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Die klassischen Grenzen überschreiten

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Zum 37. Bundeswettbewerb von “Jugend musiziert“ in Berlin · Von Barbara Haack
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Wer dies fragt, verkennt eine unser ganzes Leben bestimmende Tatsache: Wettbewerb ist überall – selbst in solchen Systemen, die den Wettbewerb ablehnen und ihn auszuklammern versuchen. Es ist daher nur sinnvoll, einen solchen Wettbewerb – gerade für Jugendliche – zu steuern, ihn in Bahnen zu lenken, die gerecht und pädagogisch sinnvoll sind. Dies versucht “Jugend musiziert“ seit 37 Jahren. Mit einigem Erfolg: Kein anderes Jugend-Musikprojekt im klassischen Bereich ist so bekannt, wenige haben so kontinuierlich Zulauf von jungen Musikern, die beim Regionalwettbewerb „einfach dabei“ sein wollen, ebenso wie von den Besten und Begabtesten der jeweiligen Jahrgänge.

37 Jahre alt ist das Unternehmen “Jugend musiziert“; es kommt damit allmählich in die Jahre und muss doch, um seiner Klientel gerecht zu werden, immer jung bleiben. Wie in jedem Jahr hört man hier und da die kritischen Fragen, ob denn ein solches Unterfangen überhaupt noch zeitgemäß sei. Ob der harte Wettbewerb, gemessen in Prädikaten und Punkten, dem Medium Musik überhaupt gerecht werde, zumal bei Jugendlichen, also den sogenannten Laien. Wer dies fragt, verkennt eine unser ganzes Leben bestimmende Tatsache: Wettbewerb ist überall – selbst in solchen Systemen, die den Wettbewerb ablehnen und ihn auszuklammern versuchen. Es ist daher nur sinnvoll, einen solchen Wettbewerb – gerade für Jugendliche – zu steuern, ihn in Bahnen zu lenken, die gerecht und pädagogisch sinnvoll sind. Dies versucht “Jugend musiziert“ seit 37 Jahren. Mit einigem Erfolg: Kein anderes Jugend-Musikprojekt im klassischen Bereich ist so bekannt, wenige haben so kontinuierlich Zulauf von jungen Musikern, die beim Regionalwettbewerb „einfach dabei“ sein wollen, ebenso wie von den Besten und Begabtesten der jeweiligen Jahrgänge. class="bild">Britta Schoch, 1. Bundes-Preisträgerin (c) Erich Malter

Sie akzeptieren den Wettbewerb als solchen, stellen sich ganz bewusst den Bewertungskriterien. Und das ist gut so. Punktzahlen, Preise, Leistung stehen im Mittelpunkt des Bundeswettbewerbs. Und sie stellen eine starke Motivation für Jugendliche dar, von sich selbst etwas zu fordern, intensiv auf ein Ziel hinzuarbeiten, das sie sich setzen.

Dennoch gilt es, sehr ernsthaft darüber nachzudenken, was darüber hinaus zählt, und vor allem, wie man dies den jugendlichen Teilnehmern vermittelt. Wettbewerb ist überall – aber nicht alles ist Wettbewerb. Dies wäre die Botschaft, die die jungen Menschen mit nach Hause nehmen sollten. Aber wie ist diese Botschaft an den Mann oder die Frau zu bringen?

Weinende und strahlende Gesichter gab es auch in diesem Jahr nach den abendlichen Ergebnisbekanntgaben. Wie bringt man den Zufriedenen und Unzufriedenen bei, dass niemand als Mensch weniger wert ist, weil er die gewünschte Punktzahl nicht erreicht hat? Wie – zumal in einer Millionenstadt wie Berlin, wo der Wettbewerb riskiert sich zu verlaufen, – vermittelt man den Jugendlichen das Bewusstsein, durch ihre Teilnahme zu einem großen Ganzen, zu einer „Community“ zu gehören, die nicht deshalb bedeutend ist, weil sie Geld- und anderweitige Preise vergibt, sondern weil sie den Wert der Musik in sich trägt, den Gedanken der Beförderung von musikalischer Entwicklung und Qualität?

