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Foto: www.kammerphilharmonie.de
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Brahms’ Klavierquintett als konzertantes Werk: Juan José Chuquisengo und die Bayerische Kammerphilharmonie in Augsburg

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Die Literatur für Streichorchester ist zwar überreichlich gesät, doch trotzdem herrscht bei vielen Ensembles immer wieder Unzufriedenheit mit dem Repertoire, weil die Giganten der großen symphonischen Musik, zumal der Klassik und Romantik, recht schwach vertreten sind, und so ist es Usus geworden, einige Quartette und Einzelsätze Beethovens, Schuberts ‚Der Tod und das Mädchen’, Verdis e-moll-Quartett oder das Quintett Anton Bruckners chorisch vorzutragen. Aber was von Brahms?

Die Brahms’sche Kammermusik ist immer wieder mehr oder weniger adäquat auf die große Orchesterbesetzung übertragen worden, wie etwa in Schönbergs so berühmter wie diskutabler Bearbeitung des Klavierquartetts g-moll, Edmund Rubbras Orchestration der Händel-Variationen für Klavier solo oder Karl Michael Kommas stiltreuer Orchesterfassung der Vier ernsten Gesänge. Doch für Streichorchester? Das sind rare Gelegenheiten, und im Moment fällt mir dazu nur Sándor Véghs fesselnde Aufführung des Streichquintetts op. 111 mit der Camerata Academica Salzburg ein.

Die Bayerische Kammerphilharmonie in Augsburg zeigt sich gerne etwas experimentierfreudig, und dies wahrlich nicht nur unter ihrem ersten Gastdirigenten, dem Rhetorik-Papst Reinhard Goebel, sondern auch in den Programmen, die das Orchester in Eigenregie einstudiert, angeführt von Konzertmeister Gabriel Adorján. So auch hier. Mit dem abgelutschten Motto ‚Lieben Sie Brahms?’ sollte das Augsburger Publikum verführt werden, und der akustisch sehr feine Kleine Goldene Saal war denn auch mit neugierigen, aufmerksamen Hörern voll ausgelastet.

Das Erste Streichquartett Brahms’, das den Anfang machte, geriet nicht allzu spannend. Dies lag nicht an den technischen Anforderungen, denen man weitgehend exzellent genügte. Vielmehr fehlte es an der klaren Ausrichtung der formbildenden Energien, also des Spannungsverlaufs, der die Form erst bezwingend erscheinen lässt, und wenn dieser Bogen nicht durchgehend errichtet wird, ist auch die vollendetste Brahms’sche Architektur nichts weiter als ein kunstvoll geknüpftes Nacheinander sehr schön gesanglich auskomponierter Phrasen mit erlesenem kontrapunktischen Schmuck. Fazit: Man kann dieses Quartett durchaus mit ansprechendem klanglichen Ergebnis aufs Streichorchester übertragen, doch die potenzielle Gesamtwirkung ist schwer abzuschätzen.

Anders beim monumental beredten Klavierquintett in f-moll nach der Pause. Ein glasklar artikulierender Geist wie der peruanische Meisterpianist Juan José Chuquisengo versteht es, dem Geschehen Richtung zu geben, ohne vordergründig dominieren zu müssen. Im Gegenteil, mehr Zurückhaltung des Streicherkörpers hätte dem Ganzen in vielen Fällen besser angestanden, ja, wäre notwendig gewesen, um die rechte Balance mit dem Solisten zu wahren. Es vermehrt sich ja bei der chorischen Darstellung nur die Zahl der Streicher, die weiterhin ‚gegen’ ein Klavier antreten. So kamen wichtige Stimmen und Figuren des Klaviers im Forte des Streichorchesters gelegentlich nicht zum Tragen, was nicht dem Pianisten anzulasten ist, denn dort, wo wirklich massive Kräfte zu entfesseln sind, hielt er sich keineswegs zurück und bestimmte das Geschehen. Freilich ist Chuquisengos Spiel ganz besonders faszinierend in den feinen Verästelungen und Passagen nobel verhaltener Verinnerlichung, im nie ins impressionistisch Ätherische abgleitenden Zarten und vollendet Transparenten, was man ja auch so von seinen hinreißenden CD-Aufnahmen bei Sony (Ravel-Album und ‚Transcendent Journey’) kennt.

Insgesamt hat Brahms’ Klavierquintett, dieses unverwüstliche Schlachtross von Rubinstein und dem Guarneri Quartet, von Serkin und dem Busch-Quartett, von Richter und dem Borodin-Quartett, die Feuertaufe mit Streichorchester fulminant bestanden. Vieles wirkt noch Großartiger als in der Originalbesetzung, die Gegensätze driften weiter auseinander, das Massive wie auch zauberisch Lyrische kommen kräftiger zur Geltung, und so wurde damit letztlich eine Alternative zu den relativ wenigen Konzertwerken für Klavier und Streichorchester initiiert. Gerne hörten wir es wieder, und dem Quintett wird dergestalt nicht nur keine Gewalt angetan, es gewinnt an Farbenreichtum und überhaupt an Mannigfaltigkeit der Ausdrucksmittel. Ein ‚neues’ Klavierkonzert von Brahms, auf die kammerorchestrale Besetzung vortrefflich zugeschnitten und zur Nachahmung zu empfehlen.

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