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Viele Prozesse im Klavierbau werden heute von Maschinen übernommen. Der Bezug der Saiten, die Bearbeitung der Hämmer und die Intonation können noch immer nur von Menschen geleistet werden. © Grotrian-Steinweg, Braunschweig

Viele Prozesse im Klavierbau werden heute von Maschinen übernommen. Der Bezug der Saiten, die Bearbeitung der Hämmer und die Intonation können noch immer nur von Menschen geleistet werden. © Grotrian-Steinweg, Braunschweig

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Vom Harz in die große weite Welt: die Klavierbauer „Steinway & Sons“ und „Grotrian-Steinweg“ – eine Ausstellung in Braunschweig

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Was wäre die Klavierwelt ohne die wunderbaren und hochgeschätzten Instrumente der Firmen „Steinway & Sons“ und „Grotrian-Steinweg“? Eine Ausstellung im Braunschweiger Städtischen Museum zeichnet derzeit nach, wie sich aus einer kleinen Keimzelle im Harz zwei weltweit bekannte und geschätzte Klavierbauunternehmen entwickelt haben. Neben Klavieren – Tafelklavieren, Flügeln und künstlerisch gestaltete „Art Case Pianos“ – stehen aber die Menschen, die das alles erdacht und realisiert haben, im Mittelpunkt der Betrachtungen.

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Das erwartet man so nicht! Wer in ein Musikinstrumentenmuseum oder eine instrumentenkundliche Ausstellung geht, der ist in erster Linie auf technische Fragestellungen und Details eingestellt. Am Rande mag auch die äußere Schönheit der Instrumente einen Blick wert sein, die faszinierenden meist mechanischen Konstruktionen, die vielfach bearbeiteten und oft glänzenden Oberflächen, das angenehme Gefühl beim Anfassen eines Instrumentes und vielleicht sogar die künstlerische Gestaltung und Ausfertigung des gesamten Objektes. Eine Klavierausstellung, deren Titel mit dem englischen Wort „People“ (also: Menschen) beginnt, ist zumindest nicht alltäglich.

Die Ausstellung „People and Pianos“ (Menschen und Klaviere) präsentiert derzeit das Städtische Museum in Braunschweig. Echte, lebendige Menschen auszustellen, das ist schwierig; Carl Hagenbeck hat dieses seit 1874 in seinem Park in Hamburg getan – aber glücklicherweise konnte sich diese absurde Idee nicht allzulange halten. So findet man auch in der Braunschweiger Ausstellung in erster Linie Klavierinstrumente. Diese wurden aber von Menschen erdacht und konstruiert – und immer wieder weiterentwickelt. Die Instrumente werden von Menschen gespielt und zum Klingen gebracht – mit der Musik, die sich Menschen (hier: Komponisten) erdacht haben. Und nicht zuletzt wird der Klang der Instrumente, die Musik, die auf ihnen gespielt wurde, von Menschen wahrgenommen, ja: aufgenommen und genossen. Alle diese Menschen bilden den roten Faden, der sich durch die Ausstellung zieht.

Der Titel der Ausstellung, die sich mit den beiden Klavierbaufirmen „Steinway & Sons“ und „Grotrian-Steinweg“ befasst, geht auf den Titel eines Buches zurück, das der damalige Firmenpräsident Theodore E. Steinway 1953 herausgegeben hat: „People and Pianos. A Pictoral History of Steinway & Sons“. In der Ausstellung kann man die Menschen, ihre Gedanken, Äußerungen und äußeren Umstände auf, in und gedanklich hinter der sogenannten Flachware (Gemälde, Fotos, Briefe, Texte, …) an den Wänden erahnen – in ihr Leben eintauchen. In den ausgestellten Klavieren selbst werden ihre Kreativität und ihr technisches Verständnis, aber auch ihre Liebe zum Detail und zu einer Art Vollkommenheit sichtbar. Letztlich sind die Instrumente aber auch ein Zeugnis sich immer wieder wandelnder ästhetischer Vorstellungen.

