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Gastierte wieder in Warschau: der European Workshop for Contemporary Music. Foto: Miriam Papastefanou
Gastierte wieder in Warschau: der European Workshop for Contemporary Music. Foto: Miriam Papastefanou
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Mut zum breiten Spektrum: Die 55. Ausgabe des Warschauer Herbstes stand unter dem Motto „... mit einer Stimme“

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Dunkelheit. Ein Sprecher. Inspizienten-ähnliche Ansagen. Theatersituation in der ehemaligen Wodkafabrik Koneser, heute ein Kulturzentrum in Warschau. Dann hasten betriebsam die Musiker des „European workshop for contemporary music“ über die Bühne, außerdem Schüler einer Warschauer Schule, und Hunde sind auch dabei. „Vivarium - Reisen, Kochen, Zoo“ hat der aus Düsseldorf stammende Komponist Manos Tsangaris sein polymediales Musiktheaterstück genannt.

Man spürt, dass Tsangaris, der Schüler von Mauricio Kagel, sich seinem Lehrer verbunden fühlt. Spielerisch werden in „Vivarium“ Stadien der Menschheitsentwicklung auf's Korn genommen: Der Mensch als Nomade oder als Sesshafter und als zivilisiertes Wesen. Im mittleren Teil „Kochen“ gruppieren sich zwei Sänger, Musiker, Dirigent (exzellent: Rüdiger Bohn) um einen riesigen Tisch. Aus einem Topf dampft Trockeneis, daneben eine Vase mit Goldfischen. Geräusche und Klänge entstehen einerseits traditionell akustisch, werden aber auch andererseits vermixt mit naturalistischem Knistern mit Papier oder mit Schnarren mit Messern oder Ähnlichem. Tsangaris’ „Vivarium“ regt zum Nachdenken an und ist dazu unterhaltsam.

„... mit einer Stimme“. Das Motto des 55. Warschauer Herbstes ließ die unterschiedlichsten Assoziationen zu: Zum einen die Stimme, die Musik, die eine Botschaft vermittelt, zum anderen – ganz klassisch – die Stimme, die singt. In Warschau etwa zu hören bei Beat Furrers „Canti notturni“, György Kurtags „Vier Capricci“ oder Oskar Strasnoys „Geschichte“ nach dem gleichnamigem Theaterstück von Witold Gombrowicz. Diese kleine „a cappella-Oper“ wurde gesanglich und darstellerisch fantastisch von den Neuen Vokalsolisten Stuttgart geboten. Ebenso bewegend war etwa die polnische Erstaufführung von Matthias Pintschers „Hérodiade-Fragmenten“ beim Abschlusskonzert des Festivals in der Warschauer Philharmonie. Faszinierend, unter die Haut gehend dabei die polnische Sopranistin Anna Mikołajczyk bei dem anspruchsvollen, hoch-expressiven Solopart, sensibel und virtuos begleitet von Lukas Vis am Pult des Nationalen Polnischen Radio Sinfonieorchesters Katowice.

Wichtig ist Tadeusz Wielecki, dem künstlerischen Leiter des Festivals, und dem Programm-Komitee aus Komponisten und Musikwissenschaftlern auch, Traditionslinien aufzuzeigen. So fand zum Beispiel ein Klassiker des Expressionismus Eingang in das Programm: Schönbergs „Pierrot au Lunaire“. Nicht, weil sich 2012 das Uraufführungsdatum zum 100. Mal jährt, sondern vor allem wegen Schönbergs innovativem Umgang mit Text, der extremen Ausdrucksqualität des gesungenen und gesprochenen Textes. Im Kontrast dazu kam im selben Konzert eine Art zeitgenössischer Kommentar zu Schönberg zur Uraufführung. Maciej Jabłonski  (geboren 1974) verwendet in seinem „Lunar Pierrot“ dieselbe Instrumentalbesetzung wie Schönberg, er fügt Elektronik, Videos und einen Schauspieler hinzu. Mit wenigen Textfragmenten Schönbergs ließ Jabłonski dann seiner Fantasie freien Lauf, indem er versuchte zwischen karikaturistisch, absurd und unglaublich banal den Sinn und Unsinn von theatralischer Aktion in eine Form zu bringen. Im direkten Kontrast mit Schönbergs Original blieb Jabłoński mit seinem „Pierrot“ dabei allerdings ziemlich beliebig und oberflächlich.

Auch einige andere, experimentellere Versuche, mit nicht musik-immanenten Elementen Botschaften zu vermitteln, vermochten nicht vollends zu überzeugen. Das schwedisch-französische Flötisten-Duo Anna Petrini und Fabrice Jünger hatte zum Beispiel das Gemeinschaftswerk „Intérieur/Extérieur“ von Kent Olofsson und Jörgen Dahlquist im Programm. Zum Teil sehr brutale Videos werden instrumental und elektronisch unglaublich belanglos musikalisch illustriert. Ärgerlich war auch die fast autistische Ausführung, ohne Kontakt zum Publikum.

Gelungen und faszinierend virtuos, mit einer bedenkenswerten Aussage, dagegen „Luna Park“ von dem griechisch-französischen Komponisten Georges Aperghis. Vier Künstler – zwei Flötisten, eine Tänzerin, ein Percussionist - sind hier jeweils in vier parallel auf der Bühne stehenden Käfigen gefangen. Sie äußern sich instrumental, stimmlich, mit Bewegung. Beobachtung von sich selbst und den jeweils anderen geschehen über Monitore und Kameras. Kontakt oder Begegnung sind jedoch nur virtuell. Die Realität ist die Einsamkeit.

In der Summe vermochten beim diesjährigen Warschauer Herbst eher die „klassisch“ dargebotenen Konzerte zu überzeugen. Der Mut jedoch zu einem stilistisch so breiten Spektrum, der Mut, vor allem auch jungen Komponisten Aufträge zu geben und damit ein Risiko einzugehen, verdient Respekt.

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