Wer in diesem Jahr Ergebnisbekanntgaben und Abschlusskonzerte miterlebt hat, war enttäuscht über die Atmosphäre: kaum Freudenausbrüche über hervorragende Leistungen, wenig begeisterte Stimmung nach den Konzertbeiträgen, wie man es von anderen Jahren her kennt. Mit einem interessanten Rahmenprogramm und mit einem großen Abschlussfest für alle Teilnehmer wird in jedem Jahr der Versuch unternommen, den „Community“-Gedanken zu befördern. Die Jugendlichen sollen eben nicht nur für ihr Wertungsspiel anreisen, ihr Ergebnis abwarten und dann wieder nach Hause fahren.

Und hier stellt sich erneut die Frage nach dem, was heute zeitgemäß ist. Vielleicht ist es an der Zeit, “Jugend musiziert“, zumindest in Teilen, zu öffnen, damit es wieder ein „Event“ im positiven Sinne wird. Bei aller Ernsthaftigkeit der Wertungen wäre über das Drumherum nachzudenken. Warum zum Beispiel öffnet man die Veranstaltung nicht gegenüber anderen Musikgenres?

Die Kinder und Jugendlichen, die am Wettbewerb teilnehmen, hören zu Hause ebenso Metallica wie Bach, die Prinzen wie „Tosca“. Ihre Freude an der Musik hört nicht bei Bartók auf und auch nicht bei Stockhausen. Wieso bringt man sie dann nicht zusammen mit jungen Musikern, die sich aktiv in anderen Sparten tummeln? Ein erster Schritt könnte die Zusammenlegung der bundesweiten Begegnung “Jugend jazzt“ mit “Jugend musiziert“ sein; aber auch Jugendbands ganz anderer Couleur könnten vertreten sein. Eine Öffnung im Bereich der Gestaltung des Wettbewerbs müsste keinesfalls einen Qualitätsverlust im Wertungsbereich mit sich bringen.

Unsere europäischen Nachbarn haben uns hier einiges voraus: in Schweden zum Beispiel gibt es einen landesweiten Wettbewerb für Jugendmusikgruppen aller Art, zuerst auf Regional-, dann auf Landes- und Bundesebene. Das Abschlusskonzert ist ein buntes Gemisch aller Genres zur großen Begeisterung der Jugendlichen – und des Publikums. Landesweit wird es im Fernsehen übertragen: Wann wäre dies jemals einem klassischen “Jumu“-Konzert im wahrsten Sinne des Wortes wiederfahren?

Zur gleichen Zeit wie “Jugend musiziert“ fand während der Pfingsttage in Berlin-Kreuzberg der „Karneval der Kulturen“ statt, ein buntes Wagenfest mit Beiträgen unterschiedlichster Kulturen. In allen Tageszeitungen und regionalen Rundfunksendern der Stadt wurde ausführlich darüber berichtet. “Jugend musiziert“ war dagegen nur wenig präsent in den Medien: sicher ohne Schuld der Pressestelle des Wettbewerbs, die beste Arbeit geleistet hat und in einer Stadt wie Berlin nicht zu beneiden war. Aber man mag es als Zeichen nehmen dafür, dass Grenzüberschreitungen wie ein „Karneval der Kulturen“ ein Publikum heute eher anziehen und zum Mitmachen anregen als die „klassische“ Abgrenzung. Neues kennen lernen, miteinander umgehen, voneinander lernen wären die Leitsätze, die hinter solchen Begegnungen stehen.

Und warum lässt man den Wettbewerb nicht von Jugendlichen mitgestalten? Ein ehemaliger Wettbewerbsteilnehmer als Mitglied des Hauptausschusses: Wäre dies ein zu großes Sak-rileg? Oder Wettbewerbsteilnehmer, die ein eigenes Rahmenprogramm gestalten – zum Beispiel mit Hilfe der neuen Medien, mit denen sie so mühelos umgehen?

Wer “Jugend musiziert“ kennt, weiß, dass in der Vergangenheit – auch gegen Widerstände – immer wieder Neues in Angriff genommen wurde, Anstöße zu Veränderungen aufgenommen und umgesetzt wurden. Es ist wirklich zu wünschen, dass dies dem Projekt auch im reiferen Alter erhalten bleibt!

 

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