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Lakonischer Geschichtenerzähler: Gil Scott-Heron, Foto: Ralf Dombrowski
Lakonischer Geschichtenerzähler: Gil Scott-Heron, Foto: Ralf Dombrowski
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Der alte Mann und das Rhodes: Gil Scott-Heron entwaffnet in München mit Ehrlichkeit

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Darauf angesprochen, ob er den Rap erfunden habe, meint Gil Scott-Heron, das könne schon sein, er erinnere sich nur nicht mehr an die genauen Umstände. Jedenfalls ist der inzwischen 61-jährige Black Poet einer der Ahnherren der Bewegung, schon deshalb, weil seine viel zitierte Hymne „The Revolution Will Not Be Televised“ als Prototyp einer frech zum Flow soul-jazziger Rhythmen heraus geplauderter Gesellschaftskritik vor knapp vier Jahrzehnten wegweisend war. Und Gil Scott-Heron hatte allen Grund, sich aufzuregen.

Beat Poetry und Black Power

Geboren in Chicago als Sohn eines Fußballers und einer Bibliothekarin, landete er nach der frühen Trennung seiner Eltern als Kind bei seiner Großmutter Lillie in Tennessee. Im damals tendenziell rassistischen Süden der USA lernte er als einer von drei schwarzen Schülern an einer sonst von Weißen besuchten so genannte Integrationsschule das Bigotte, Perfide des Segregation kennen und floh unter anderem vor diesem Druck zurück zu seiner Mutter, die inzwischen in der Bronx lebte. Dort kam der junge Mann in Kontakt mit der Beat Poetry, aber auch mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, mit wortgewaltigen Dichtern wie Langston Hughes und Hitzköpfen wie LeRoi Jones, die die Parolen eines neuen afroamerikanischen Amerikas ausgaben.

Mit dem Pianisten und High-School-Kollegen Brian Jackson begann er in den späten Sechzigern, seine eigenen Verse zu souljazzigem Sound vorzutragen. Platten wurden aufgenommen, das zweite Album „Pieces Of A Man“ wurde durch das „Revolution“-Sprechpamphlet zu einem Manifest einer zunehmend selbstbewussten schwarzen Jugend. Gil Scott-Heron hielt sich nicht zurück mit Kritik an Politik und Gesellschaft, wurde gerne in die Nähe der Black Panthers gestellt, auch wenn er sich nie als militant verstand. Mitte der Siebziger gab er der Versuchung nach, kommerziellere Töne anzustimmen, scheiterte damit und schwankte von da an zwischen Achtungserfolgen und Drogensucht. Zuletzt hatte er vor 16 Jahren mit einem Album auf sich aufmerksam gemacht, das von der Fachpresse in den Himmel gelobt wurde.

„Ich bin neu hier“

Dann verschwand er wieder von der Bildfläche, saß mal kleinere Gefängnisstrafe wegen seines Kokainkonsums ab, schrieb oder gab Konzerte für Insider. So hatte ihn die Musikwelt eigentlich abgeschrieben, bis sich Gil Scott-Heron vor wenigen Monaten mit „I'm New Here“ zurückmeldete. Eine gute halbe Stunde Spoken Words und Lieder, zu erfrischend aktuellen, exquisiten Beats, sein geläuterter Bariton, die unausgebildete, aber umso ausdrucksstärkere Stimme, das Ganze verbunden mit klaren, sehr persönlichen Worten, mit denen er sich beispielsweise vor Grandma Lillie verneigt, aber auch den Wahnsinn des gegenwärtigen Lebens geißelt - das verblüffte und entzückte erneut die Feuilletons. Es ist diese betörende, zu einer Kunstform ausgereift Lakonik, die Gil Scott-Heron mit einer Tournee nun auch in der Münchner Muffathalle präsentierte.

Dabei war das Album selbst eher Anlass zur Tournee als Mittelpunkt des Programms. Gil Scott-Heron ließ die modernistischen Sounds im Studio und setzte sich archaisch karg instrumentierend an der Fender Rhodes, um von dort aus seine melancholischen, beiläufig bissigen Lieder zu singen und zu sprechen. Selbst die drei Begleiter, die nach einem Drittel des Konzerts zu ihm stießen, um ihn mit zweitem Keyboard, Perkussion und Blasinstrumenten zu unterstützen, waren kaum mehr als die Erweiterung einer Klangfarbe.

Denn Scott-Heron, in der Physiognomie gezeichnet von seiner Biografie, das manche Tiefen mit sich brachte, konzentrierte sich auf die Kunst des Geschichtenerzählens, mit dem Schalk im Nacken und dem Schelm in den Versen. Er weiß genau, dass er manche Chance im Laufe der Jahre hat ziehen lassen und bekommt auf diese Weise die Ausstrahlung eines echten Barden, der vielen Derivaten der Zunft den Spiegel des gelebten, in Worte gefassten Lebens entgegen hält. Das macht sein Konzert zu einem Erinnerungsabend der alten Schule, soulig zuweilen, mit angejazzten Intarsien, vor allem aber von entwaffnender Ehrlichkeit durchzogen.

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