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Thesenpapier zu den Rundfunkklangkörpern der ARD

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Ein rundfunk- und medienpolitisches Grundsatz- und Thesenpapier, beschlossen von der Rundfunk-Kommission der Deutschen Orchestervereinigung am 15. März 2005:
Die ARD-Anstalten und die Rundfunkorchester und -Chöre GmbH (ROC) Berlin unterhalten gegenwärtig 14 Rundfunk- und Rundfunksinfonieorchester sowie 4 Bigbands und 7 Rundfunkchöre. Bei einem jährlichen Gebührenaufkommen von zukünftig über 7 Mrd. EURO betragen die festen Kosten für das dort beschäftigte künstlerische Personal etwa 155 Mio. EURO im Jahr, dies entspricht einem Anteil von ca. 2,2 %.

Die ARD selbst hat im Jahr 2004 die Kosten für alle Rundfunkensembles mit 36 Cent der monatlichen Rundfunkgebühr berechnet und erklärt: "Die Klangkörper der ARD sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Kulturstandorts Deutschland."

Seit Veröffentlichung von Strukturüberlegungen einzelner Ministerpräsidenten zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Jahr 2003 und im Rahmen der Diskussion um die Anhebung der Rundfunkgebühren sind an verschiedenen Standorten auch Rundfunkklangkörper zur Disposition gestellt worden, wobei das Spektrum von der Nichtbesetzung von Stellen, über Verkleinerung bis zu Auflösung und Fusion reicht. Allen Strukturüberlegungen ist gemeinsam, dass sie von den betreffenden Anstalten mit einer geringeren als der erwarteten und von der KEF an sich vorgeschlagenen Erhöhung der Rundfunkgebühren begründet werden.

Die Rundfunkensembles sehen sich gegenwärtig einer in ihrer Geschichte bislang einmaligen Bestandsdebatte ausgesetzt, die aber letztlich nicht nur sie, sondern die staats- und verfassungsrechtlichen Grundlagen für alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Frage stellt. Die Palette der Meinungen zur Stellung der Ensembles unter den Rundfunkintendanten reicht vom "Kernbestandteil des Kultur- und Bildungsauftrags" bis zum beliebig beendbaren "Mäzenatentum" des Rundfunks gegenüber seinen eigenen Klangkörpern.

Hierzu stellen wir im Einzelnen fest:
· Die Rundfunkensembles sind in ihrem Auftrag und ihrer Entstehungsgeschichte seit den 1920er Jahren bzw. nach dem 2. Weltkrieg untrennbar mit dem Kernauftrag des Rundfunks verbunden. Der Rundfunk war schon immer und ist noch heute selbst ein wichtiger Kulturveranstalter, nicht bloßes Übertragungs- und Informationsmedium über die Veranstaltungen Dritter. Dies ist auch immanenter Bestandteil der Rundfunkstaatsverträge

· Werden Klangkörper unter der Vorgabe einer zu geringen Gebührenerhöhung in Frage gestellt, so wird dies von Öffentlichkeit und Rundfunknutzern nur als populistisches Bauernopfer empfunden, da nach außen hin schmerzhafte Einschnitte dokumentiert, nach innen aber kaum ein nachhaltiger Spareffekt erzielt werden kann.

· So genannte Strukturreformen, die im Wesentlichen nur Klangkörper erfassen sollen, kostenträchtigere Bereiche der Anstalt wie Produktion und Verwaltung, Onlinedienste und Sportrechteabgeltung aber kaum berühren, laufen betriebswirtschaftlich ins Leere, schädigen jedoch Substanz, Profil und Glaubwürdigkeit des Senders nachhaltig. Wie will eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die den Bestand eigener Klangkörper bis hin zur Androhung betriebsbedingter Kündigungen in Frage stellt, redaktionell objektiv und journalistisch einwandfrei über die Abwicklung kommunaler Kultureinrichtungen - darunter auch Theater und Orchester - berichten und aufklären, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu beschädigen?

· Die Rundfunkanstalt, die heute den Bestand eigener Klangkörper vor dem Hintergrund aktueller Einsparzwänge zur Disposition stellt, stellt damit nicht nur die öffentlich-rechtliche Gebührenfinanzierung in Frage, sondern verletzt damit auch ihren originären Kulturauftrag.

