicht durch die bestehenden tariflichen Regelungen, sondern durch eine immer stärker werdende Regelungsflut infolge von gesetzlichen und administrativen Vorschriften. Schon seit Jahren fordert der Deutsche Bühnenverein deshalb, dass solche Regelungen weit mehr auf die Bedürfnisse der Theater- und Orchesterbetriebe Rücksicht nehmen müssen.
Beispielsweise ist mittlerweile völlig unübersichtlich für die Theater und Orchester, wer als abhängig Beschäftigter oder als freiberuflich Tätiger einzuordnen ist. Die Abgrenzungen zwischen diesen Beschäftigungsformen im steuerrechtlichen und sozialrechtlichen Bereich sind oft willkürlich und nicht nachzuvollziehen. Darüber hinaus existieren nach wie vor bei grenzübergreifenden Beschäftigungen selbst in Europa noch erhebliche Doppelbesteuerungsprobleme, etwa für Regisseure sowie Bühnen- und Kostümbildner. Es ist aus der Sicht des Bühnenvereins für einen Kulturstaat wie die Bundesrepublik Deutschland außerdem nicht akzeptabel, dass die Beschäftigung eines nicht aus der Europäischen Union stammenden ausländischen Spitzenfußballers angesichts des geltenden Arbeitserlaubnisrechtes leichter ist als der hiesige Einsatz eines Sängers, Tänzers oder Orchestermusikers aus der Schweiz, den Vereinigten Staaten oder den asiatischen Ländern.
Städtische und staatliche Theater- und Orchesterbetriebe werden zudem öffentlichen Beschaffungsvorschriften ebenso unterworfen wie einem Benutzungszwang bestimmter öffentlicher Dienstleistungs- und Warenangebote. So ist es vielen öffentlichen Theaterbetrieben beispielsweise nicht möglich, in eigener Verantwortung darüber zu entscheiden, welche Computer-Hardware und -Software in ihren Betrieben eingesetzt wird. Hinzu kommt eine ständige Stärkung individueller Rechte innerhalb der Theaterbetriebe, wie etwa der Urheber- und Leistungsschutzrechte, aber auch persönlicher Arbeitnehmerrechte. Theaterbetriebe können jedoch nur funktionieren, wenn zwischen den Rechten des Betriebs und solchen individuellen Rechten der in einem Theaterunternehmen Beschäftigten ein angemessener Ausgleich besteht. Zudem werden viele insbesondere den Personalräten eingeräumte mitbestimmungsrechtlichen Regelungen den Anforderungen des Tendenzschutzes nicht gerecht. So werden Entscheidungen, die unmittelbare künstlerische Auswirkungen haben, der Mitbestimmung unterworfen. Ein viel zu enges Arbeitszeitgesetz stellt die Theater zusätzlich vor erhebliche Probleme.
Soweit die gesetzlichen Regelungen von Bund und Ländern jedoch zum Teil Spielräume für die Theater- und Orchesterbetriebe vorsehen, droht neuerdings regelmäßig die Gefahr, dass die Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union zu weiteren Einschränkungen führt. Zuletzt hat die geplante Anhebung der Lärmschutzwerte auf europäischer Ebene zu einer erheblichen Debatte in den Opern- und Orchesterbetrieben geführt, da bei der entsprechenden Abänderung dieser Lärmschutzwerte manche musikalischen Werke nicht mehr ohne Gehörschutz für die Musiker gespielt werden könnten.
Der Bühnenverein fordert die Europäische Union, Bund und Länder auf, in Zukunft keine gesetzlichen und administrativen Regelungen zu verabschieden, die zu einer weiteren Bürokratisierung der Kulturbetriebe führen. Außerdem müssen sämtliche bestehende Vorschriften auf den Prüfstand. Zu untersuchen ist, ob Veränderungen notwendig und möglich sind, um die Kunst produzierenden Theater- und Orchesterbetriebe wieder von unnötigen Auflagen zu entlasten.
RAT FÜR DARSTELLENDE KÜNSTE
Halle, den 25. Mai 2002
Deutscher Bühnenverein
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