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Staatspräsident und Komponist: Ivo Josipovic.Foto: http://www.mbz.hr
Staatspräsident und Komponist: Ivo Josipovic.Foto: http://www.mbz.hr
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Der Staatspräsident komponiert: die Musik Biennale Zagreb tourt im Westen

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1961, der ostdeutsche Staat ist gerade dabei, seine Bürger einzumauern, da beharrt Jugoslawien auf seiner aparten Ostblock-Sonderrolle. Die Bereitschaft, den Dialog mit Mitteleuropa offen zu halten, bekommt einen Namen: Musik Biennale Zagreb. Jetzt hat diese beherzte Erfindung ihr 50-Jahr-Jubiläum begangen und in Gestalt des Cantus Ensemble Zagreb ein Gastspiel drangehängt: Paris, Düsseldorf, Mönchengladbach. Eigentlich schön, möchte man meinen.

Und tatsächlich ist die Ausgangslage vielversprechend. Das Hausensemble der Musik Biennale Zagreb (MBZ) unterwegs mit einem Gratulationsprogramm für seine Festival-Präsidenten: Milko Kelemen, MBZ-Gründungsvater, Fortner-Schüler, vormaliger Kompositionsprofessor der Düsseldorfer Schumann-Hochschule. Berislav Sipus, aktueller künstlerischer Leiter der Biennale wie des Cantus Ensembles. Und – zweifellos die schillernste Persönlichkeit – Ivo Josipovic, der nämlich gleich zwei entsprechende Ämter bekleidet: das eines Festival-Präsidenten (seit 1991) und dazu (seit Januar 2010) das des kompletten kroatischen Staatswesens. Ein Kasus, man male es sich aus, als würden Kompositionen von Herrn Wulff in Witten, in Donaueschingen oder auch nur, wie jetzt im Falle Josipovic geschehen, in der Düsseldorfer Tonhalle zu Gehör gebracht werden. Bisher ist es zu dieser Schlagzeile noch nicht gekommen. Das so genannte „Land der Musik“ kann bekanntlich lediglich einen freiliberalen Präsidenten in die Waagschale werfen, der den gelben Wagen singend hoch hat leben lassen. Aber einen komponierenden Staatspräsidenten? Kroatien hat ihn!

„Musicam psallite“

nennt Josipovic (Politslogan: „Nova pravednost“/“Neue Gerechtigkeit“/„PravDA“) ein leicht ironisches Werk, in dem Streichquartett, Flöte, Klarinette, Trompete, Klavier, Schlagzeug unverstellt der altjugoslawischen Synkope huldigen. Am Ende hebt sogar noch ein Singsang an, den Cantus allerdings etwas schwermütig-betrunken darbot und der zum verschmitzten Lächeln des Präsidenten wie es das im Programmheft abgebildete Foto zeigte, nicht recht passen wollte. Überhaupt schienen die Musiker des MBZ-Hausensembles einen schlechten Tag erwischt zu haben. Ein anstregendes Reiseprogramm forderte offenbar seinen Tribut. Da wurden Kelemens „Konstellationen“ aus dem Jahr 1959 und das Ensemblestück von Sipus für 14 Instrumente über, wie zu lesen war, einen Komponisten im Regen ohne Regenschirm, fahrig heruntermusiziert. Die Holzbläser schrill, die Pauke dröhnend. Man kann dies herzhaft nennen. Zu den gepfefferten Balkanrhythmen eines Berislav Sipus und Ivo Josipovic passte es auch irgendwie, weniger indes zu der an einem europäischen Avantgardemodell maßnehmenden Musik Milko Kelemens.

Was den künstlerischen Ertrag des Abends anging, so musste der denn auch ganz allein vom ART-Ensemble eingefahren werden. Miro Dobrowolny, der Initiator dieses Gastkonzerts, hatte es aus Mönchengladbach mitgebracht. Von Haus aus ist Dobrowolny Komponist mit, wie er lächelnd hinzufügt, „Migrationshintergrund“. Als Sechsjähriger, an der Seite der Eltern, hat er Kroatien mit Ziel Bundesrepublik verlassen. Da steht der Berufswunsch Musiker indes schon fest. Frühe Theater- und Musik-Erfahrungen geben den Ausschlag. Und bis heute beschäftigen ihn jene glagolithischen Gesänge, die sich unabhängig vom temperierten mitteleuropäischen Tonsystem entwickelt und an der kroatischen Küste erhalten haben. In „Bridges“ für 9 Instrumente, das das ART-Ensemble mit großer Gewissenhaftigkeit zur Uraufführung brachte, wurde dieses Aufeinandertreffen hörbar. Eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die beides ist: irritierend und stimulierend.

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