· Die einzigartige Stärke und Rechtfertigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liegt im Kulturbereich gerade darin, dass er in engem Zusammenspiel zwischen künstlerischer Produktion der Rundfunkensembles und redaktioneller Ideenarbeit, überlegten zielgerichteten Präsentationsformen, langfristigen Konzepten Programminhalte anbieten kann, die privaten Rundfunkanbietern verschlossen sind oder an denen sie aus kommerziellen Gründen kein Interesse haben können.

· Den unbestrittenen Informationsauftrag der ARD aus Kostengründen in etwa gleicher Weise in Frage zu stellen wie den Kulturauftrag, käme etwa dem bloßen Ablesen von Meldungen von Agenturen und Tagespresse in den Nachrichtensendungen gleich. - Der Informationsauftrag ist insoweit keineswegs konkreter formuliert als der Kulturauftrag.

· Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten produzieren und verbreiten mit ihren eigenen Ensembles Ton- und Bildträger u.a. mit zeitgenössischer Musik, mit Musik, die von der Tonträgerindustrie - weil nicht marktfähig - nicht oder kaum produziert wird. Damit werden auch wesentliche Bestandteile sowohl des musikalischen Erbes wie auch des Gegenwartsschaffens bewahrt und gepflegt. Dies insbesondere rechtfertigt eine öffentlich-rechtliche Gebührenfinanzierung.

· Die Anstalten der ARD sind aufgrund ihrer Gebührenfinanzierung in der Lage, durch ihre Rundfunk-Klangkörper für alternative kulturelle Angebote an unterschiedlichste Publikumsgruppen zu sorgen, die sich nicht immer gleich und unmittelbar rechnen müssen - zeitgenössische Musik, außergewöhnliche Programme, besondere Besetzungen, Kinder-, Jugend-, Familienveranstaltungen. Sie erreichen durch die ihnen mögliche Flexibilität und Vielseitigkeit auch Regionen, in denen professionelle kommunale Ensembles entweder nicht vorhanden oder durch andere Funktionen und Aufgaben (Musiktheater) naturgemäß weniger oder nicht agieren können. -
Durch ihre Klangkörper treten die Rundfunkanstalten ihrem Publikum als Kulturträger am intensivsten und vielfältigsten auch live gegenüber.

· Rundfunkensembles zeichnen sich aufgrund der ständigen öffentlichen Leistungskontrolle vor dem Mikrofon und im Konzertsaal durch konsequent hohe und kontinuierlich abrufbare Qualitätsmaßstäbe aus. Der neuerdings teilweise propagierte Einsatz semiprofessioneller Teilzeitkräfte vermag diese Maßstäbe nicht zu erfüllen.

· Die sieben Rundfunkchöre in Deutschland sind als professionelle Konzertchöre für chorsinfonische Aufführungen der eigenen Klangkörper und der großen kommunalen Orchester, als Spezialensembles für moderne und alte Musik sowie für CD-Produktionen unentbehrlich geworden. Noch mehr als im Gegensatz von 14 Rundfunkorchestern zu 136 kommunalen Orchestern bundesweit sind gerade die Chöre für die moderne Chormusikproduktion integraler und unersetzlicher Bestandteil unserer Kulturlandschaft.

· Das gegenwärtig vereinzelt schon praktizierte Nichtbesetzen freier Planstellen in den Ensembles führt zu struktureller Überalterung, zu schleichender Verkleinerung, damit langfristig zum zwangsläufigen Verlust künstlerischer Qualität und schließlich zu dem selbst inszenierten Vorwand, aus Qualitäts- und Altersgründen das Ensemble in Frage zu stellen.. Dies ist keine sinnvolle Lösung etwaiger Kosten- und Strukturprobleme.

· Die gewählten Vertreter der Rundfunkklangkörper werden sich ebenso wie die Deutsche Orchestervereinigung als Berufsverband mit Sachkenntnis und gründlicher Vorbereitung geführten Diskussionen über notwendige Strukturanpassungen und den daraus zu ziehenden Konsequenzen auch weiterhin nicht verschließen. Die kulturelle Substanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags und der soziale Schutz von ausübenden Künstlerinnen und Künstlern darf dabei jedoch nicht in Frage gestellt werden.
Für die Kommissionsmitglieder aus den Rundfunkensembles der ARD-Anstalten BR, HR, MDR, NDR, SR, SWR, WDR und der ROC

Berlin/ Hannover, den 15. März 2005

gez.
Gerald Mertens
Geschäftsführer der
Deutschen Orchestervereinigung