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Imbiss in Donaueschingen - Tag 2
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Imbiss in Donaueschingen – Tag 2

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Euch, teure Donauhallen, grüßen wir wieder: nachmittags eröffnete ein Handzettel- und Druckwarenflohmarkt namens Verlagsausstellung, halb siebenen snackte man Betroffenheitsvideokunst in Donauhalle A. Nun um acht Uhr startet das Eröffnungskonzert unter der Leitung Pierre Boulez’ in Donauhalle B. Let the gaaaames begin!

Am 17. Oktober Ein typischer Tag im ambitionierten „Off“-Programm der Donaueschinger Festtage: Schon um 11 Uhr einbestellt zur (überlangen) Generalprobe des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg, bemühen sich die Organisatoren im Anschluss kräftig, drei Protagonisten des vormittaglichen generalen Durchlaufs beziehungsweise des dereinst abendlichen eröffnenden Festivalkonzerts zum Gesprächskreis zu bewegen. Enno Poppe, Isabel Mundry und Pierre Boulez sind greifbar und standen Frage und Antwort.

Enno Poppes saloppen Äußerungen sind schon immer liebenswert, doch heute ist er besonders unprätentiös („Ich wollte noch was anderes sagen, habe ich jetzt vergessen“), Mundry hingegen gewinnt Herzen mit allerbester Statementimprovisation (ein Orchesterstück zwischen „Selbstbehauptung und Zuschreibung“), ehrlicher Mäkelei über die Veranstaltung („Das ist hier ein ziemlicher Kompromiss gegenüber der eigentlichen Idee“) und zauberhaftem Ausdruck („prozesshafte Figurentabellarik“). Nur Boulez scheint die Kommilitonen zu enttäuschen. Da hatte sich ein junger Musiker, Anfang zwanzig, erhofft, es beim Serialismus-Bayreuth-Experten zu tun zu haben mit einem „lieben alten Opi, den man einfach nur in den Arm nehmen möchte“, doch meinte am Ende, nur einen „grantigen, knörigen“ Herrn erlebt zu haben. Empfinden das die anderen Studenten auch so? Niemand mag so recht Fragen stellen.

Im Café Hengstler an der Karlsstraße lassen junge Studierende bei Tessiner Kirschkuchen sich äußerst gehen. Der Eindruck, die übrige distinguierte und eher ältere Gästeschaft störe sich an den komponistischen Extraversionen, erweist sich als falsch: Zwei Damen vom SWR laden den Pulk heiterer Kompositionsstudenten (und eines Gesangsstudenten, zählt mich jener an, dessen Individuiertheit bitte nicht zu unterschlagen) ein, morgen früh zur so genannten „Ensembliade“ um 11.30 Uhr in der ersten Reihe auf deren Reservierung Plätze zu beziehen, um nach den Konzerten schnell unbefangene und gut gelaunte Kommentare übers Gehörte in die südwestfunkschen Digitalrecorder zu plaudern.

Am Abend gibt’s gehörig auf die Ohren: Um 18.30 Uhr quietscht Dror „fff“ Feiler auf einem Klarinetteninstrument (sei’s Klarinette, sei’s Saxofon), derweil ein Videobeamer Filmclips nächtlichen kolumbianischen Walds auf eine Leinwand wirft. Rondoartig wechseln sich diese Passagen ab mit Videoausschnitten singender FARC-Mitglieder: kämpferische Texte von Besitzungleichheiten und ruhmreichem Guerillatum. Im Wechsel der Filmpassagen von Urwald mit dem Singen weiblicher, männlicher und adoleszenter Rebellen platziert der Komponist feierliche Texte zu Fragen wahrheitlichen Komponierens und Künstlereituns frei nach Bert Brecht. Nicht nur der frappierend schlichten Form, des anrührigen Sujets oder des holzhammerdidaktischen Anspruchs wegen lässt die Videoklarinettenperfomance einige Fragen offen. Was ist es denn, das „courageous writing“, und halte er dieses sein Werk als „courageously written“?

Die 30 performativen Minuten waren stehend zu rezipieren; nun zwickt’s selbst den Junghüfpendsten in den Füßen. Wir sitzen zum Augenblicke in der Donauhalle A und harren der Dinge, die da kommen, respektive des Protagonisten, also Pierre Boulez’, der da gleich zu dirigieren wohl anhebt. „Ich kann nicht mehr“ stöhnt mein 21-jähriger Sitznachbar, schon heute: am ersten Tag der Musiktage, erkennt jeder Jüngling: Donaueschingen ist kein Ponyhof.

Bei der Uraufführung von „Aksaks“ von Fabián Panisello ist es eine Wonne anzusehen, mit welcher großgestischen Emphase die I. Violinen sich in ihre forteexpressiven Linien legen, allein: Vergesst es, Jungs und Mädels – gegen fünf Schlagzeuger, die dreschen wie nichts, und diesen Bläsersatz (zwei Tubas!) war noch nie kein Kraut gewachsen. Der dritte Satz gleitet ins Profane, Panisello elaboriert über leichte und schwere Zählzeiten, gähn, so’ne rhythmische Nummer. Überhaupt die Mehrsätzigkeit: frappierend erlebt man, wie die schiere Formanlage mehrerer Sätze Gewandhausstimmung erzeugt, mit all dem Hüsteln und Murmeln zwischendurch. Aber nichts für ungut, Herr Panisello: einige rasend schöne Augenblicke. Enno Poppes „Altbau“ variiert über kleinste Motive und spielt mit Referentialität auf Historisches. Satz 3 exponiert das solistische Englischhorn: das ist Berlioz! – Poppe vertont das Leipziger Waldstraßenviertel.

In allem dürfte das Publikum äußerst zufrieden sein mit allen Stücken. Nicht nur, weil wohl Viele hier mit Grausen nur zurück denken an den Murks, der das Gros der Darmstädter Darbietungen im Juli ausmachte. Donaueschingen 2008 klingt, Feiler natürlich ausgespart, direkt, griffig und redlich; kein verklemmtes Verstecken hinter Materialzitaten oder tonalen Stimmungsaufhellern, keine Unbeholfenheit mit dem Medium. Wir sind gespannt, die Stimmung ist gut, das Tannenzäpfle nicht minder. Donau, ohee!

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