Sie sind kleine Unternehmen, David im Schatten Goliaths, der in Gestalt der namhaften Verlagshäuser vor ihnen steht, und so suchen sie sich eine ganz spezielle Nische, in der sie in Zeiten wirtschaftlicher Rezession mehr schlecht als recht überleben. Ist dies die Realität der „kleinen“ Musikverlage? Oder hat sich die Forderung nach Spezialisierung im wirtschaftlichen Alltag als längst überholt erwiesen? Kann tatsächlich von einem Kampf Davids gegen Goliath gesprochen werden? Einem vermeintlichen Klischee auf der Spur…
Natürlich gibt es sie, die Spezialisten, die Fachverlage für ganz bestimmte Bereiche und Aspekte. So beispielsweise der auf Blasmusik spezialisierte DVO-Verlag (Druck und Verlag Obermayer) mit Sitz in Buchloe. Das im Jahre 1902 von Hans Obermayer als Druckerei gegründete Unternehmen mit derzeit etwa 40 Mitarbeitern führt seit 1950 neben dem Druckbetrieb als Schwerpunkt Fachzeitschriften und bietet zusätzlich Bücher, einen Online-Shop und Web-Design rund um das Thema Blasmusik an. Vier der fünf herausgegebenen Zeitschriften sind Organe der Musikbünde und -verbände; mit dem davon unabhängigen, neugestalteten fünften Magazin, clarino.print, will DVO nun ausgetretene Pfade verlassen und durch verstärktes Marketing und mehr Nähe zum Leser auf die noch wenig wahrgenommenen Trends der Blasmusik in Rock, Pop und Jazz aufmerksam machen. Wie an Angebot und Web-Auftritt zu erkennen ist, setzt das bereits über hundertjährige Unternehmen zudem stark auf die Möglichkeiten des Mediums Internet.
Einen Schwerpunkt zum Spezialgebiet erhoben hat der Furore Verlag aus Kassel: „Frauen in der Musik“ geben seit der Gründung durch Renate Matthei im Jahre 1986 die Richtung vor. Von vier Vollzeitkräften und einer Teilzeitbeschäftigten wird ein Verlagsprogramm bewältigt, das vom 16. bis zum 21. Jahrhundert reicht und neben Noten, Büchern und Postkarten seit 1997 auch das eigene Label Salto Records International führt. Erstveröffentlichungen von Kompositionen aus Renaissance bis Romantik und Faksimiles haben im Verlagsprogramm ebenso einen festen Platz und sind genauso mit Editionspreisen bedacht wie die Ausgaben zeitgenössischer Kompositionen. Für das sich von Anfang an international präsentierende Unternehmen hat sich der Weltmarkt als die Chance entwickelt. „Im Inland gelten wir als ‚der Frauenmusik-Verlag‘, im Ausland als ‚die Spezialisten für Komponistinnen‘“, berichtet Renate Matthei. Auch nach knapp zwanzigjährigem Verlagsbestehen kämpfe man in Deutschland noch immer gegen das Vorurteil, Frauen könnten nicht komponieren und gegen die geringe Bereitschaft, Unkenntnis durch Wissen zu ersetzen. Immerhin sei allmählich das Stadium erreicht, dass man Komponistinnen-Namen kenne, der nächste Schritt, sich auch mit den Werken zu befassen, sei jedoch vielfach noch nicht erfolgt. Angesichts dieser Hürden entgegnet Renate Matthei auf eine eventuelle Kategorisierung als „Nischen-Verlag“: „Eine Nische ist ein Ort, an dem man leben kann.“ Und es lebt sich für den Furore Verlag sehr gut, es gibt mehr Arbeit als zu bewältigen ist. Vom aktiven Einsatz der Editionen im gegenwärtigen Musikleben zeugen die auf der Website des Verlags veröffentlichten Konzerttermine in ganz Deutschland.
