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Hinterhältige Kirchenbürokratie: Scott MacAllister als Radames und Mikhail Kazakov als Ramfis in der Kölner Aida. Foto: FORSTER
Hinterhältige Kirchenbürokratie: Scott MacAllister als Radames und Mikhail Kazakov als Ramfis in der Kölner Aida. Foto: FORSTER
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Die Kirche ist an allem schuld: Johannes Erath inszeniert Giuseppe Verdis „Aida“ in Köln

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Die nervöse Sensibilität des Dirigenten Will Humburg war einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg der Kölner Premiere. Der Koordinator der gewaltigen Menschenansammlungen auf der Bühne und des in die Stille führenden Abschieds der Protagonisten von dieser Welt agiert, als müsse er selbst ganz körperlich die Musik hervorbringen.

Er hält bei den zügig durchmessenen großen Tableaus die Zügel straff in der Hand. Humburg sorgt für hohe Präzision und animiert fast durchgängig. Er versteht den Chor zu begeistern und steigert den Einsatz der vielen zusätzlichen Bläser, die im 2. Akt auf die Bühne strömen, zu einer wahrhaft prächtigen Episode.

Die Sopranistin Hui He, die in eine Novizinnen-Kutte gesteckte Aida, zelebriert auch in den Höhen ein voluminöses zartes Piano (einige Intonationsprobleme mögen sich im Lauf der Folgevorstellungen lösen). Als Vater der in Ägypten als Sklavin gehaltenen äthiopischen Prinzessin profiliert sich Samuel Yuon. Den fanatischen politischen Willen des Kriegerkönigs Amonasro macht er eben so deutlich wie die Rücksichtslosigkeit gegenüber den Interessen der Tochter – stimmlich wie darstellerisch.

Amneris, die Tochter des Pharao, setzt sich als Aidas Gegenspielerin durch. Mit ihrem kraftvollen Mezzosopran dominiert Jovita Vaskeviciute nicht nur die Handlung, sondern auch das Quartett der Protagonisten. Die Partie des töricht-tragischen Helden zwischen zwei Frauen, die ihn beide und jede auf ihre Weise lieben, wird am Kölner Offenbachplatz von Scott MacAllister bestritten. Dieser Bühnenfeldherr erscheint mit seinem kraftvollen Tenor im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt. Als Darsteller freilich führt er die Verlegenheitsgesten vor, von denen wir hofften, daß sie für immer vom Theater verbannt wären. So einer hört dem Regisseur bei den Proben wohl geduldig zu, macht aber dann im Ernstfall doch, was er immer macht.

Antonio Ghislanzonis Libretto zu „Aida“ verschränkte drei Konflikte, zu denen jede neue Präsentation des Werks Stellung bezieht – vorsätzlich oder unwillkürlich. Erstens geht es (und gestützt von mitunter martialischen Klängen) um Krieg: um die politisch-militärische Auseinandersetzung zwischen einem nördlicheren und einem südlicheren Land in Nordafrika (dieser Handlungsstrang ist zur Zeit wieder auf fatale Weise aktuell). Zweitens statteten Dichter und Komponist die Rivalität zwischen politischer und geistlicher Macht, Königsherrschaft und Priesterkaste mit klaren Konturen aus (dieser Antagonismus prägte ja auch im Hochmittelalter das Verhältnis von römisch-deutscher Kaisermacht und Papstherrschaft; er zuckte bis in die Neuzeit nach – und Verdi war im Hinblick auf ihn sehr nachtragend). Drittens (und ohne dies Ferment wäre eine große Oper im 19. Jahrhundert kaum denkbar gewesen) gerät da ein Mann zwischen die konkurrierend liebenden Herzen und Hände von zwei Frauen: in diesem basalen Interessenskonflikt verhält sich der im Felde so umsichtige wie erfolgreiche Held in unverantwortlicher Weise naiv. Er läßt sich als orientalischer Cousin des germanischen Hünen Siegfried begreifen, der fünf Jahre nach Radamès die große Opernbühne zu erobern begann.

