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Johannes Bultmann. Foto: SWR/Oliver Reuther
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Der Orchesterfusionär – Johannes Bultmann im Gespräch mit Georg Rudiger

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Johannes Bultmann (Jahrgang 1960), seit Herbst 2013 künstlerischer Gesamtleiter der SWR Klangkörper und Festivals, verlässt Ende des Jahres das SWR Symphonieorchester. Mit Georg Rudiger unterhält er sich über seine Tätigkeit als Orchesterfusionist zweier Orchester, ihrer Neuaufstellung als ein Orchester unter Teodor Currentzis – und darüber, wie es jetzt für das Orchester und ihn selbst weitergeht.

nmz: Viele hat überrascht, dass Sie Ende des Jahres aufhören. Warum dieser Schritt?

Johannes Bultmann: Das ist eine rein private Entscheidung. Ich habe inzwischen ein Lebensalter erreicht, bei dem es sich anbietet, Bilanz zu ziehen. Und dabei habe ich festgestellt, dass so manches auf der Strecke blieb. Das möchte ich jetzt nachholen.

Wird Sabrina Haane als neue Gesamtleiterin des Symphonieorchesters genau die gleichen Aufgaben wie Sie übernehmen?  

Nein. Meine Stelle wurde vom SWR ganz maßgeblich für die Zusammenführung der beiden Orchester geschaffen. Dieser Prozess ist nun vollzogen und somit ist es an der Zeit, eine Managementstruktur zu schaffen, die sich an internationalen Orchestern orientiert. Mit der Berufung von Frau Haane haben wir die Leitungsposition optimal besetzen können. Ihr zur Seite steht als künstlerischer Planer Dr. Henning Bey.

Teodor Currentzis hat seinen Vertrag bis 2024 verlängert. Warum wollten Sie nicht die erfolgreiche Zusammenarbeit, für die Sie mit seiner Verpflichtung entscheidende Verantwortung trugen, fortführen?

Ein bisschen Wehmut schwingt bei meinem Abschied durchaus mit. Aber wie sollte das auch anders sein. Gleichzeitig weiß ich, dass das Orchester sehr gut aufgestellt, optimistisch in die Zukunft schauen kann und meine Aufgaben damit erledigt sind.

Mit welchem Gefühl verlassen Sie das SWR Symphonieorchester?

Mit unendlich großer Dankbarkeit – jedem einzelnen Musiker, aber auch dem wunderbaren Orchestervorstand gegenüber, mit dem wir immer sehr vertrauensvoll und konstruktiv zusammengearbeitet haben. Gleich großer Dank gebührt all meinen Kollegen im Team und der Direktion des SWR. Alle von Beginn an für die Entwicklung und Positionierung des Orchesters getroffenen Absprachen wurden ohne Wenn und Aber eingehalten – beileibe keine Selbstverständlichkeit. Und natürlich bin ich auch den renommierten Veranstaltern dankbar, die schon früh dem Orchester ihr Vertrauen geschenkt und es zu Konzerten eingeladen haben.

Die Orchesterfusion wurde über Jahre hinweg zumindest in Freiburg heftig kritisiert, auch in mehreren Demonstrationen. Wie haben Sie persönlich diese Zeit erlebt? Und war es vielleicht gerade dieser Herausforderung, die sie besonders gereizt hat?

Das Thema war natürlich strittig. Eine besondere Herausforderung suchte ich damals jedoch nicht; die hatte ich zuvor schon im Festspielhaus Baden-Baden und auch in der Philharmonie Essen. Vielmehr war ich von der Qualität der Musiker überzeugt. Ich glaubte fest daran, dass hier etwas ganz Besonders entstehen kann. Dazu wollte ich meinen Beitrag leisten. Mit dem Wissen um die Qualität der Musiker war mein Fokus immer nach vorne gerichtet.

In den beiden ersten Jahren nach der Fusion waren gewissen Probleme auch in Konzerten nicht zu überhören. Es gab vier Konzertmeister statt zwei, auch vier Stimmführer in den meisten Streichergruppen und vier Solobläser in vielen Registern, die Orchestermitglieder aus Freiburg und Stuttgart kannten sich noch nicht, es fehlte an Homogenität.

Wir standen vor der Herausforderung, einen Spielbetrieb zu organisieren, der die Orchestermitglieder ein Gefühl füreinander entwickeln ließ. Deshalb haben wir uns auf einen Tarifvertrag verständigt, der dem Orchester Parallelproduktionen ermöglichte. Dies unterstützte das musikalische und persönliche Kennenlernen enorm. Und auch die nationalen und internationalen Tourneen haben hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet.

