Hauptrubrik
Banner Full-Size

10.5.: theater und literatur aktuell +++ theater und literatur

Publikationsdatum
Body

Walburg inszeniert "Tod eines Handlungsreisenden" +++ Eisler-Collage im Leipziger Schauspiel-Interim +++ Thomas-Mann-Preis geht an Hanns-Josef Ortheil +++ Frankfurt: Forderung nach Einsparung unzumutbar +++ Elfriede Jelinek erhält Theaterpreis Berlin

Walburg inszeniert "Tod eines Handlungsreisenden"
Basel (ddp-bwb). Der designierte Baseler Schauspieldirektor Lars-Ole Walburg inszeniert mit Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" seinen ersten Klassiker made in USA. Premiere ist am Samstag im Schauspielhaus des Theaters Basel. Das Stück begründete nach der Uraufführung 1949 Arthur Millers Weltruhm als Dramatiker. Im letzten Jahrzehnt stand es immer seltener auf den Spielplänen, bis es 1999 in den USA ein Comeback erlebte.
Im Zentrum der bürgerlichen Familientragödie stehen der Vertreter Willy Loman und sein Gerüst aus falschen Hoffnungen, das mit dem Verlust seines Jobs in sich zusammenbricht. Für Regisseur Walburg gewinnt Millers Drama durch die Entlarvung neoliberaler Illusionen an Aktualität. "Man wird Zeuge, wie Willy Loman langsam in die Knie geht", sagte er der Nachrichtenagentur ddp. Loman ignoriere seine Lebenslügen, gehe dabei aber "vor die Hunde".
(www.theater-basel.ch)

Eisler-Collage im Leipziger Schauspiel-Interim
"Ein Genie bin ich selber" heißt die szenische Collage über Hanns Eisler, die am Mittwoch im Interim des Leipziger Schauspiels Premiere hatte. Theater-Kapellmeister Jens-Uwe Günther stellte sie aus Liedern und Briefen des Komponisten zusammen. Zwei wiederentdeckte Lieder von 1929 hat er rekonstruiert. Sie fanden sich in einem Nachlass in Wien. Beide, das "Straßenkehrerchanson" und das "Schrottlied", stammen aus Eislers Bühnenmusik zu Walter Mehrings sozialkritischem Schauspiel "Der Kaufmann von Berlin". Erwin Piscator inszenierte es damals an der Berliner Volksbühne, mit einem Bühnenbild des Bauhaus-Künstlers Moholy-Nagy. Im Theater flogen damals Stinkbomben und draußen randalierte die SA.
Günthers Auswahl aus den rund 600 von Eisler komponierten Liedern zeigt - wie sollte es anders sein - den politischen Künstler, der eng mit kommunistischen Arbeiterbewegung verbunden war. Konsequent erklingt zum Auftakt der "Linke Marsch" nach Majakowski, die Resolution der Pariser Commune aus Brechts Theaterstück fehlt ebenso wenig wie der Hymnus auf Lenin "Er rührte an den Schlaf der Welt". Doch konsequent vermieden werden die zu DDR-Zeiten überstrapazierten proletarischen Kampflieder.
Vorgestellt wird der bedeutende Komponist des 20. Jahrhunderts, der Schönberg-Schüler und Mitstreiter von Brecht, Tucholsky und Becher vor allem mit satirischen, aber auch leisen, gefühlvollen Vokal-Kompositionen. Kinderlieder sind darunter, die Ode an den Frühling in der Großstadt, Lieder des Emigranten voll Sehnsucht nach der Heimat, aber auch mit banger Erwartung, was nach dem Krieg noch von ihr übrig sein wird. Schließlich als Finale eine Collage in der Collage: die beiden deutschen Hymnen-Kompositionen von Haydn und Eisler über Kreuz mit Texten von Becher, Brecht und Fallersleben.
Mit Natürlichkeit und hörbarem Vergnügen singen Susanne Stein und Martin Reik, begleitet von einer kleinen Instrumentalgruppe unter Günthers Leitung, mal lyrisch, mal kess, mal mit einem bluesigen Touch. Die beiden Schauspieler sind, wie auch Regisseur Thorsten Duit, Mitte bis Ende dreißig und kamen aus Westdeutschland ans Leipziger Schauspiel. Anders als Günther, der 62jährige Komponist, Musikdozent und "gelernte DDR-Bürger" sind sie nicht mit "Auferstanden aus Ruinen" groß geworden, gehörten bei ihnen Eislers Arbeiterkampflieder nicht zum Schulstoff. Womöglich hat dies ihre Entdeckerfreude zusätzlich angestachelt.
Nicht nur mit dem sparsamen Arrangement der Lieder zeigt Günther eine glückliche Hand. Die Ergänzung des Programms um Briefe des Komponisten bringt dem Publikum den Menschen Eisler nahe, dessen Hochachtung vor seiner Mutter, einer Leipzigerin aus ganz einfachen Verhältnissen, seine Verehrung für Arnold Schönberg, ungeachtet politischer Meinungsverschiedenheiten, seine existenzielle Bedrohung als Jude und Kommunist, als er 1939 fürchten muss, aus den USA nach Nazideutschland ausgeliefert zu werden, seine Enttäuschung über die unsachliche, herabsetzende Kunstkritik von den eigenen Genossen in der DDR der 50er Jahre.
Bei der Auswahl der Briefe arbeitete Günther mit dem Berliner Musikwissenschaftler und Eisler-Biografen Jürgen Schebera zusammen, der weltweit 1.200 Briefe des Komponisten recherchierte und die Korrespondenz nun für die Hanns-Eisler-Gesamtausgabe aufbereitet. Diese gehört zu den wichtigsten Vorhaben der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft. Gegründet wurde sie 1994 und hat heute mehr als 150 Mitglieder in 14 Ländern. Jedes Jahr veranstaltet die Gesellschaft ein Eisler-Fest, so zum Beispiel 1997 im Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik und 1998 im Gewandhaus zu Leipzig.
Die Hanns-Eisler-Gesellschaft setzt sich dafür ein, dass das Geburtshaus des Komponisten in Leipzig erhalten wird. Im April wurden Pläne der Stadtverwaltung bekannt, das leerstehende Gebäude, das sich in städtischem Besitz befindet, abzureißen. Kulturdezernent Girardet versicherte MDR KULTUR, dass das Haus stehen bleiben soll. Jürgen Schebera schlägt vor, im Eisler-Geburtshaus künftig an jüdische Künstler zu erinnern, die in den 20er Jahren das Kulturleben Leipzigs mit prägten, ehe sie nach der Machtergreifung der Nazis aus der Stadt vertrieben wurden.

