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Eine der Uraufführungen in Stuttgart: „Deformation“ von Remmy Canedo (Musik) und Stefan Heller (Film)
Eine der Uraufführungen in Stuttgart: „Deformation“ von Remmy Canedo (Musik) und Stefan Heller (Film)
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Wie klingt ein Dreieck? Zum Festival „Sinfonie der Bilder“ des Stuttgarter Ensembles Ascolta

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„Musikalische Formen wie Sonate, Sinfonie, Rondo usw. treten heute in einen Widerspruch zu den neuen Möglichkeiten des Tonfilms. Die konventionelle Filmmusik hat noch überhaupt nicht gewagt, dieses Problem anzutasten, geschweige denn zu lösen. Es wäre zu untersuchen, wieweit die alten Formen für den Tonfilm zu adaptieren sind und wieweit durch den Film neue musikalische Formen entstehen müssen.“ Schon 1940 hat der Komponist Hanns Eisler sein „Statement über die Untersuchungen von Musik und Film“ zu Papier gebracht, und was er feststellte, gilt grundsätzlich bis heute.

Zumindest im kommerziellen Film spielt die Musik weiterhin eine dienende Rolle: Sie untermalt die Bilder, übernimmt deren Rhythmus und sorgt ansonsten für einen Mehrwert an Gefühl. Was Eisler bereits in seinem Aufsatz forderte, nämlich das musikalische „Kontrapunktieren gegen das Bild“, bleibt bis heute ein Ansinnen ambitionierter experimenteller Kunstfilme – und mit eben diesen setzt sich das Stuttgarter Ensemble Ascolta seit mittlerweile sieben Jahren auseinander.

Mit dem Festival „Sinfonie der Bilder“ wollten die Musiker, die 2004 erstmals neue Werke zu experimentellen Stummfilmen der 1920er Jahre in Auftrag gaben, nun eine erste Bilanz ziehen, Ideen zusammenführen und neue Fragen an multimediales Arbeiten stellen. Dass die Veranstaltung mit einem Filmkonzert begann, bei dem Überflüssiges ebenso zu hören und zu sehen war wie Spannendes, Bereicherndes, liegt in der Natur des hier beackerten weiten thematischen Feldes.

So wahrte die Musik etwa bei Rafael Nassifs zwei elektronischen Soundtracks zu Hans Richters Film „Rhythmus 21“ von 1921 ihr eigenes Profil vor allem im ersten Fall durch die Verweigerung jeglicher Gestaltung, den Rückzug auf weißes Rauschen und im zweiten Fall durch freies Klangexperimentieren mit einer arabischen Oboe. Dabei spürt man die Radikalität der frühen Stummfilme noch heute.

„Deformation“ von Remmy Canedo (Musik) und Stefan Heller (Film) atmet ganz den Geist bunt bewegter Videospiel-Ästhetik (und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, über hübsche Kunst um der Kunst willen nicht hinauszugehen). Der Komponistin Marina Khorkova und der Videofilmerin Nataliya Gurevic ist mit „Medlum“ hingegen ein vielschichtiger Versuch gelungen, Sprache in Klänge zu übersetzen, zu denen dann wiederum ein weiter Bogen bildlicher Assoziationen ein Gegenmuster formt. Clemens Gadenstätter nimmt in seiner Musik zu Walter Ruttmanns filmischem „Opus III“ (von 1924) zwar den Rhythmus der Bilder auf, baut seiner Partitur aber immer wieder auch Verfremdungen und Gegenläufiges ein – und macht zusätzlich das Phänomen und die Voraussetzung von Filmprojektion zum Thema, indem er die Musik über das Ende der Bilder hinausführt und sie von ein- und ausgeschalteten Lampen wie von der Imitation eines ratternden Projektors begleiten, nein: stören lässt.

An Oliver Fricks Versuch, zu den Formen und Farben von Ruttmanns „Opus I“  klangliche Entsprechungen zu finden, fasziniert vor allem die zunächst paradox erscheinende Tatsache, dass die Musik auch im Bemühen um Synchronisation ihr Gesicht wahren kann. „Im Film“, behauptet später bei einer Diskussionsrunde der Komponist, „sind alle musikalischen Strukturen schon vorhanden.“

Wie klingt also ein Dreieck? Und warum hat die musikalische Notation eigentlich nie zu eindeutigen Zeichen für Ton- (also: Artikulations-)formen gefunden? Wie vergleichbar sind musikalischer und Bild-Rhythmus? Vorträge beantworteten manche Frage und erweiterten das Thema. Mithilfe aktueller Videokunst arbeitete Susanne Witzgall die Vielfalt von (oft ironischen) Verweisebenen zwischen Musik und Bild heraus, Jean-Baptiste Joly, Leiter der Akademie Schloss Solitude, sprach vom „produktiven Verrat“ einer Kunst an der anderen. Arte-Redakteurin Nina Goslar schließlich verwies auf eine „Fehlstelle“ in der Diskussion um populäre Filmmusik als Massenkultur auf der einen und um ambitionierte, experimentelle Musik zu Filmen auf der anderen Seite: Wie, fragte sie, hält es die (sogenannte) Avantgarde mit dem Trivialen - also etwa mit der Tonalität, mit der Praxistauglichkeit? 

Wo, könnte man weiter fragen, liegt denn nun der Königsweg: in der Untermalung des Bildes durch die Musik oder im Gegeneinander? Die diskutierenden Komponisten votierten, wie nicht anders zu erwarten, einhellig für einen Kontrapunkt der Künste. Der Preis für ihre Haltung ist kein geringer: Experimentelles, wie es jetzt zu erleben war, wird Kunst für die Nische bleiben. Wer diese aber betritt, verlässt sie belebt und befeuert.

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