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Emotionen, Energieschübe: 20 Jahre Vokalensemble Singer pur

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Thomas Schmidl steht im Konzert immer rechts außen. Er singt jenen tiefen Bass, der dem Vokalensemble Singer pur das Fundament in der Tiefe gibt und samtiges Wohlgefühl im Gesamtklang. Er ist aber auch ein Eckpfeiler in der zwanzigjährigen Biographie der Truppe, denn er gehört zu den ersten Gründern, die damals mit Jazz die heiligen Hallen der Regensburger Domspatzen aufwirbelten.

 „Die ersten Jahre waren geprägt von großer Freundschaft und Idealismus“, erzählt Schmidl. Die ersten fünf Singer Pur-Männer hätten damals Zuhause gesungen, die Nacht durchzecht, in aller Herrgottsfrüh wieder geprobt bis zum Absacker in der obligaten Kneipe. Das ging solange gut, bis sie irgendwann den Deutschen Musikwettbewerb gewannen und sich überlegen mussten; ob es beim Idealismus und der Freundschaft bleibt oder ob noch die Professionalität hinzukommen könnte. Sie konnte und es begannen Jahre, in denen an Besetzung, Repertoire und am ganz spezifischen Klang experimentiert wurde.

Singer pur – das sind heute fünf Männer und eine Frau. Und das geht hervorragend gut. Klanglich, weil Claudia Reinhards weicher, sinnlicher Sopran sich ganz leicht über dem Männerstimmensound schwebt. Und menschlich? Da antwortet Bariton Schneider-Waterberg: „Claudia ist ein riesiges Geschenk für uns. Sie ist auf eine Art sehr bescheiden, gleichzeitig faszinierend, vereinnahmend, dass man ihr gerne zuhört und zuschaut, ohne dass sie sich divenähnlich in den Vordergrund drängt.“

Solche Komplimente sind kostbar, denn meist sei das Arbeiten zusammen mit Männern „härter“, lacht Reinhard. Da habe sie sich anpassen müssen. „Wir singen alle gleichzeitig“, erklärt Schneider-Waterberg. „Es ist nie jemand von außen dabei, der uns zuhört. Wir müssen alles aus dem Singen heraus selber beeinflussen. Das ist gar nicht so einfach“. Und mit der Kritik des Kollegen muss man auch umzugehen lernen. „Es ist nicht einfach, das zu trennen“, gibt Reinhard zu, „weil die Musik sehr viel mit Persönlichkeit zu tun hat. Sobald ich singe, gebe ich etwas von mir. Also, wenn jemand sagt: Mach das mal anders, dann heißt das auch: Sei ein Stück anders“.

Auch die Entscheidungen zu Programm, Interpretation oder Tournee werden demokratisch gefällt. Natürlich hätten alle unterschiedlich „Charaktere und Kanten“, sagt Markus Zapp, aber wenn die verschiedenen Meinungen aufeinanderprallten, könne das auch zu einem großen Energieschub führen. Markus Zapp und Klaus Wenk gehören zu den drei Regensburger Domspatzen bei Singer pur. Die beiden fanden ihre Schulzeit musikalisch und persönlich sehr prägend, ihre eigenen Söhne würden sie aber nicht auf diese Schule schicken. Der eine Vater nicht, weil man auch anders Karriere machen könne und der andere, weil seine Kinder nicht so sehr nach Musik lechzen, wie er damals. Reiner Schneider-Waterberg hingegen wäre sehr gerne in ein musikalisches Internat gegangen. Aber diese Möglichkeit gab es für ihn nicht in Namibia. Dort ist Schneider-Waterberg nämlich aufgewachsen. Auf einer Rinderfarm, die sein Urgroßvater im damaligen Deutsch-Südwestafrika aufgebaut hatte. Sein Weg zu Singer pur ging über ein Stipendium in Cambridge und ein Gesangsstudium in Basel.

