Hauptrubrik
Banner Full-Size

TTIP: Zwischen Schreckgespenst und Jobmaschine

Publikationsdatum
Body

Viele Bürger laufen Sturm: Die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA lösen Ängste aus. Vizekanzler Gabriel geißelt die Chlorhühnchen-Hysterie - er macht bei einer großen TTIP-Konferenz klar, dass strenge Regeln und mehr Fakten das Ruder rumreißen sollen.

 

Berlin - Es hört sich so verlockend an. Mit 800 Millionen Verbrauchern soll von Washington über Berlin bis Helsinki der größte Wirtschaftsraum der Welt entstehen. Durch den Wegfall von Zöllen und die Schaffung gleicher Standards zum Beispiel für Blinker und Spiegel bei Autos, sollen neue Jobs und mehr Wachstum generiert werden. Doch viele Deutsche, die mehr Geld in der Tasche haben sollen, trauen den Heilsversprechen des TTIP-Abkommens mit den USA nicht.

Warum braucht man TTIP?

Der Präsident des Bundesverbands der Industrie, Ulrich Grillo, betont am Montag bei einer großen Konferenz in Berlin, die deutschen Autobauer würden bei Exporten in die USA im Jahr eine Milliarde Euro an Zöllen sparen, die Chemieindustrie rund 140 Millionen. «Die Fangemeinde für TTIP muss deutlich wachsen.» Vizekanzler Sigmar Gabriel warnt auf dem Podium vor dem Abstieg Europas - dann würde Asien den Ton angeben. «Wir reden zu viel über Chlorhühner und zu wenig über die geopolitische Bedeutung.»

Was ist die Position der Bundesregierung?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) sind dafür - als erstes soll das Handelsabkommen Ceta mit Kanada besiegelt werden. Es ist die Blaupause für TTIP, sozusagen der kleine Bruder. Die Gewerkschaften sollen eng eingebunden, europäische Umwelt-, und Verbraucherstandards auf keinen Fall gesenkt werden. Auch die öffentliche Daseinsvorsorge, wie die Wasserversorgung, wird ausgeklammert, kann also nicht von US-Firmen übernommen werden. Einer neuen Emnid-Umfrage zufolge sind nur noch 39 Prozent der Bürger für das Abkommen, im Oktober waren es 48 Prozent.

Wird die Buchpreisbindung fallen?

Die Bundesregierung verspricht: Nein, der Kulturbereich werde geschützt. Hier gibt es heftige Proteste, tausende Unterschriften wurden gesammelt - beispielhaft das Plakat in einem Buchladen in Kreuzberg: «Es droht Gefahr: Das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA bedroht die Buchpreisbindung - und damit die Existenz ihrer Lieblingsbuchhandlung in ihrem Kiez.»

Kommt Hormonfleisch? Und Schwarzwälder Schinken aus Kentucky?

Wohl nicht. Gabriels Ministerium betont: «Fleisch von mit Hormonen behandelten Tieren darf nicht in die EU importiert werden.» Da bei TTIP keine Standards gesenkt werden sollen, bliebe es dabei, auch soll es keine mit Chlor desifizierte Hühnchen in deutschen Supermärkten geben. Beim Schwarzwälder Schinken kommt jetzt schon das Schweinefleisch meist nicht aus der Region, er muss nur dort geräuchert werden. Nachdem Agrarminister Christian Schmidt (CSU) für Verwirrung sorgte, ließ er klarstellen: Regionale Spezialitäten sollen geschützt bleiben.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Seit 2013 verhandeln EU und USA über die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). Gerade wurde die achte Verhandlungsrunde abgeschlossen. Es ist nicht sicher, ob es vor der Bundestagswahl 2017 zum Abschluss kommt. Bei Ceta sind die Verhandlungen abgeschlossen, es gibt nun rechtliche Prüfungen. Dann eine sechsmonatige Übersetzung in 24 Sprachen, eventuell Ende 2015 ein Votum der Staats- und Regierungschefs. Dann Abstimmungen in den Parlamenten, so dass es mindestens bis Ende 2016 dauern kann.

Warum ist gerade der Protest in Deutschland so groß?

Vor allem wegen des Streits um private Schiedsgerichte, vor denen Investoren klagen und demokratische Entscheidungen und Gesetze in Nationalstaaten aushebeln könnten. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warnt aber vor Hysterie. Er war gerade in Kanada, beim Freihandelsabkommen mit den USA und Mexiko (NAFTA) habe es in 21 Jahren 22 Schiedsgerichts-Klagen gegen Kanada mit einem Streitvolumen von 152 Millionen US-Dollar gegeben. Aktuell gebe es eine als wenig aussichtsreich eingestufte 250-Millionen-Klage eines US-Unternehmens, weil in einer Provinz ein Moratorium zum Gas-Fracking erlassen worden sei. Bei Ceta wäre so etwas ausgeschlossen, weil der Umweltbereich ausgeklammert wird.

Wie könnte der Konflikt gelöst werden?

Gabriel hat mit sozialdemokratischen EU-Amtskollegen ein Papier vorgelegt, wonach für Ceta ein Handelsgerichtshof eingerichtet werden könnte, statt privaten Schiedsgerichten. Zudem soll das Ändern von Gesetzen, auch wenn dies die Gewinnmargen deutlich senkt, keinen Klagegrund darstellen. Auch nicht Schuldenschnitte, Bankenabwicklungen oder eine Verschärfung von Standards. Um Investoren vor Klagen abzuschrecken, soll zudem der Grundsatz gelten: «Der Verlierer zahlt». Das könnte auch bei TTIP zur Anwendung kommen. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström findet die Idee gut - aber das lasse sich nicht über Nacht durchsetzen. 

Tags