Der letztgenannte Interessensgegensatz ist offensichtlich allzeit von allgemeinem Interesse und, zusammen mit der (intuitiv vielleicht von vorneherein freiluftgeeignet angelegten) Musik von Giuseppe Verdi der Garant der dauerhaften Attraktion von „Aida“, dieser so hochgemut beginnenden exotistischen Geschichte, die mit grässlichem Sterben endet.

Johannes Erath behandelte die Frage von Krieg und Frieden nicht wie Ende des letzten Jahrhunderts John Dew in Hamburg, Dietrich Hilsdorf in Essen oder Peter Konwitschny in Graz als Stein des Anstoßes, sondern ganz beiläufig (so, wie für die meisten Deutschen ja der von ihrer Regierung in Afghanistan geführte Krieg außerhalb der Bewusstseinszonen liegt). Radamès bekommt bei Entsendung in den Süden über seinen schlichten modernen Anzug einen Brustpanzer umgeschnallt, als wäre er Lohengrin und nicht von dieser Welt. Schon Thomas Mann verwies im „Zauberberg“ in maliziöser Weise auf den Zusammenhang zwischen der großen Beschwichtigung des Kunstwerks „Aida“ und dem unsinnigen Heldentod im Ersten Weltkrieg. Von solchen Erkenntnishöhen hält sich die Kölner Produktion fern.

Der Pfiff der Inszenierung und der Kostüme des auch als Modeunternehmer nicht erfolgreichen Christian Lacroix ist, dass sie die altägyptischen Priester als katholische Bischöfe, Kardinäle etc. zeigen und den Pharao Ramfis als Papst-König. Diese Übertragung bringt, da Ramfis nun einmal ein Töchterchen besitzt, das gutkatholische Köln zum Schmunzeln. Aber sie ist schräg und funktioniert nicht wirklich: Auf Ägypten bezogen, müssten heute diese Priester wohl Mullahs sein und die Opfer aus der Mitte der zunächst homogen erscheinenden Bühnenbevölkerung koptische Christen. Das zu zeigen würde sich freilich mit der gegenwärtig dominanten Mehrheitsgemütslage der Deutschen und ihrer OberlehrerInnen anlegen. Davor schreckte der Regisseur zurück.

Zum Ende des zweiten Akts, wenn der Pharao eigentlich sein Versprechen einlöst und den Kriegsgefangenen auf den Wunsch von Radamès hin die Freiheit gewährt, inszenierte Johannes Erath eine große Gehorsamsverweigerung der Priester und ein Massaker ihrer Schweizer Garde. Noch einmal weist der Zeigefinger auf eine hinterhältige und mörderische Kirchenbürokratie, deren Aktivisten sich auf der Kölner Bühne verhalten wie bei der Liquidation des Templerordens zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Verbrechen der dergestalt inkriminierten Tätergruppe liegen ziemlich lange zurück. Sie mit der „Aida“-Story zu konnotieren erscheint als grobe Willkür und hätte wohl selbst den höchst kirchenkritisch eingestellten Verdi mit Unbehagen erfüllt.

Im handwerklichen Sinn ärgerlich bleibt, dass nach der szenischen Pointe zur Pause die antiklerikale Exposition im dritten und vierten Akt nicht mehr aufgegriffen oder gar plausibel ‚durchgeführt’ wird. Der ganze zweite Teil wird als Stehtheater nach der Großväter Weise absolviert. Nur am Ende herrscht in dem als Hinrichtungsstätte dienenden Grab – es ist die leere große Bühne – ein Kommen und Gehen: Amneris nimmt am Liebestod aus der Nähe Anteil und geht traurig ab. An ihrer Depression dürfte die Katholische Kirche nun aber wirklich nicht schuldig sein.

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