Thomas-Mann-Preis geht an Hanns-Josef Ortheil
Lübeck (ddp). Der alle drei Jahre von der Hansestadt Lübeck verliehene Thomas-Mann-Preis geht in diesem Jahr an Hanns-Josef Ortheil. Der 1951 in Köln geborene und in Stuttgart lebende Schriftsteller wird damit für sein bisheriges erzählerisches und essayistisches Gesamtwerk geehrt.
Die Jury begründete ihre Entscheidung am Dienstag mit seinem "eigenständig-produktiven Werk, in dem sich Zeit- und Gesellschaftskritik mit Humor, hoher literarischer Sensibilität und anspielungsreicher Kritik paart". Weiter werde mit der Auszeichnung die "überzeugende Verbindung von persönlichen Lebenserfahrungen mit den politisch-sozialen Veränderungen in Deutschland" gewürdigt.
Ortheil hat neben Essays, literarischen Tagebüchern, Drehbüchern und Opernlibretti beginnend mit "Fermer" (1979) über zehn Romane geschrieben, für die er bereits mehrere Preise erhalten hat. Seine Künstlerromane zeichnen ihn als Kenner der europäischen Kulturgeschichte aus.
Der renommierte Thomas-Mann-Preis wird seit 1975 an Persönlichkeiten verliehen, die sich durch ihr literarisches oder literaturwissenschaftliches Wirken im Geiste der Humanität ausgezeichnet haben. Vor Ortheil erhielten den Preis Peter de Mendelssohn (1975), Uwe Johnson (1978), Joachim C. Fest (1981), Siegfried Lenz (1984), Marcel Reich-Ranicki (1987), Günter de Bruyn (1990), Hans Wysling (1993), Günter Grass (1996) und Ruth Klüger
(1999).
Der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert und wird Hanns-Josef Ortheil am 9. Juni im Rahmen einer Feierstunde im historischen Scharbausaal der Lübecker Stadtbibliothek verliehen.

