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Wer zuhören will, muss still werden

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„Forum neuer Musik“ im Deutschlandfunk (1. bis 3. März 2002)
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Das Altern der Neuen Musik wurde schon früh bemerkt. Unsanft hatte
Adornos Diagnose die sich gerade erst formierende Nachkriegs-Avantgarde wachgerüttelt. Seitdem steht sein Wort als Menetekel auch über jedem Festival: Was ist neu? Was gibt sich nur so? Der Kurator des „Forum neuer Musik“ beim Deutschlandfunk in Köln, Frank Kämpfer, bestätigte jetzt noch einmal die Berechtigung jenes älteren Befundes. „Man muss das Geschaffene immer wieder zerbrechen.“ Den Glaubens-, besser wohl Produktionsgrundsatz des 1990 verstorbenen Komponisten Luigi Nono wandelte er zum Motto eines dreitätigen Konzert- und Diskussionswochenendes im Sendesaal des Kölner Funkhauses. Gegen die Versuchung, die Erfolge von gestern zu kopieren, beschwor Nono – und mit ihm der neu berufene Redaktionsleiter für Neue Musik – das „Moment des Konflikts“.

Das Altern der Neuen Musik wurde schon früh bemerkt. Unsanft hatteAdornos Diagnose die sich gerade erst formierende Nachkriegs-Avantgarde wachgerüttelt. Seitdem steht sein Wort als Menetekel auch über jedem Festival: Was ist neu? Was gibt sich nur so? Der Kurator des „Forum neuer Musik“ beim Deutschlandfunk in Köln, Frank Kämpfer, bestätigte jetzt noch einmal die Berechtigung jenes älteren Befundes. „Man muss das Geschaffene immer wieder zerbrechen.“ Den Glaubens-, besser wohl Produktionsgrundsatz des 1990 verstorbenen Komponisten Luigi Nono wandelte er zum Motto eines dreitätigen Konzert- und Diskussionswochenendes im Sendesaal des Kölner Funkhauses. Gegen die Versuchung, die Erfolge von gestern zu kopieren, beschwor Nono – und mit ihm der neu berufene Redaktionsleiter für Neue Musik – das „Moment des Konflikts“. Doch wie übersetzt sich dies in ein Konzertprogramm? Kämpfer gab darauf mehrere Antworten. Zunächst setzte er auf den Überraschungseffekt. Gerade hatte das Publikum sich eingehört in die meditative Musik von Scelsi und Sciarrino, die beide an der Grenze zur Hörbarkeit operieren, als es sich im nächsten Moment vor eine Aufgabe gestellt sah. Unvermutet schritt eine Art Stadtpfeifer zum Podium, dudelsackartige Klänge ohne Dudelsack von sich gebend. Stattdessen hatte der Mann drei Röhren im Mund, die alle gleichzeitig schnarrende Laute von sich gaben. Ins „Forum neuer Musik“ war die „Launeddas“, das sardische Rohrblattinstrument, hereingeplatzt. Neu? Nicht ganz, denn so oder so ähnlich soll das Instrument schon vor gut und gern 5.000 Jahren geklungen haben.

Von solchem Clou – ein archaisches Hirteninstrument im Kontext neuer Musik – ging es weiter zum Experiment: Auftritt der „Neuen Berliner Klangforschung“, bestehend aus der Pianistin Andrea Neumann und ihrer Partnerin, der Jazz-Trompeterin Sabine Ercklentz. Neumann hatte ein Klavier bis auf den saitenbespannten Gußrahmen zerlegt und daran eine Elektronik angeschlossen. Dergestalt erkundete die „Kammermusik für vier Lautsprecher und zwei Instrumente“ der 1968 und 1967 geborenen Musikerinnen das Gelände jenseits konzert-saalgängiger Klangereignisse.

„Es hört sich an, als ob man Löwen wecken will.“ Dieses Statement einer elfjährigen Schülerin zur Berliner Geräuschmusik war indessen keine Einzelstimme. Bereits im Vorfeld hatte Kämpfer den Kontakt zum Luise-von-Duesberg-Gymnasium aus Kempen gesucht und um Stellungnahmen gebeten. Thema: Musikunterricht und Neue Musik, wobei das „und“ allen signalisierte, dass hier etwas (immer wieder neu) zusammenfinden muss.

Ein Komponisten-Interpreten-Round-Table griff den Faden auf. Zunächst kreiste die Debatte etwas mühsam um die „Erweiterung des Konzertraums“ und die „Besetzung subkultureller Räume“. Als dann aber die Interpretinnen Angelika Luz („Neue Vocalsolisten Stuttgart“) und Annette Reisinger („Minguet Quartett“) überraschend eine Lanze für die „Konvention“ brachen, hielt der „Roundtable“ für einen Moment inne: Wer (zu)hören will, muss still werden. Auf ganz leisen Sohlen hatte sich eine Erkenntnis in den Sendesaal geschlichen.

Stille und Konflikt. Beides muss zusammengehen. Im furiosen Eröffnungs- wie im nachdenklich stimmenden Schlusskonzert wurde dies hörbar. Unter der Leitung von Manfred Schreier präsentierten die „Neuen Vocalsolisten Stuttgart“ Luigi Nonos selten gespieltes „Quando stanno morendo“, eine ins Universelle übersetzte Trauermusik zur Kriegsrecht-Verhängung in Polen 1981. Das Extremwerk für vier Frauenstimmen, Bassflöte, Cello und Liveelektronik forderte Künstler wie Techniker im Kölner Sendesaal. „Wenn Menschen sterben, singen sie.“ Nachvollziehbar, dass ausgerechnet dieser Vers des Poeten Welemir Chelbnikov einen Luigi Nono inspirierte. Ein verstörendes Bild für die (Ohn)macht der Musik – vergleichbar der mythischen Erzählung vom Haupt des Orpheus, das singend übers Meer treibt. In Köln fiel es vor allem der grandiosen Sopranistin Angelika Luz zu, diese „orpheische“ Qualität zu beglaubigen. Unter größtmöglichem Körpereinsatz erkämpfte sie sich den „luftleeren“ Raum um das dreigestrichene E. „To be or not to be?“ deklamierte im Schlusskonzert des Forums Bariton Klaus Mertens, begleitet vom hervorragend disponierten „Minguet Quartett“. Neben Ligetis waghalsigem „1. Streichquartett“ und einem spätromantischen „Notturno“ des Schweizer Quergängers Othmar Schoeck interpretierte das Quartett in einer Uraufführung die „Hamlet-Fragmente“ von Ruth Zechlin. Die betagte Komponistin, die als junge Lehrerin die Schönbergtradition an die „jungen Wilden“ der DDR zu vermitteln suchte, hatte eine weite Anreise nicht gescheut. Mit ihrer Anwesenheit ehrte sie ein „Forum neuer Musik“, das seinen Weg zwischen Konvention und Experiment, zwischen Stille und Konflikt erfolgreich eingeschlagen hat. Ein gelungener Kuratoreneinstand eines risikobereiten Redakteurs für Neue Musik, dem sein Sender, der um seinen Kulturauftrag weiß, darin zur Seite steht: Position beziehen, Anstöße geben, etwas tun gegen das Altern der neuen Musik. „The rest is silence“? Im Gegenteil. Dies war erst der Anfang.

Weiter Sendedaten im Deutschlandfunk: 31.3., 11.4., 18.6. jeweils 21.05 Uhr.

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