Wie kam die Entscheidung für Teodor Currentzis zustande?

Für die Wahl des Chefdirigenten haben wir uns bewusst Zeit gelassen. Der Vorschlag, Teodor Currentzis zu verpflichten, kam aus einem Musikergremium. Ich kannte Teodor schon viele Jahre. Genauer gesagt, seit seinem Deutschland-Debüt mit dem Mahler Chamber Orchestra, als er in der Philharmonie Essen gastierte. Auch seine konzertanten Mozart-Opern im Konzerthaus Dortmund habe ich verfolgt. Nach ersten Gesprächen bat er darum, auch Musiker des Orchesters kennenlernen zu dürfen, um ein Gespür dafür entwickeln zu können, wie sich die Zusammenarbeit gestalten könnte. Dann ging es sehr schnell. Nach nur einer Woche Bedenkzeit kam die freudige Nachricht seiner Zusage.

Was hat ihn gereizt, diese Aufgabe zu übernehmen?

Er hat die Chance erkannt, hier etwas Neues aufzubauen. Zudem war ihm klar, dass seine Expertise auf dem Gebiet der Alten und Neuen Musik geradezu perfekt zu den Kompetenzen unseres Orchesters passte.

Man hört viel von seiner besonderen Probenarbeit. Was zeichnet sie aus?

Teodor fordert in der Probe von jedem völlige Hingabe. Diese Hingabe lebt er selbst geradezu exemplarisch vor. Er probt außergewöhnlich intensiv – es kann sein, dass er sich in den ersten Proben auf nur wenige Takte beschränkt, in denen er beispielhaft Dinge zeigt. Damit hat er von Anfang an das Orchester für sie eingenommen. Und so haben wir zunächst bewusst groß besetzte Werke aufs Programm gesetzt, um möglichst vielen Orchestermitgliedern die Arbeit mit Teodor zu ermöglichen.  

Das SWR Symphonieorchester ist ein selbstbewusstes Orchester, das den Dienstplan selbst erstellt. Von seinem eigenen Orchester MusicAeterna ist es Currentzis aber gewohnt, dass er alles entscheiden kann. Führt das nicht zu Konflikten?

Die Spielregeln haben wir von Beginn an festgelegt, klar und transparent, in vollem Einverständnis mit allen Beteiligten.

Bei MusicAeterna sucht er sich die Orchesterbesetzung aus. Beim SWR Symphonieorchester teilen sich die Musiker selbst ein. Auch das hat Teodor Currentzis akzeptiert?

Natürlich äußert er Wünsche – das ist aber auch sein gutes Recht und das handhaben alle anderen Chefdirigenten genauso. Letztendlich wird die Besetzung aber vom Orchester bestimmt.  

Wie steht das SWR Symphonieorchester Ihrer Meinung nach heute da?

Das Orchester ist viel schneller an der Spitze der deutschen Orchester angekommen, als dies zu erwarten war. Wir werden regelmäßig von großen internationalen Konzertveranstaltern eingeladen, darunter das Konzerthaus Wien, die Salzburger Festspiele oder die Hamburger Elbphilharmonie. Das ist ein großer Vertrauensbeweis. Was die Zukunft anbelangt, gilt es vor allem, die vakanten Solostellen adäquat zu besetzen.

Sie haben sich mit Ihrer Berufung damals für die Schaffung der Marke SWR Classic stark gemacht. Was hatte es damit auf sich?

Neben dem Symphonieorchester bietet der SWR dem Vokalensemble, der Big Band, dem Experimentalstudio und den Festivals von Schwetzingen und Donaueschingen ein Zuhause. Allesamt haben internationales Format. Damit steht der SWR in der ARD ganz vorne, was die Förderung klassischer Musik anbelangt. Die Marke SWR Classic betont den Stellenwert dieses einzigartigen Engagements. Und mit dem Webportal SWRClassic.de haben wir einen digitalen Ausspielweg installiert, über den wir inzwischen Millionen Menschen rund um den Globus erreichen.

Was kommt für Sie nach dem SWR Symphonieorchester?

Ich hoffe natürlich, dass ich gesund bleibe. Neben der Musik hatte ich immer eine zweite Leidenschaft, den Sport. Und so freue ich mich auf ausgedehnte Touren mit dem Mountain- oder Rennrad. Oder auch auf das Bergsteigen in den Alpen, das ich erst kürzlich für mich entdeckt habe.

Eine neue beruflich Aufgabe streben Sie nicht an?

Man soll niemals nie sagen, aber im Augenblick ist nichts geplant – einen Fulltime-Job werde ich aber ganz sicher nicht mehr ausüben.

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