In der guten alten Zeit, als es noch Könige gab, da gab es auch Hofnarren. Der Hofnarr hatte eine Sonderstellung, weil er sich qua „Amt“ vieles an kritischer Schelmerei erlauben konnte, was der Hofstaat und vor allem seine Berater sich nicht erlauben konnten, wenn sie nicht ihre Position oder gar ihr Leben verlieren wollten. Auch heute gibt es noch Hofnarren, obwohl sie sich im Allgemeinen besser tarnen und sie die Funktion, Hinweis und Ratschlag zu geben, verloren haben. Dafür gibt es andere Formen des Ratschlags für die Regierenden, wie Beiräte, Expertenkommissionen, Beratungsfirmen und vieles mehr.
Zwei Dinge haben alle diese Beratungsformen gemein: entweder man trifft sich immer wieder, weil der Kreis der Berater verhältnismäßig klein ist, oder es wird richtig teuer (siehe Beratungsfirmen). So wertvoll Expertenrat auch ist, er kann immer nur einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle gesellschaftlicher Meinungs- und Kompetenzvielfalt widerspiegeln. Die ach so (un-)abhängigen Beratungsfirmen, die seit Jahren wie Pilze nach einem warmen Herbstregen aus dem Boden sprießen, verdienen sich eine goldene Nase nach der anderen und dienen den Regierenden mit ihren Expertisen als Begründungsgrundlage für radikale Schnitte (zu oft mit einem herben Verlust an kultureller Infrastruktur verbunden) oder landen – ebenfalls zu oft – (im Verhältnis zum verschleuderten Steuergeld) in der Anonymität der Rundablage.
Die demokratisch legitimierten Einrichtungen der Zivilgesellschaft, wie zum Beispiel der Deutsche Kulturrat oder der Deutsche Musikrat, erhalten für ihre Politikberatung ebenfalls Steuermittel. Dieser Mitteleinsatz entspricht allerdings – gemessen an der Aufgabenfülle und an dem von den Regierenden insgesamt eingesetzten Ressourceneinsatz für Beratung – einer homöopathischen Verdünnung in Hochpotenz. Dass beide Dachorganisationen dennoch mit einer beeindruckenden Bilanz ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit aufwarten können, liegt an der Bereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger, sich ehrenamtlich zu engagieren. Diese Bereitschaft ist der Goldschatz jeder Demokratie, den es zu hegen und zu nutzen gilt. Mit dem Schatz „Bürgerschaftliches Engagement“ stehen Arbeitskraft, Wissen- und Erfahrungskompetenz sowie ein hohes Motivationspotential zur Verfügung, die aktuellen und künftigen Herausforderungen unserer Gesellschaft zu meistern.
So ist es nur folgerichtig, dass die Regierenden nicht erst seit gestern das Bürgerschaftliche Engagement als unverzichtbares Fundament unserer Gesellschaftsordnung in den höchsten Tönen immer wieder loben – parteiübergreifend und ohne Ausnahme. Die Liste der veröffentlichten Reden und Fachpublikationen über die Bedeutung des Bürgerschaftlichen Engagements für unsere Gesellschaft ist im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Themen lang und sie wird immer länger.
Da mutet es auf den ersten Blick wie ein übler Scherz an, wenn der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzminister öffentlich die Empfehlung abgibt, die „geldwerten Vorteile“ in gemeinnützigen Vereinen abzubauen und die Kriterien in Zukunft viel strenger zu verfassen (zum Beispiel die geplante Auflage, dass nur noch das als gemeinnützig zu bezeichnen ist, was sich im kulturellen Bereich mit dem kulturellen Erbe befasst). Einfach gesagt, die Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrem Engagement schon bisher dem Staat Milliarden an Kosten gespart haben, sollen nun noch mehr Geld mitbringen, damit sie sich – Gemeinnützigkeit hin oder her – ehrenamtlich engagieren dürfen! Dieser auch volkswirtschaftlich irrsinnige Plan betrifft alle Menschen, die sich in gemeinnützigen Vereinen engagieren – auch im Sport.
Nach der bekannten Taktik zwei Schritte vor, einen zurück, hat Vizekanzler Franz Müntefering inzwischen bekräftigt, dass der Entwurf so nicht umgesetzt werde und die Übungsleiterpauschale erhalten bleibe. Dass der modifizierte Entwurf, an dem gerade im Finanzministerium gearbeitet wird, nicht viel anders aussehen wird, steht zu erwarten. Anstatt darüber nachzudenken, wie die wertvollste Ressource eines Staates, die Identifikation seiner Bürger mit eben diesem Staat, durch ihr Engagement noch besser genutzt werden kann, wird hier ein Signal mit fataler Wirkung ausgesendet.
Jetzt ist nicht nur der Finanzminister, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert, die fatale Botschaft zurückzuholen und für eine nachhaltige Trendwende in der faktischen Wertschätzung für das Bürgerschaftliche Engagement Zeichen zu setzen.
Es ist höchste Zeit, dass der unerträglichen Diskrepanz zwischen Sonntagsreden und Montagshandeln ein Ende bereitet wird, indem den Worten die entsprechenden Taten folgen. Dazu gehören neben einer grundlegenden Verbesserung der Rahmenbedingungen (die Themenfelder sind hinreichend benannt), die klare Priorisierung zivilgesellschaftlicher Strukturen bei dem für die Beratung zur Verfügung stehenden Mitteleinsatz und der Ausbau der öffentlichen Anerkennung Bürgerschaftlichen Engagements, damit noch mehr Bürgerinnen und Bürger motiviert werden können, sich ehrenamtlich zu engagieren. Im Sinne von Willy Brandt finanziert der Staat damit ein wenig eine in einzelnen Sachfragen potentielle Opposition mit – unabdingbar im Sinne der Unabhängigkeit der Beratungsergebnisse und demokratischen Verfasstheit von Staat und Zivilgesellschaft!