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Deutsche Orchestervereinigung beklagt sinkende Beschäftigungsmöglichkeit der Orchester - Musiker müssen um Jobs kämpfen - Zahl der Orchester und Stellen geht zurück
Berlin (ddp). Wer als Musiker bei den Berliner Philharmonikern in Lohn und Brot steht, hat es geschafft. Doch viele Musikusse bekommen heutzutage nicht einmal mehr eine Festanstellung bei einem kleineren Orchester. Das «Missverhältnis zwischen der steigenden Zahl der fertig ausgebildeten Musiker und den sinkenden Beschäftigungsmöglichkeiten der Orchester» werde immer gravierender, beklagt die Deutsche Orchestervereinigung (DOV). «Der Kuchen ist klein», sagt DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens. Pro Jahr seien maximal 300 Stellen in deutschen Orchestern aus Altersgründen neu zu besetzen - dem stünden aber rund 1700 Absolventen gegenüber.Auch Michael Irion, der Schlagzeug/Pauke studierte, wollte eigentlich Orchestermusiker werden. Nun arbeitet der 38-Jährige als Jurist bei der DOV. Während des Studiums in Hannover half er bei mehreren Orchestern aus, arbeitete bei einer Jugendmusikschule, machte Tanzmusik. «Am Ende des Studiums hatte ich drei oder vier Probespiele, die waren aber nicht erfolgreich», erzählt er. «Und ich habe gesehen, dass über 90 Prozent der Schlagzeug-Absolventen keinen Job im Orchester finden.» Viele Kollegen machten dann so weiter ? mit Musikschulen, Tanzmusik, Aushilfe.
Das wollte Irion nicht. «Ich hatte auch schon vor dem Musikstudium Interesse etwa an Journalistik und Jura und entschloss mich, noch Rechtswissenschaften zu studieren», sagt er. Eine sehr schmerzhafte Angelegenheit sei es für ihn nicht gewesen. «Ich habe gesagt, ich kann damit leben.»
Das mag bei anderen nicht so sein - gerade in Deutschland gibt es Mertens zufolge mit mehr als 20 Hochschulen eine weit größere Dichte von Ausbildungsinstituten als in anderen Ländern. Und für den Nachwuchs werden die Berufschancen offenbar immer schlechter, obwohl Deutschland eine der «dichtesten Orchesterlandschaften» hat. 1992 gab es nach Angaben der DOV noch 168 öffentlich subventionierte Konzert-, Opern-, Kammer- und Rundfunkorchester. Anfang 2002 waren es noch 139. Die Zahl der Musikerplanstellen sank im selben Zeitraum um etwa 15 Prozent von 12 159 auf 10 445. Für die Zukunft sieht es nicht besser aus: «Man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Zahl der freien Stellen in den Orchestern eher zurückgehen wird», betont Mertens.
Dazu kommt: «Mit 35 ist an sich Schluss.» Bis dahin müsse man einen Job gefunden haben und etabliert sein, sagt der DOV-Geschäftsführer. Wer älter ist, werde - abgesehen von Ausnahmen bei «Topleuten» - nicht mehr zum Probespielen eingeladen. Das sei ein «ungeschriebenes Gesetz».
Kündigungen aus künstlerischen Gründen seien eher die Ausnahme, fügt Mertens hinzu. Häufiger würden Orchester aufgelöst. Dies sei vor allem in Ostdeutschland der Fall gewesen. Dabei seien viele Musiker «freigesetzt» worden. «Und wer mit 45 oder 50 arbeitslos wird, hat\'s sehr schwer.»
Nathalie Waehlisch