Vom 17. November bis zum 2. Dezember geht Herbie Hancock auf eine Deutschland-Tour mit acht Stationen in Baden-Baden, Heidelberg, Dortmund, Bremen, Frankfurt, Hamburg, Köln und Stuttgart. Für nmz-Online sprach Oliver Hochkeppel mit dem US-amerikanischen Pianisten und Keyboarder.
Einer seiner bekanntesten Songs heißt "Chameleon" - das könnte auch eine Selbstbeschreibung von Herbie Hancock sein: Mit elf Jahren trat der heute 70-jährige Pianist an der Seite des Chicago Symphonie Orchestras als Klassik-Wunderkind auf. Bald aber wandte er sich - von Trompeter Donald Byrd gefördert - dem Jazz zu, legte 1962 sein Debütalbum "Takin' Off" und darauf seinen größten Hit "Watermelon Man" vor und wurde im Jahr darauf als Mitglied des Miles Davis Quintets endgültig zum Star. Von den Siebzigern an lenkte er seine Solokarriere erfolgreich in Richtung Fusion, Crossover und Electronic. Die Hommage an seine langjährige Weggefährtin Joni Mitchell "River: The Joni Letters" wurde 2007 mit drei Grammys bedacht, darunter dem als "Bestes Album des Jahres". Für das soeben bei Sony Classical erschienene - und auch in einem demnächst startenden Dokumentarfilm festgehaltene - "The Imagine Project" ist Hancock nun um die halbe Welt gereist, um mit Stars verschiedenster Provenienz ins Studio zu gehen, von Jeff Beck, Dave Matthews, Seal, Juanes oder Derek Trucks bis zu Pink, India.Arie, Chaka Khan, Lisa Hannigan und Anoushka Shankar, von den Chieftains und Los Lobos bis zur Wüstenband Tinariwen oder dem kongolesischen Kollektiv Konono No1. Vom 17. November bis zum 2. Dezember geht Hancock damit - wenn auch ohne die vielen Gaststars - auf eine Deutschland-Tour mit acht Stationen.
Oliver Hochkeppel: Sie haben stets die Grenzen zwischen Genres und Stilen überschritten. Das "Imagine"-Projekt hat aber schon personell eine neue Qualität. Entstand die Idee bei "Possibilities" vor fünf Jahren, wo sie auch schon mit vielen unterschiedlichen Künstlern arbeiteten?
Herbie Hancock: Ja, aber das war nicht die Motivation für dieses Album. Das war vielmehr der zentrale Aspekt des 21. Jahrhunderts, und das ist die Globalisierung, wie ich glaube. Dieses Phänomen brachte mich dazu, ein "globales" Album zu machen. Auf die Idee, einen Pfad in Richtung Frieden zu weisen. Wir haben so viele Konflikte auf der Welt. Es scheint fast, als würden wir uns zurück bewegen.
Hochkeppel: Ist es also Zeit, mehr an John Lennon als an Miles Davis anzuknüpfen?
Hancock: Nein. Es geht einfach darum, mehr an die Menschen und die Gegenwart anzuknüpfen statt als "Jazzmusiker" außen vor zu stehen. Es geht um eine reifere Einstellung dazu, was der Zweck von Musik ist. Der Zweck von Kultur überhaupt. Und der kann nicht darin bestehen, zu zeigen, wie raffiniert man ist.
Hochkeppel: Das Projekt hat also eine Botschaft.
Hancock: Ja.
Hochkeppel: Ist "Imagine" die bislang engste Verbindung von Musik und Religion, die sie bisher eingegangen sind?
Hancock: Ja, dem stimme ich zu.
Hochkeppel: Sie sind Buddhist. Was bedeutet das für Sie als Musiker?
Hancock: Es bedeutet für mich, dass Musik nicht das Ziel ist, sie ist der Weg.
Hochkeppel: Auf dem Album finden sich so viele großartige Stimmen und Instrumentalisten. Hatte Sie nicht Angst, dass Ihr Klavier etwas zu kurz kommt?
Hancock: Nein, ich habe schon in der Vergangenheit viele Platten gemacht, die so funktionierten. Ich genieße es, großartige Musiker zu begleiten. Ich bin immer noch ein Lernender, und das ist für mich ein Weg, etwas zu lernen.
Hochkeppel: Offensichtlich sind Sie immer noch neugierig auf alles Mögliche...
Hancock: . . .stimmt. . .
Hochkeppel: . . .gilt das auch fürs Reisen?
Hancock: Doch, ich mag es immer noch. Das Unterwegssein steht ja hier an der ersten Stelle der Gründe, warum ich diese Aufnahmen mache. Das einzig Traurige ist nur, dass das Reisen selbst keinen Spaß mehr macht, wegen dieser extremen Sicherheitsmaßnahmen. Die Menschen haben leider nicht gelernt, miteinander zu leben.
Hochkeppel: Die meisten bei "Imagine" beteiligten Musiker sind keine Jazzer. Trotzdem klingt es bei der Mehrzahl der Stücke so, als ob im Studio viel improvisiert worden wäre.