Sich mit den beiden genannten Klavierbaufirmen auseinanderzusetzen lag nahe – sind sie doch beide eng mit der Lokalgeschichte Braunschweigs verbunden. Der größte Teil des Museumsbestandes an Instrumenten sind Geschenke aus den Häusern Steinweg und Steinway. Diese konnten mit Exponaten (etwa Gemälden) aus den anderen Sammlungsbereichen des Hauses verbunden und ergänzt werden und so ist eine Ausstellung entstanden, die gerade auch im niedersächsischen und braunschweigischen Teil im besten Sinne eine Heimatausstellung ist. Auch wenn der 200. Geburtstag von Theodor Steinweg erst am 6. November 2025 erst lange nach Beendigung der Ausstellung am 27. April liegt, so ist auch dieser Festtag einer der Anlässe für die Ausstellung. – Die Ausstellung besteht aus vier Teilen: I. Heimat Harz: H. E. Steinweg, II. Die Neue Welt: Steinway & Sons, III. Brückenschläge: C. F. Th. Steinweg und IV. Die Alte Welt: Grotrian-Steinweg.

Die Vorbereitung einer Ausstellung ist ein langwieriger Prozess – im vorliegenden Fall hat sie etwa zwei Jahre gedauert. Im Laufe einer solchen Zeitspanne entwickeln sich existente Firmen natürlich weiter und manches Unvorhergesehene kann geschehen. So musste Grotrian-Steinweg Ende des Jahre 2024 Insolvenz anmelden.

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Das Tafelklavier op. 1 gilt als das erste überlieferte und erhaltene Instrument von Heinrich Engelhard Steinweg. © Dirk Scherer / Städtisches Museum Braunschweig

Das Tafelklavier op. 1 gilt als das erste überlieferte und erhaltene Instrument von Heinrich Engelhard Steinweg. © Dirk Scherer / Städtisches Museum Braunschweig

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Heinrich Engelhard Steinweg

Die Ursprünge der beiden Firmen „Steinway & Sons“ und „Grotrian-Steinweg“ liegen in dem kleinen Ort Seesen im Harz. Von hier aus machte sich Mitte des 19. Jahrhunderts Heinrich Engelhard Steinweg (1797 – 1871) auf den Weg in die Neue Welt. Heinrichs Vater Zacharias war Köhler – ein harter und entbehrungsreicher Beruf, den er auch für seine Kinder ausersehen hatte. Von Kindesbeinen an begleitete Heinrich seinen Vater in den Wald – an eine geregelte Schulausbildung war nicht zu denken. Mit 15 Jahren wurde Heinrich Vollwaise und ging in Wolfenbüttel zum Militär. Er soll in Waterloo gegen Napoleon gekämpft haben. 1818 wurde er ehrenhaft aus dem Militär entlassen und verdiente sich seinen Lebensunterhalt im nordwestlichen Harz mit Tischlerarbeiten.

1825 wurde Heinrich in das Meisterbuch der Tischlergilde in Seesen eingetragen, im darauf folgenden Jahr erhielt er eine Konzession zur Ausübung des Berufes. Wie immer wieder bei Tischlern zu beobachten, ist der Schritt in den Instrumentenbau nicht allzu fernliegend. So reparierte er bestehende Instrumente, schenkte möglicherweise seiner Gattin ein kleines Tafelklavier zur Hochzeit. Der erste definitive Beweis – eine Annonce im Wochenblatt des Kreises Gandersheim – für Heinrichs Tätigkeit als Instrumentenbauer stammt aus dem Jahr 1836. Auf der „Ersten Gewerbe-Ausstellung inländischer Industrie-Erzeugnisse in Braunschweig“ 1839 stellte er ein Tafelklavier und einen Flügel aus. Sie wurden als „tüchtige Arbeit“ belobigt, allerdings auch ihre unausgeglichene Tonfülle zwischen Bass und Diskant sowie die Schwergängigkeit der Mechanik des Flügels bemängelt.

