Zugvögel zwischen diversen Welten sind wir alle irgendwie. Und insofern nimmt uns Jiry Kylián unter dem Titel „Zugvögel“ alle mit auf seine Lebensrückschau gewissermaßen; die er in München zelebriert, als vorletzter Station einer Reise, die ihn dann in der niederländischen Heimat das dezidierte Finale in Szene setzen lässt – vor dem Umstieg in eine andere Aktivität, über die gerätselt werden kann.
Dass der wahrhaft große Jirí Kylián eine große Arbeit für die tatsächliche Weltklasse- Compagnie aus München mit eben diesen ambitionierten Körperkünstlern erarbeiten sollte und wollte, dieser Traum realisierte sich jetzt auf der Schiene einer Freundschaft zwischen Ivan Liska, Chef der Münchener Truppe, und dem Prager Niederländer Kylián. Dass es da dann viel Film(projektion), viel Feuer, viel Phantasie gab, stand zu erwarten.
Er ließ an diesem Abend des Bayerischen Staatsballetts sein vitales Vokabular aus bald vier Jahrzehnten antanzen, luftgeblähte Stoffbahnen schwallend schweben; Kindheit und Alter begegneten sich zwischen Film und Bühne, zwischen Küste und (Rampen)Kante, getanzte Bühnen-Realität konfrontierte sich filmisch imaginierter Vision, Paartänze und Gruppenbildungen assoziierten das vielleicht nicht unendliche aber doch immerwährende Ritual des schwebenden Zugvogelprogramms. Das menschlicher Programmatik und Lebensgestaltung so fremd nicht ist.
Das kontinentaleuropäische Theaterhaus an die Küste und in deren Sand, im Kinderformat und in filmisch gezauberter Vision ins Bild gesetzt, lichterloh brennend in die Weltuntergagnsmusik von Maurice Ravels „La Valse“ gestellt: Da stellen sich Fragen. Und der anschließende Schlussapplaus drosselt seine Begeisterung um eben den Grad offen gebliebener Antworten. Die Tänzer sind toll, die Musik von Dirk Haubrich ist um minimalistische Facetten geweitet im wahrsten Sinn nicht nur die Compagnie bewegend. „Die Zugvögel auf der Bühne“ (Teil zwei des Abends) können uns schon was lernen lassen, beim schauen, beim bewundern, beim (nach)denken.
Teil eins heißt „Gang durch die Unterwelt“ und führt die Menschen, die ins Theater gehen, um von der gewohnten Seite der Rampe, Tanztheater zu erleben, erst einmal durch die für sie ungewohnte Relation des Theatralischen, durch schmale Gänge und finstere Kanäle von Bühnen-, Unterbühnen- und Hinterbühnenleben – voller technischer Faszination. Das Beste an diesem Teil ist der Titel. Die da unten versuchte Gespensterwelt blieb plakativ und frei von erkennbarer Dramaturgie. Venezianische Biennalen haben da schon Besseres gezeigt. Eine durchgängige Dramatik hätte den Abend insgesamt zu einem großen werden lassen können…