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Durchkomponierter Rock: Fred Frith und „Cosa Brava“ in Esslingen. Foto: Dietrich Heißenbüttel
Durchkomponierter Rock: Fred Frith und „Cosa Brava“ in Esslingen. Foto: Dietrich Heißenbüttel
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Back to the Roots: Fred Frith und „Cosa Brava“ starten in Esslingen ihre Europatournee

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Mit der neuen, zweiten CD „The Letter“ im Gepäck gab Fred Frith mit seiner Band „Cosa Brava“ in Esslingen das erste Konzert ihrer Europatournee. Auch wenn dieses in der Reihe „Jazz in der Dieselstrasse“ stattfand: Mit Jazz hat Cosa Brava nichts am Hut. Es ist eher durchkomponierter Rock, falls es so etwas gibt, mit heterogenen Folk-Elementen.

Kammermusik also? Ja und nein. Ein fünfköpfiges Ensemble, das nach Noten spielt, ja. Die Besetzung: E-Gitarre, Bass, Schlagzeug sowie Keyboards und Violine, alles elektrisch verstärkt ebenso wie der Gesang: eher Rock. Nicht viel öfter als alle zwei Jahre findet die Band zusammen. Eine gewisse Anspannung angesichts der Komplexität der Partituren war den Ausnahme-Musikern durchaus anzumerken. So hat der Schlagzeuger Matthias Bossi, um nur einen herauszugreifen, nicht einfach die Aufgabe, einen Viervierteltakt von Anfang bis Schluss durchzuhacken. Vielmehr ändert sich alle paar Takte der Rhythmus. Bossis Part ist dabei – auch wenn er den Takt vorgibt – genau festgelegt.

Frith trat ans Mikrophon und sagte Titel an, um ein wenig die Spannung zu nehmen. In der Stuttgarter Region, wo er bis zu seiner Berufung als Professor für Komposition am Mills College in Oakland fast unbemerkt gelebt hat, hat er eine kleine, treue Fangemeinde. Aber zuletzt war er zumeist als Solo-Improvisator zu hören, oder 2007 mit dem siebenköpfigen, interkulturellen Improvisationsensemble „Clearing Customs“. Bei Cosa Brava dagegen ist alles notiert, auch wenn die Musiker alle in anderen Kontexten selbstverständlich frei spielen. Darin besteht wiederum ein Unterschied zu herkömmlicher notierter Musik, einschließlich eigener Kompositionen Friths wie „Traffic Continues“ für das Ensemble Modern. Mit Cosa Brava kehrt er in gewisser Weise zu seinen Anfängen zurück: Die Musik erinnert teilweise an Henry Cow, die Art Bears oder die Skeleton Crew, wobei allerdings die Erfahrungen der letzten drei Jahrzehnte nicht außen vor bleiben.

Mit Zeena Parkins spielte Frith in der Tat schon in der Skelton Crew zusammen. Sie ist hier aber nicht mit ihrem Markenzeichen, der elektrischen Harfe, zu hören, sondern zumeist am Keyboard mit gelegentlichen Akkordeon-Einlagen. Allenfalls entfernt nach Tango klingt eine Hommage an Astor Piazzola, dem sich Frith jedoch in der musikalischen Vorgehensweise verbunden fühlt. Ein weiteres Stück ist dem indischen Filmmusik-Komponisten Rahul Dev Burman gewidmet, ein drittes dem schwedischen Akkordeonisten Lars Hollmer. Der Achse Frith – Parkins steht eine Trias jüngerer Musiker gegenüber. Dazu gehören die vielseitige Violinistin Carla Kihlstedt, die Frith sehr schätzt und umgekehrt, und ihr Ehemann Bossi. Neu dabei – auf der ersten CD und Tour spielte Frith den Bass-Part noch selbst – hielt Shahzad Ismaily, mit der Bassgitarre in der Mitte der Bühne postiert, immer souverän die Balance zwischen den Attacken des Schlagzeugs, der E-Gitarre, und den Melodiestimmen.

Dazu kommt als Sechster im Bunde der Mann am Mischpult, der sich „The Norman Conquest“ nennt. Auch wenn einmal das Akkodeon zu leise ist („What’s up, Norman?“): Normans Aufgabe beschränkt sich nicht auf die Lautstärkeregelung. Der ehemalige Kompositionsstudent von Fred Frith, der inzwischen in Krakau lebt, übernimmt das, was in früheren Zeiten die einzelnen Musiker mit Pedalen und Zusatzgeräten selbst machten: Er steuert den Klang der Instrumente, gibt von Fall zu Fall Hall dazu und lässt sich gelegentlich – wenn auch vielleicht mehr zum Spaß, etwa in der zweiten Zugabe, in der alle in die Mikrophone sprachen – mit spektakuläreren Klangmanipulationen vernehmen. In der Regel aber spielt er nicht eine eigene Stimme, sondern bildet den Gegenpol in einem virtuellen Kreis, in dem alles auf Balance ankommt: ein einzigartiges Konzept.

Friths Kompositionstechnik orientiert sich nicht an klassischen Vorgaben. Obwohl es kontrastierende Themen, allerdings ohne Durchführung hart aneinandergesetzt, ebenso gibt wie polyphone Satztechniken, häufig in Engführung: Manchmal wandert die Melodie Ton für Ton zwischen Violine, Gitarre und Keyboard hin und her, was gelegentlich an die Jigs und Reels der Folkmusik erinnert. Seit längerer Zeit lässt sich Frith erstmals vermehrt wieder mit Liedern vernehmen. „Falling Up (for Amanda)“, der letzte Song vor der Pause, zu dem er ohne Instrument ans Mikrophon tritt, erinnert deutlich an Skeleton Crew.

Im zweiten Set sind die Musiker warm gespielt. Ohne Pause folgt ein Stück aufs andere, diesmal ohne Ansagen. Der stets wache Matthias Bossi muss nicht mehr so oft zu Frith hinschauen, tauscht gelegentlich Blicke mit Carla Kihlstedt, während Zeena Parkins mit Genuss in die Tasten greift. Frith selbst agiert weniger als Dirigent, setzt vielmehr mit der Gitarre Akzente. Der Funke zum Publikum springt über, nach dem Konzert und zwei kurzen, spontan arrangierten Zugaben sind alle gelöst und in einer für ausnotierte Musik seltenen Weise glücklich.

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