Christian Friedrich Theodor Steinweg

1850 übersiedelte Heinrich mit seiner Familie nach New York. Der Sohn Christian Friedrich Theodor blieb in Seesen und führte den elterlichen Betrieb fort. Dieses ist quasi die Geburtsstunde der beiden Klavierfabriken „Steinway & Sons“ und „Grotrian-Steinweg“, die anfangs noch sehr eng zusammenarbeiteten. Während die einen in der Neuen Welt ihr Glück suchten und fanden, blieb die andere in Deutschland und ging ihren durchaus eigenen Weg. Fanden die einen bald einen guten Absatzmarkt, zog es den anderen zunächst nach Wolfenbüttel und später nach Braunschweig, um einerseits dort den Bedarf an Klavierreparaturen zu decken, aber auch neue Instrumente zu bauen. Dabei war Theodor der kreative Kopf mit einem geradezu unheimlichen Gestaltungswillen, der im regen Austausch mit seiner Familie auch die meisten Patente anmeldete.

Georg Friedrich Carl Grotrian

Bald nahm Theodor einen Teilhaber – Georg Friedrich Carl Grotrian – in den Betrieb mit auf. Theodor hatte erheblichen Erfolg und benötigte Grotrian als Geldgeber, um mit seiner Firma expandieren zu können. Als 1865 zwei seiner Brüder verstarben, musste Theodor in den sauren Apfel beißen und nach Amerika übersiedeln, um als technischer Leiter in das Familienunternehmen einzusteigen. Gleichzeitig „fungierte“ er aber – wie die Kuratorin der Braunschweiger Ausstellung, Antje Becker schreibt – „bis zu seinem Lebensende als Brücke zwischen den Kontinenten“. So konnte er sich bei der Gründung der Londoner Steinway Hall in den 1870er Jahren und dem Steinway-Werk in Hamburg engagieren. 1880 kehrte er wieder ganz in seine so sehr vermisste alte Heimat zurück.

Als Theodor nach Amerika ging verkaufte seine Firmenanteile für 20.000 Thaler an zwei weitere seiner Mitarbeiter, Heinrich Dietrich Wilhelm Schulz und Gustav Adolph Helfferich. Auch wenn zumindest in den ersten Jahren noch Kontakte zwischen den beiden Firmen bestanden, so ist dieses der Zeitpunkt der Trennung. Das neue Unternehmen firmierte unter dem Label „Th. Steinweg Nachf.“, später dann „Grotrian, Helfferich, Schulz, Th. Steinweg Nachf.“ unter dem die Firma bis heute im Handelsregister geführt wird. Um 1900 kam „Grotrian, Steinweg Nachf.“ in Gebrauch, in den 1920er Jahren „Grotrian-Steinweg“, das bis heute Verwendung findet.

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Das Modell einer von Grotrian-Steinweg produzierten Bogenklaviatur (spielbar, aber ohne Saiten). Die Idee geht auf den Gedanken zurück, dass die geradlinig-gleichförmigen Tasten der natürlichen Handhaltung und Armbewegung zuwiderlaufen. © Dirk Scherer / Städtisches Museum Braunschweig

Das Modell einer von Grotrian-Steinweg produzierten Bogenklaviatur (spielbar, aber ohne Saiten). Die Idee geht auf den Gedanken zurück, dass die geradlinig-gleichförmigen Tasten der natürlichen Handhaltung und Armbewegung zuwiderlaufen. © Dirk Scherer / Städtisches Museum Braunschweig

