Body
Verband: Viele Ein-Euro-Jobber in Kulturinstitutionen +++ Arbeitsagentur: Auch für Künstler zumutbar +++ Grünen-Kulturexpertin Katrin Göring-Eckardt fordert flächendeckend qualifizierte Fachberatungsstellen
Berlin (ddp-bln). Bis vor rund drei Jahren arbeitete Thomas Kaufmann (Name geändert) aus Berlin noch als freiberuflicher Grafik-Dozent. Doch dann gingen ihm die Aufträge aus und der Gang zum Arbeitsamt wurde unausweichlich, wie Kaufmann im ddp-Gespräch erzählt. Weiterbildungen im Veranstaltungsmanagement folgten, doch weil Kaufmann damit als nicht ausgelastet galt, bekam er 2006 von der Arbeitsagentur noch einen Ein-Euro-Job im Saalbau in Berlin-Neukölln, einem Veranstaltungsort für Theater-, Konzert- und Tanzaufführungen, der vom örtlichen Kulturamt verwaltet wird.
Im Saalbau wurde Kaufmann in der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt, schrieb Pressemitteilungen, koordinierte Termine, sprach sich mit Grafikern und Druckereien ab. Offiziell durfte er nur 30 Stunden pro Woche arbeiten, doch die als Hilfsjob gedachte Tätigkeit wurde zum anspruchsvollen Vollzeitjob - für 180 Euro monatlich. In seinem Team war Kaufmann zudem nicht der einzige Akademiker: Zahlreiche Ein-Euro-Jobs wurden von ausgebildeten Regisseuren, Dramaturgen, Fotografen und Technikern erledigt - die früher zum Teil festangestellt waren oder Honorarverträge hatten. Zum Teil hätten im Saalbau bis zu 40 Ein-Euro-Jobber gearbeitet, sagt Kaufmann.
Während ein Mitarbeiter des Hauses die dortige Beschäftigung von Ein-Euro-Jobbern bestätigte, lehnte es der Chef des Saalbaus, Klaus-Dieter Ryrko, auf ddp-Anfrage ab, sich zu dem Thema äußern. Aussagen wie «im Prinzip gibt es die» und «schwieriges Thema» sind aus dem Umfeld der Kultureinrichtung aber schon zu vernehmen.
Nach Angaben des Bezirksstadtrates für Bildung, Schule, Kultur und Sport in Berlin-Neukölln, Wolfgang Schimmang (SPD), werden im Kulturbereich keine Ein-Euro-Jobber eingestellt. Hintergrund sei, dass der Personalrat dabei ein Mitbestimmungsrecht hätte und dies für die Kürze der Anstellung ein zu kompliziertes Verfahren sei. Der Bezirk unterstütze jedoch Kulturprojekte, die dann möglicherweise Ein-Euro-Jobber einstellten.
Signe Theill vom Berufsverband Bildender Künste Berlin (bbk) spricht von einem «Sklavenarbeitsmarkt». Aus Angst vor Leistungskürzungen rede jedoch in der Regel niemand der arbeitsuchenden freiberuflichen Künstler über das Problem.
Kaufmanns Fall ist nach Einschätzung des Verbandes kein spezielles Neuköllner Problem. Konkrete Zahlen zu hochqualifizierten Ein-Euro-Jobbern im Kulturbereich gebe es jedoch nicht. Der Markt sei eine Grauzone, bei den Jobcentern gebe es nur die Sparte Ein-Euro-Job, die indes nicht weiter in Branchen unterteilt werde.
Der bbk Berlin befragte im vergangenen Mai 215 Künstler, die entweder laufend Arbeitslosengeld II beziehen oder zwischen 2004 und 2007 bezogen haben. 40 Prozent gaben an, sie seien zu Bewerbungen auf kunstfremde Tätigkeiten gezwungen worden. 34 Prozent wurden demnach zur Annahme von Ein-Euro-Jobs aufgefordert. Der Verband befürchtet, dass die Annahme solcher Tätigkeiten den Arbeitsmarkt für Kunst zerstören könnte.
Bei der Arbeitsagentur in Nürnberg sieht man das derweil pragmatisch: Wer Arbeitslosengeld II beziehe, müsse laut Gesetz alles tun, um seine Hilfsbedürftigkeit zu mindern oder zu überwinden, sagte Sprecherin Ilona Mirtsin. Daher sei auch für Künstler jede Arbeit zumutbar, auch ein Ein-Euro-Job. Ein Pianist oder Violonist werde aber sicher nicht zum Spargelstechen geschickt. Wenn sich ein Künstler in seinem Jobcenter zudem nicht gut beraten fühle, könne er zur Beratung auch eine Arbeitsagentur aufsuchen.
Die Grünen-Kulturexpertin Katrin Göring-Eckardt ist damit nicht zufrieden: Sie fordert flächendeckend qualifizierte Fachberatungsstellen. In den Jobcentern arbeiteten oft Angestellte, die nicht über spezifische Brachenkenntnisse verfügten, bemängelte die Bundestagsabgeordnete. Künstler müssten jedoch von jemandem beraten werden, der die Branche kenne. Es sei ihrer Ansicht nach möglich, einige Mitarbeiter mit künstlerischen Branchenkenntnissen zu versetzen oder Mitarbeiter in diesem Bereich fortzubilden. Fachberatungsstellen könnten zwar nicht erreichen, «dass die Aufträge sprudeln». Sie könnten aber Künstler und mögliche Auftraggeber effektiver zusammenbringen.
Nadine Emmerich