Hancock: Wir haben improvisiert. Denn der Geist des Jazz umfasst mehr als die traditionelle Vorstellung von Jazz. Er hat mit der Freiheit des menschlichen Geistes an sich zu tun. Wenn man also Pop- oder Ethnomusikern die Gelegenheit, die Umgebung und die musikalischen Möglichkeiten verschafft, dann ermutigt sie das entsprechend.
Hochkeppel: Haben Sie all die Stars selbst ausgesucht?
Hancock: Nein. Die meisten Vorschläge kamen vom Produzenten Larry Klein. Er kennt sich viel besser mit Sängern und Songs aus als ich. Erst am Ende haben ich dann über die Kombination und Konstellation entschieden.
Hochkeppel: Es ist ja keine Überraschung, dass ihr langjähriger Freund Wayne Shorter dabei ist. Aber eine Gruppe wie Konono Nr. 1 hat man sicher nicht auf einem Herbie-Hancock-Album erwartet.
Hancock: Richtig. Genau darin lag für mich der Reiz. Ich hatte die Chance, in einem für mich neuen Bereich und mit Musikern zu arbeiten, die ich noch nicht kannte.
Hochkeppel: Die Kombination von Los Lobos, K'Naan und Tinariwen ist besonders ungewöhnlich.
Hancock: Das ist das Ergebnis verschiedener Dinge. Es gab viele Überraschungen bei der Produktion. Bei manchen Künstlern, die wir uns gewünscht hatten, war die Teilnahme am Ende wegen ihres Terminplans unmöglich. Manche Künstler mochten den für sie vorgesehenen Song nicht, manches andere kam in letzter Minute dazwischen. Wir mussten also oft Alternativen finden, und manchmal stellte sich die Alternative als besser heraus als das ursprünglich Vorgesehene. Zum Beispiel bei Los Lobos.
Hochkeppel: Die spielen "Tamatnat Tilay", ein Stück, das Funk mit arabischen Klängen mischt. Das ist ja fast ein politisches Statement.
Hancock: (lacht) In der Tat, das hoffe ich.
Hochkeppel: Sie greifen auf berühmte Kompositionen von John Lennon, Bob Dylan oder Baden Powell zurück. Sie hätten doch auch eigene Standards nehmen können.
Hancock: Zunächst einmal ging es ja darum, die Stars zum Mitmachen zu bewegen. Die haben ihren eigenen Karriereplan, und ich wollte so viele Hürden wie möglich aus dem Weg räumen. Ein Weg dazu war, Songs zu nehmen, die sie kennen und nicht erst lernen müssen.
Hochkeppel: Aber zum Beispiel "Watermelon Man" hätten doch sicher viele gekannt.
Hancock: Aber das hätte nicht zum Thema des Projekts gepasst, zu dieser globalen Szenerie des friedlichen Miteinanders und des Nichtaufgebens.
Hochkeppel: Sie haben seit sehr langer Zeit keine eigene Band mehr, spielen lieber mit den "jeweils Besten", wie Sie sagen, oder fördern Talente. So waren sie einst der Entdecker von Wynton
Hancock: Marsalis und produzierten sein erstes Album. Jetzt scheint es, als wäre Marsalis mit seinem historischen und afroamerikanischen Verständnis von Jazz ihr Gegenpol. Wie stehen Sie zu ihm?
Was Sie beschreiben, ist eher mit dem verbunden, was er war, glaube ich. Ich habe das Gefühl, dass er sich - auch weil er älter ist - viel mehr geöffnet hat. Hat er nicht gerade mit Willie Nelson eine Platte gemacht? Sehen Sie, das passt gewiss nicht in das alte Bild von dem, was Marsalis repräsentiert.
Hochkeppel: Sie selbst sagten vor zehn Jahren in einem Interview, im Jazz hätte es seit 30 Jahren keine entscheidende Entwicklung mehr gegeben. Sehen Sie das immer noch so?
Hancock: Ich kann sagen, eine meiner Lieblingsbands ist immer noch die die von Wayne Shorter. Und Wayne ist älter als ich. Aber er ist definitiv dabei, einen neuen Pfad abzustecken, eine Vision. Es gibt junge Musiker, die den Jazz ebenfalls auf neue Umgebungen ausdehnen, zum Beispiel Lionel Lueke, mit dem ich seit einigen Jahren spiele, und der auf Blue Note seine eigenen Alben macht. Ich arbeite ja auch für das Thelonious Monk Institute. Beim Piano-Wettbewerb vor zwei, drei Jahren waren Teilnehmer aus der ganzen Welt dabei. Einer der besten war aus Armenien, ein anderer aus Estland. Das ist die Globalisierung, und der Jazz ist ganz vorne dabei. Das ist für mich wirklich der Kern des Jazz-Gedankens: Der Mut, neue Möglichkeiten zu erforschen und sich selbst auszudrücken, egal aus welcher Kultur man stammt.
Herbie Hancock live:
17.11. Baden-Baden, Festspielhaus
18.11. Heidelberg, Stadthalle
20.11. Dortmund, Konzerthaus
22.11. Bremen, Glocke
23.11. Frankfurt, Alte Oper
24.11. Hamburg, Laeiszhalle
25.11. Köln, Philharmonie
02.12. Stuttgart, KKL Hegelsaal