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Innovationen

Es war die Maxime von Henry E. Steinway, wie sich Heinrich Steinweg im Amerika nannte, „to build the best piano possible“. Dieser Gedanke lebte aber in ähnlicher Form auch in Braunschweig weiter. Das beste Klavier zu bauen erforderte es, immer wieder neu auf die Erfordernisse der Pianisten zuzugehen. Entwicklungen, Weiterentwicklungen, Forschung – das ist in beiden Zweigen des Unternehmens zu beobachten, auch wenn sich grundsätzlich andere Herangehensweisen an den Klavierbau und damit verbunden unterschiedliche Klangideale entwickelten. Der grundlegende Unterschied besteht heute in der „Reihenfolge“ des Baus. Baut Steinway & Sons seine Instrumente von außen nach innen, geschieht dieses bei Grotrian in umgekehrter Weise von innen nach außen. Baut Steinway & Sons zunächst den Rim, also das Gehäuse, und passt alle weiteren Teile unter Spannung in diesen ein, so geht Grotrian vom Resonanzboden aus, der auf eine stabile Raste gebaut wird aus. Das Gehäuse wird als allerletztes quasi darum herumgebaut. Im ersten Fall entsteht wird dadurch erreicht, dass das ganze Instrument mitschwingt, im zweiten wird eine Übertragung der Schwingungen auf das Gehäuse vermieden.

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Ein Salon-Flügel mit einem künstlerisch gestalteten Korpus („art case piano“). Braunschweig, 1898, von Grotrian, Helfferich, Schulz / Th. Steinweg Nachf. © Roman Mishchuk / Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Inv.-Nr. 1986.97

Ein Salon-Flügel mit einem künstlerisch gestalteten Korpus („art case piano“). Braunschweig, 1898, von Grotrian, Helfferich, Schulz / Th. Steinweg Nachf. © Roman Mishchuk / Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Inv.-Nr. 1986.97

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Insolvenz

Im September 2024 berichtete der NDR, dass Grotrian-Steinweg Insolvenz angemeldet habe nachdem zuvor die Löhne für die etwa 35 Mitarbeiter ausgeblieben waren. Damals lief der Betrieb aber weiter. Ende des Jahres wurde gemeldet, dass alle 31 Mitarbeiter entlassen worden seien und der Betrieb in Braunschweig eingestellt werden solle. Die Parsons-Gruppe aus Hongkong, die bereits seit 2015 Anteilseigner ist, wolle wohl die Markenrechte von Grotrian-Steinweg übernehmen und die vollständige Produktion nach Hongkong verlegen. Genauere Auskünfte waren seitens des Insolvenzverwalters derzeit nicht kurzfristig zu bekommen. Telefonisch ist Grotrian-Steinweg seit Tagen nicht erreichbar. Beobachter (Namen sind der Redaktion bekannt) vermelden, dass die Werkstore geschlossen seien und der Parkplatz seit Wochen vollständig leer sei. Apropos: Menschen! Möglicherweise waren es entlassene Mitarbeiter, die am Zaun des Betriebsgeländes Holzkreuze und Männchen an Galgen angebracht hatten, um so ihrer Trauer um den Verlust ihrer Arbeitsplätze Ausdruck zu verleihen. Diese wurden allerdings sehr schnell von der Polizei entfernt. „Blackout News“ meldet: „Lokale Beobachter vermuten, dass die chinesische Firma zukünftig günstigere Materialien einsetzen könnte, um die Produktion kosteneffizienter zu gestalten. […] Lokale Stimmen äußern Sorgen, dass die traditionsreiche Marke ihren Charakter verlieren könnte. Die Gefahr besteht, dass der Fokus auf Masse statt Klasse rückt.“

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Fabrik von Grotrian-Steinweg in Braunschweig in der Zimmerstraße mit Sicht auf einen Teil des Holzlagers. Photographie von 1923/24. © Grotrian-Steinweg, Braunschweig

Fabrik von Grotrian-Steinweg in Braunschweig in der Zimmerstraße mit Sicht auf einen Teil des Holzlagers. Photographie von 1923/24. © Grotrian-Steinweg, Braunschweig

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