Seit 20 Jahren gibt es Singer pur (vergangenes Jahr wurde Jubiläum gefeiert), der steinige Weg zum Erfolg, hartes Arbeiten und Proben liegen hinter den Sängern. Drei Mal haben sie den Echo-Klassik Preis bekommen. Den richtig großen Karriere-Sprung bescherte ihnen die CD SOS- Save our Songs. 2006 hatte Singer pur mit neuen Arrangements von alten deutschen Volksliedern einen Begeisterungssturm im Feuilleton hervorgerufen und unzählige Nachsänger. „Diesen Erfolg konnte wirklich keiner abschätzen“, erinnert sich Zapp, zumal sie dieses Projekt nur für sich selber gemacht hätten: Weil sie auf internationalen Konzerttourneen feststellen mussten, dass die anderen Chöre sich immer mit zahlreichen Volksliedern vorstellten, Singer pur aber mit den deutschen Volksliedern nicht recht mithalten konnte. „Das kann doch nicht so weitergehen“, dachten sie und sorgten für außergewöhnliche Arrangements der bekannten deutschen Volkslieder.

Gleich im Anschluss daran legten sie eine CD mit Weihnachtsliedern auf, die mittlerweile  für manch einen zu Weihnachten dazu gehört wie der Gänsebraten und die Zimtsterne. Die Sehnsucht nach klaren, entstaubten, künstlerisch anspruchsvollen Volksliedern scheint da zu sein. Und wie steht es um das Singen in den Schulen und Kindergärten? Claudia Reinhard unterrichtet angehende Lehrerinnen und musste feststellen, dass man dort „die Volkslieder, die meine Mama mir vorgesungen hat, und die wir aufgenommen haben, nicht kennt.“ Dafür aber Rolf Zuckowskis „Weihnachtsbäckerei“. Dahinter stecke das Verlangen, immer alles neu machen zu wollen. „Ich finde es aber schön, wenn das Alte gepflegt wird“, so Reinhard. Schneider-Waterberg konterte, er habe als Kinderchorleiter erkannt, dass den meisten Kindern heute die Naturromantik der deutschen Lieder fremd sei. Heute gehe niemand mehr jagen oder kenne eine Mühle am rauschenden Bach. Und dann erzählt er noch von langen Autofahrten durch den Busch in Namibia: „Da haben wir eben drei Stunden Volkslieder gesungen.“ Heute gebe es die Musik über iPod.

Die Kulturbranche kriselt, Veranstalter und Künstler suchen nach Möglichkeiten, neues Publikum zu gewinnen. Singer pur aber möchte sich „nicht verdrehen, einfach dem Veranstalter zuliebe skurrile Sachen machen.“ Stattdessen bauen sie auf intelligente, exzellent durchdachte Programme mit innerer Dramaturgie. „Die letzten Konzerte waren alle ausverkauft“, erzählt Warwitz. Und trotzdem können die Sechs von Singer pur nicht von diesen Erfolgen alleine ihren Lebensunterhalt bestreiten. Claudia Reinhard singt im Bayrischen Rundfunkchor und unterrichtet angehende Lehrerinnen. Schneider-Waterberg leitet mehrere Kirchenchöre, Klaus Wenk hat einen Lehrauftrag an der Musikhochschule in Regensburg für vokale Kammermusik.

Was würde den Sechsen von Singer pur fehlen, wenn sie sich nicht mehr treffen würden? Schneider-Waterberg: „Etwas ganz kostbares“. Schmidl: „Der Berufung zu folgen, die in mir angelegt ist“. Warwitz: „Die ganz besonderen musikalischen Momente“. Zapp: „Mit Kollegen ganz eng emotional, musikalisch auf höchstem Niveau etwas zu erreichen“, Wenk: „In eine Kirche reingehen zu dürfen und Musik solistisch zu singen“. Reinhard: „Diese Momente, wo man denkt: Boah, das ist jetzt richtig schön“.

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