Berlin - Mit viel Applaus und "Bravo"-Rufen ist die Deutschlandpremiere von Sasha Waltz' neuer Choreografie "Continu" am Donnerstagabend in Berlin gefeiert worden. Zum Auftakt des Tanz- und Theaterfestivals "spielzeit'europa" zeigten 24 Tänzer im Haus der Berliner Festspiele eine eindrucksvolle Performance.
Bei absoluter Stille oder düsterer Orchestermusik bewegten sie sich in einem die ganze Bühne füllenden schwarzen Kasten. Waltz sieht in ihrer neuen Arbeit eine Weiterentwicklung von ihrem Stück "Dialoge 09 - Neues Museum". Im März 2009 hatte sie mit 70 Tänzern dem noch leeren, vom Architekten David Chipperfield restaurierten Bau auf der Museumsinsel in Berlin erstes Leben eingehaucht. Damals allerdings "spielten" die Tänzer mit der Architektur des Gebäudes. Sie konnten von den Besuchern umrundet und aus wechselnden Perspektiven betrachtet werden.
Bei "Continu" ist die alte Rollenverteilung wieder hergestellt, das Publikum betrachtet die Szene still sitzend aus dem Parkett und von den Rängen. Es sind zumeist traurige, depressive und dabei sehr eindringliche Bilder, die Waltz zeichnet. Bei absoluter Stille bewegt sich ein Tänzer über die Bühne, scheint voller Verzweiflung zusammenzubrechen, krümmt sich, springt wieder auf, dreht Pirouetten.
Die dramatisch-düstere Musik von Edgar Varèse setzt ein, andere Tänzer kommen hinzu, aus denen einzelne aus der Gruppe auszubrechen versuchen. Gelingt ihnen das, werden sie von den anderen beschimpft und vom hin und her wogenden Kollektiv wieder eingefangen. Das geschieht mal rasend schnell, mal wie in Zeitlupe. Individualität hat keine Chance. Ein Hauch von Endzeitstimmung weht über die Bühne.
Ekstatisch und kraftvoll
Einige Männer tragen nur Slips. Wenn ihre Körper ekstatisch und kraftvoll zucken, wirken sie wie Gefangene, sehen zuweilen aus wie Insassen eines Konzentrationslagers, verletzlich und einsam. Dann aber posieren sie, die Muskeln spannen sich an - und sie scheinen Athelten aus der griechischen Antike zu sein. Die Tänzerinnen wirken mit ihren langen schwarzen, weißen und ockerfarbenen Kleider göttinnengleich.
Waltz schafft bezaubernde Bilder, etwa wenn drei Tänzer über die Bühne zu schweben scheinen - und sich an Trapezen winden. Oder aber wenn einige Tänzer mit Farbe an ihren Füßen habstrakte Muster auf die weiße Folie unter ihnen zeichnen. Das Stück stehe für die nicht enden wollenden Kräfte der Natur, erklärte Waltz. Das ist bei der Aufführung zu spüren.
Die Hinrichtung
Am Ende der knapp zweistündigen Performance stehen elf Frauen und zwölf Männer in Reih und Glied nebeneinander. Seitlich von ihnen hat sich der 24. Tänzer postiert und tut so, als ob er mit einer Pistole die anderen hinrichtet. Nach und nach kippen alle um. Nur einer bleibt stehen. Opfer und Täter jagen sich. Dann geht das Licht aus. Das Publikum, unter ihnen der Schauspieler UIrich Matthes, Berlinale-Chef Dieter Kosslick und der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, applaudiert minutenlang. Uraufgeführt worden war das Stück im Juni bei den Zürcher Festspielen.
Bis zum 21. Dezember werden auf dem Festival, das unter dem Motto "Das Ereignis des Selbst/Anderen" steht, noch sechs weitere Inszenierungen gezeigt. Ein weiterer Höhepunkt des Festivals verspricht die Aufführung von "Un Tramway" zu werden. In der Neuinterpretation von Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" spielt die französische Schauspielerin Isabelle Huppert die Hauptrolle. Inszeniert hat das Stück der polnische Regiestar Krzysztof Warlikowski.