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Auf fortgeschrittene Weise traditionell: Stephan Crump. Foto: Ralf Dombrowski
Auf fortgeschrittene Weise traditionell: Stephan Crump. Foto: Ralf Dombrowski
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Zweimal US-Jazz mit Haltung: Das Uri Caine Trio und Stephan Crump's Rosetta Trio in der Münchner „Unterfahrt“

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Es ist schon erstaunlich, wie Christiane Böhnke-Geisse es schafft, relevante Musiker in hoher Konzertdichte in den Jazzclub „Unterfahrt“ zu holen. Vergangene Woche erst gastierten pfiffige Berliner wie Jazz Indeed oder unterhaltsam sonderbare Finnen wie das Mundharmonikaquartett Sväng in den Katakomben an der Einsteinstraße, und nur wenige Tage später folgten zwei führende Combos des moderat modernen amerikanischen Gegenwartsjazz. Denn der New Yorker Pianist Uri Caine hat sich spätestens in den Neunziger Jahren mit zahlreichen Adaptionen klassischer Werke von Bach bis Mahler einen Namen als pointierter Grenzüberschreiter gemacht. Und der Bassist Stephan Crump aus Memphis steht mit seinem Rosetta Trio für die derzeit aktuelle Verknüpfung von zeitgenössischer Improvisation und Folk Roots.

Zunächst also Uri Caine. Er gab sich die Ehre im Trio mit seinen langjährigen musikalischen Partner John Herbert am Kontrabass und Ben Perowsky am Schlagzeug. Auf dem Programm standen Stücke seines Albums „Siren“, die allerdings nur den Rahmen für eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des kollektiven Ausdrucks boten. Denn es ging den Musikern weniger um einzelne Themen oder Improvisationen, als vielmehr um die Gesamtwirkung gemeinsamer Variationskunst.

Die Rollen wurden gleichberechtigt verteilt, jeder war Begleiter und Solist zugleich, auf einem spieltechnischen Niveau der gestalterischen Umsicht, das ein ständiges Ineinander der Impulse und Kommunikationsstränge zuließ. Stilistische Vorgaben wurden überflüssig, das Trio war auf allen Zitat- und Bezugsebenen zuhause, mit einer Perfektion, die stellenweise in eine Abstraktion überging, die sich von den Musikern zu lösen schien. Die Botschaft jedenfalls war deutlich: Jazz ist längst eine Kunst, die aus urban amerikanischer Perspektive auf das ganze Spektrum des potentiell Spielbaren zurückgreift, um daraus einen Tummelplatz des Intellektuellen zu machen.

Ganz anders das Rosetta Trio. Hier regierte das Gefühl, von einer noch immer vor Betroffenheit bebenden Stimme Stephan Crumps, wenn er eine Komposition aus der Zeit von Nine-Eleven ansagte, bis hin zu einem klanglichen Erscheinungsbild, das den Fokus auf das Rustikale lenkte. Zwar ist auch das Rosetta Trio genau genommen ein großstädtisches Gewächs, das sich aus dem Umkreis der New Yorker Szene speist. Aber die Kombination von Kontrabass mit der Western-Gitarre von Liberty Ellman und dem halbakustischen Pendant von Jamie Fox orientiert sich klar an Modellen, wie Bill Frisell sie während der vergangenen zwei Jahrzehnte entwickelt hat.

Es wurde daher leise, melodiebetont konzertiert, mit viel Augenmerk auf Dialogen und improvisierenden Bandgesprächen. Ein wenig Relativierung in Form dezent eingesetzte Disharmonik war zwar Teil des Konzepts, aber im Ganzen regieren Wohlklang und Emphase einer sehr akustisch und auf fortgeschrittene Weise traditionell ausgerichteten Musik.

Zwei unterschiedliche amerikanische Deutungsmodelle auf beachtlichem Niveau zum Thema zeitgenössischer Jazz an zwei Tagen in der Unterfahrt, einfach so, ganz ohne Festival oder besondere Förderung im Rücken – das ist eine Form von Luxus!


 

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