Den Noten im Konzert Leben einzuhauchen sowie die Nähe zum aktiven Musikleben ist auch Anliegen von Christoph Dohr. Der Gründer des Dohr Verlags Köln ist neben seiner Tätigkeit als Verleger und Autor auch in Kulturmanagement und -konzeption aktiv und hat – wie er berichtet – mehr Ideen, als er umzusetzen vermag. Für sein innovatives Gesamtkonzept („integrales Publizieren“) des Rinck-Festes Köln 2003 mit der Publikation von CDs, Noten (darunter Neuausgaben der beim Festival erklingenden Werke) und einem Dokumentationsbuch zu Johann Chr. H. Rinck (1770–1846) erhielt Dohr einen Deutschen Musikeditions-Preis 2004 als Sonderpreis für außergewöhnliche Leistung. Durch ein Verlagsprogramm, das von Noten des 18. bis 21. Jahrhunderts über Bücher und CDs bis hin zur Zeitschrift „fermate“ reicht, lassen sich Dohrs Innovationen im eigenen, inzwischen 15 Jahre alten Verlag mehrfach verwerten. Allerdings sind dafür vielseitige Fähigkeiten nötig, so ist Dohr als Verleger, Musiker und Musikwissenschaftler ebenso gefragt wie als Kaufmann und Manager. Von den alten Verlagshäusern wie auch von deren Problemen könne man als kleinerer und jüngerer Verlag lernen, von Verlagerungen in deren Programmen, insbesondere im Bereich der E-Musik, immer öfter profitieren, so Dohr. Im Musikverlagswesen Negativ-Stimmung zu verbreiten sei nach Auffassung Dohrs völlig unangebracht. Der Kölner Verleger setzt auf Gesamtkonzepte für Musik aus unterschiedlichsten Epochen und arbeitet eng mit zeitgenössischen Komponisten zusammen. Auch sei es seiner Erfahrung nach wichtig, sich im Angebot nicht einzuschränken, sondern neben den Top-Sellers auch weniger Gefragtes im Sortiment zu haben und Auswahl zu bieten.
Tatsächlich werden insbesondere im Notensortiment die Schwerpunkte kleinerer Verlage stets um eine Bandbreite ergänzt, die von Alter bis hin zu Neuer Musik reicht, von Instrumental- über Orchester- zu Vokalmusik, von Aufführungsmaterial zu Unterrichtsliteratur. Dies spiegelt das bereits 1807 gegründete Leipziger Verlagshaus Hofmeister ebenso wider wie dessen seit elf Jahren bestehender Kollege, die Edition Walhall in Magdeburg. „Kolorit“, „originelle Originale“ und Blick fürs Wesentliche will der 1946 von Richard Schubert gegründete Eres Verlag in Lilienthal durch mehrere Schwerpunkte gewährleisten. Das Chormusik-Angebot stellt die Basis des Programms dar, doch werden weitere Bereiche wie Musikpädagogik als Aufgabe begriffen. Speziell mit dem Angebot einer eigenen Buchreihe zum Thema Musiktherapie reagierte man auf den erkannten Bedarf.
Der jüngste Verlag in dieser Reihe ist die Edition Walhall Magdeburg. Ins Leben gerufen im Jahre 1993 von Franz Biersack, der zu Zeiten der gerade erst vollzogenen deutschen Wiedervereinigung in seinem Umfeld eine eher abwartende oder gar gelähmte Haltung wahrnahm, aber gerade deshalb die Ärmel hochkrempelte und den viel zitierten „Gründergeist“ besaß. Mit insgesamt drei Mitarbeitern bietet die Edition heute insgesamt 450 Notentitel und hat neben den bereits angesprochenen Bereichen die drei Schwerpunkte: Gesang durch die Jahrhunderte, Barockmusik (insbesondere des süddeutschen Raums) sowie Kirchenmusik. Biersack besucht Ausstellungen und Messen in ganz Europa und nutzt gerade die dort entstehende Nähe zu Musikern, Wissenschaftlern und Interessierten, um Bedarf, Trends und spannende Themen auszumachen und darauf zu reagieren: „Ich habe die Nase am Bahngleis, da ich mit den Leuten ins Gespräch komme“, so Biersack. Auf der Internationalen Musikmesse Frankfurt konnte er in diesem Jahr den Umsatz verdoppeln und auch generell bestätigt Biersack für sein Unternehmen: Tendenz steigend.
Mit hohem Arbeitseinsatz und vielseitiger Begabung sind sie aktiv und präsent, online sowie persönlich, suchen Nähe zum Kunden wie auch zum gegenwärtigen Musikleben. Kleine Musikverleger finden tatsächlich ihre „Nischen“, und oft mehr als nur eine. Selbst in Zeiten „allgemeiner Negativ-Stimmung“ leben sie darin sehr gut. Denn sie versuchen, nicht für den Notenschrank zu produzieren; vielmehr ist es ihr Anliegen und ihre Chance, Bedarf zu erkennen und vor allem flexibel, schnell, innovativ und qualitativ hochwertig darauf zu reagieren. Dies schließt eine Bandbreite des Angebots nicht aus, ganz im Gegenteil: auch hier stehen die Zeichen auf „Ganzheitlichkeit“ und Vielfalt.