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Cage, der Sandmann: Robert Wilson las die „Lecture on Nothing“ bei der Ruhrtriennale. Foto: Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale, 2012
Cage, der Sandmann: Robert Wilson las die „Lecture on Nothing“ bei der Ruhrtriennale. Foto: Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale, 2012
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Alles wird gut: Robert Wilson liest, inszeniert und performt John Cages „Lecture on Nothing“

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Cage bleibt eine Aufgabe. Soviel scheint sicher. Nach der Materialschlacht um die große Opern-Negation „Europeras 1&2“ hinterließ auch der zweite Abend einer gedachten Cage-Hommage bei der Ruhr-Triennale gemischte Gefühle.

Zwar hatte Festivalleiter Heiner Goebbels mit Robert Wilson einen alten Cage-Weggefährten und mit der (im Vorfeld als „Musiktheater“ ausgewiesenen) „Lecture on Nothing“ eine Inkunabel der experimentellen Literatur des 20. Jahrhunderts ins Programm geholt. Doch so stark der Text, so geadelt der Performer waren – am Ende geriet der Performance-Import aus Wilsons „Watermill“-Labor auf Long Island zur Wiederkehr des bildungsbürgerlichen Theaterabends, der ohne Abitur bekanntlich nur halb so schön und genießbar ist. Einigermaßen kurios für ein Festival, das sich „Experiment“, „Öffnung“, „Museum der Wahrnehmung“ auf die Fahnen geschrieben hat.

Dabei hätte es bei diesem Aufbau ganz anders ausgehen können. In einem abgezweigten Seitentrakt der Bochumer Jahrhunderthalle hatte sich Wilson eine Bühne hineingebaut, auf der eine Art Text-Sturm alles durcheinander gewirbelt hatte. Was Wilson selbst offenbar wenig beeindruckte, thronte er doch, gewandet in einen weißen Pyjama, wie im Auge des Taifuns in der Bühnenmitte vor einem Tisch. Ganz Fels in der Wörter-Brandung aus hingewehten Zeitungen, herabhängenden Textfahnen. Dazu ein geheimnisvoller Mann, der uns und ihn stetig mit dem Fernglas beäugte, wozu Tomek Jeziorski belanglose Videobildchen beisteuerte.

Unvermittelt dann, aus dem Off, Einsetzen eines unangenehm knirschenden Geräuschbandes. Vielleicht, dass Wilsons Sounddesigner Arno Kraehahn (Name ist Schicksal) hier an das Rickeracke aus Buschs Max-und Moritz-Mühle gedacht hatte. Jedenfalls war nach einer kleinen Ewigkeit des Vor-sich-hin-mahlens so viel und so ausreichend geschreddert worden, dass nun eigentlich Platz war fürs Gegenbild, fürs Gegengift einer „Lecture on Nothing“, die nun bald hätte Klarheit herstellen können, herstellen müssen. Zu unser aller Nutzen und Frommen, die wir im täglichen Metapherngestöbe die Orientierung behalten wollen und deshalb (auch) zur Ruhr-Triennale pilgern. Blieb leider aus. Was kam, war eine Dichter-Lesung. Marke: Klassiker als Gute-Nacht-Lektüre.

Achtung, Achtung!

Und mit Robert Wilson als gutem Onkel Erzähler, der immer wieder mit der erhobenen Linken für Ruhe sorgen musste. Gegen die Stimmung im Publikum, das das Ganze ratlos bald als Jux zu nehmen bereit war. Doch ungerührt ließ Wilson die Rechte übers Papier gleiten, um nur ja kein Jota zu überspringen. Achtung, Klassiker! hieß jetzt die Durchsage, weshalb auch alles am Platz bleiben durfte: die Zeitungen, die Textbänder, Wilson in der Mitte.

Theater? Musiktheater? Action? Umsturz der Verhältnisse? Wozu, hatte Wilson doch das Unangreifbare zur Seite wie zur Hand als das er Cages frühe, wunderbar leichte, unendlich humorvolle Experimentalpoesie umgedeutet hatte. Dazu passte, dass der Cage-Gralshüter das kleine Textbändchen grundbuchartig hatte binden lassen. Da saß er nun vor seiner Hausbibel und las und las. Irgendwann wurde Wilson „sleepy“ und ging (wie es der Text befahl) zu Bette. Im Schlaf hörte er eine Stimme. Und wir konnten sie auch hören. Ja, sicher, das konnte nur ER selber sein, John Cage! – Andacht breitete sich aus in der Jahrhunderthalle. Selig schlummerte Wilson weiter. Kraehahn legte eine Sandmännchenmusik auf und alles war plötzlich gut. So schön Ruh’ über allen Wipfeln.

Nächste Vorstellung: 28. August, 20:00, Bochum Jahrhunderthalle

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