„Mit 'nem Messer in der Brust… Sieben Kinder und ein Greis – Mackie, welches war dein Preis?“ So lustig ist er gar nicht, Brechts Haifisch. Die Verse der Dreigroschen-Moritat huschen wie am laufenden Band über den Filmstreifen, der in schneller Folge Feuersbrünste, Rettungseinsätze, schreiende Münder zeigt. Immer weiter steigt der produzierte Lärmpegel, überdeckt schließlich die weltberühmte Melodie, bricht plötzlich ab.
Im Kopf noch dröhnen Film und Klänge nach, während vorne lautlos die Dirigenten wechseln, Noten- und Anweisungsblätter rascheln, an der Bühnenseite die Sänger aufstehen und vor ihre Mikrofone treten zum nächsten Poesiefilm mit kongenialer Live-Akustik-Performance. Im Publikum ist kein Laut zu hören, während der gesamten 90 Minuten nicht.
Selten verschmelzen Text, Klang und bewegte Bilder zu einer derartigen Intensität wie beim Event „shortfilmlivemusic treffen Brechtfilme“, das in Kooperation mit „Mehr Musik!“, der erfolgreichen Augsburger Version des bundesweiten „Netzwerk Neue Musik“, im Theater des abraxas zum ersten Mal über die Bühne ging. Eingebettet war diese besondere Uraufführung in das Augsburger Brechtfestival 2010, das zum fast zweiwöchigen Veranstaltungsrausch mit dem Schwerpunkt Film und prominenten Gästen aufgepumpt worden war. Noch zwei Jahre zuvor wurde der mehrtägige Vorgänger „abc-Festival“ von der neuen Stadtregierung u.a. mit Verweis auf die Kosten eingestellt…
Veranstaltungsort und -art des eindrucksvoll gelungenen Experiments „shortfilmlivemusic treffen Brechtfilme“ auf dem heute kulturell blühenden, ehemaligen Kasernengelände hätte dem gebürtigen Augsburger Bertolt Brecht aber vermutlich gefallen. Die sechs Köpfe des 2005 entstandenen shortfilmlivemusic, ein Verschmelzungsprojekt von neuen Kurzfilmen mit experimenteller, U- und E-Schubladen-freier Musik beschäftigten sich dabei zum ersten Mal mit dem jungen Genre Poesiefilme. Ebenfalls eine Premiere für Jan F. Kurth und sein Ensemble war die Zusammenarbeit mit einer Big Band, in diesem Fall der „Uni Big Band Augsburg“, mit denen sie in einem Workshop an den beiden vorangegangenen Tagen bis zur Bühnenreife geprobt, sich arrangiert, ausgetauscht hatten: „Jeder von uns wusste ziemlich genau, was er von den Leuten wollte; dann muss man eben schauen, was geht“, sagt Jan F. Kurth, musikalischer Leiter, Dirigent, Sänger, Bassblockflötist.
Seit letztem Sommer beschäftigte sich das Ensemble mit dem Bertolt-Brecht-Projekt, wählte, unterstützt vom „ZEBRA Poetry Film Festival“ der Literaturwerkstatt Berlin, die auf Werken B.B.´s basierenden Poesiefilme aus. Als „roter Faden“ mit dabei waren auch Teile des Filmklassikers „Kuhle Wampe“ (1932), in dem Brecht mitgewirkt hatte. „Wenn das Filmprogramm stimmt, kann man bei der Musik nicht mehr viel falsch machen“, so Kurth. Die in kurzer Zeit entstandene Augsburger Fusion gelang jedenfalls beeindruckend gut, wurde dirigiert von Jan F. Kurth und Kollegen, auch mittels Improvisationsdirigaten, in denen in poetischer Pantomime Schweller, verpuffende Klangwolken, Explosionen dargestellt und so aus dem Klangkörper hervorgelockt wurden. Improvisation und Komposition, Absprache und Anarchie hielten sich in dieser außergewöhnlichen Filmmusik die Waage, die nicht begleitend ist, sondern selbständig kommentiert, wiedergibt, decodiert. Free-Jazz-Wüten, Reggae-Fröhlichkeit, Cluster, Gesangscollage, Lautmalerei, bloßes Blasgeräusch, rockige Loops seitens der beiden „Drum-Stationen“, Swing-Idylle oder typische Big-Band-Schnipsel: Die Palette war groß, wurde sinnfällig und ausdrucksstark gehandhabt.
Auch die realen oder Trick-Kurzfilme erzählten, zeigten wortlose, viel sagende Sequenzen, Erotik, Tod, erzeugten Beklemmung, Ekel, atmosphärisch Hochprozentiges. „Unbedingt wiederholen“ möchte Jan F. Kurth das Augsburger Bertolt-Brecht-Projekt. Hoffentlich klappt´s.