Frankfurt: Forderungen nach Einsparungen unzumutbar
Frankfurt/Main (ddp-swe). Das Frankfurter Schauspiel eröffnet seine neue Spielzeit im Herbst mit dem Klassiker "Hamlet" aus der Feder des Dramatikers William Shakespeares. Das kündigte Schaupielintendantin Elisabeth Schweeger am Dienstag in Frankfurt am Main an. Überschattet wurde die Präsentation ihres Programms, das 22 Premieren und sechs Uraufführungen auflistet, von einem ebenfalls schon sprichwörtlichen "Klassiker" der Frankfurter Theaterlandschaft: Angesichts neuer Forderungen nach Einsparungen sprach Bühnengeschäftsführer Bernd Fülle davon, eigentlich müsse er alle Häuser "sofort zu machen".
Diese Präsentation des Spielplans hatte sich Schweeger anders vorgestellt. Übers Theater wollte sie reden, davon, dass sie sich auch in der kommenden Spielzeit wieder einmischen will: Nach der Auseinandersetzung mit der "Krise und der Radikalisierung des Subjekts" in der laufenden Saison will sie den Fokus mit ihrem neuen Programm ab September vom Individuum hin auf die aktuellen Debatten des Begriffs der Gemeinschaft richten. "Wer sind wir?", "Wie viel \'wir\' braucht eine Gesellschaft?" oder "Gibt es einen Kampf der Kulturen?" sind Schweegers zentrale Fragen, die nun wieder von der nach dem Geld abhängen.
Eine Million Euro weiterer Einsparungen fordert Kulturdezernent Hans-Bernhard Nordhoff (SPD) laut Fülle von Schauspiel, Oper und Ballett. Als ihm das Begehren in Briefform am Montag auf den Tisch flatterte, rief Fülle umgehend eine Krisensitzung der drei künstlerischen Intendanten ein. "Wir haben uns entschlossen, das jetzt öffentlich zu machen", verkündete Fülle am Dienstag und appellierte - flankiert von Schweeger, die sich erneut über die miserablen Zustände ihres Hauses ausließ - an die Stadt, die Kultur nicht kaputtzusparen.
Schweeger, die sich zu Beginn ihrer ersten Spielzeit am Main im vergangenen Herbst nicht nur den Folgen eines Wasserschadens, sondern auch noch mit Verrissen ihres Debutstücks "Gold / 92 bars in a chrashed car" aus der Feder des Filmregisseurs Peter Greenaway "herumschlagen" musste, ließ erneut keine Zweifel an der Misere ihres Theaters aufkommen: "Wir haben es geschafft, das Haus irgendwie zu bespielen". Aber schwierig war\'s und ist es noch. Schweeger erzählte von einem "seit Jahren vernachlässigten Haus", in dem nicht einmal heißes Wasser aus den Duschen für die Schauspieler kommt.
Und jetzt noch die neuen Sparforderungen, gegen die laut Fülle mittelfristig keiner etwas hat, die aber so kurzfristig niemand erfüllen könne. Die Spielzeiten sind geplant, Verträge längst geschlossen - auf Grund der am Jahresanfang zugesagten Zuschüsse.
Bevor es in der nächsten Spielzeit um Hamlets Schicksal und weitere dramatische Begebenheiten auf der Bühne gehen kann, stehen nach den Kürzungen des vergangenen Jahres erneut Verhandlungen über die zwar profane aber entscheidende Materie Geld auf Fülles Spielplan. In Gesprächen mit dem Magistrat will er erreichen, dass er das laufende Jahr mit einem "erlaubten Defizit" abschließen darf. Im Grunde ist Fülle optimistisch: Er glaube nicht, dass die Stadt auf ihre Bühnen wirklich verzichten wolle.
Wolfgang Frey

Elfriede Jelinek erhält Theaterpreis Berlin
Berlin (ddp). Die österreichische Autorin und Dramatikerin Elfriede Jelinek erhält am Donnerstag den Theaterpreis Berlin 2002. Die mit 16 000 Euro dotierte Auszeichnung würdigt herausragende Verdienste um das deutschsprachige Theater. Der Preis der Stiftung Preußische Seehandlung wird im Rahmen des 39. Theatertreffens in Berlin verliehen.
Bei der Matinee im Berliner Ensemble gratulieren neben Therese Affolter, Elisabeth Trissenaar, Andre Jung, Jossi Wieler, George Tabori und Hermann Beil auch der ehemalige österreichische Bundeskunstminister Rudolf Scholten. Die Laudatio wird der österreichische Autor und Theaterwissenschaftler Michael Scharang halten.
Die Jury betonte, Jelineks Stücke seien immer "Kunstwerk und politischer Standpunkt zugleich". Alle "Anfeindungen, Beschimpfungen und Verleumdungen" hätten sie nicht in die Verzagtheit oder in den Elfenbeinturm vertrieben. Werk und Person seien bei ihr identisch. "Elfriede Jelinek ist als eine zornige Wortkünstlerin und melancholische Theatermacherin eine Zeitgenossin und Künstlerin wie kein zweiter Theaterautor in diesen Tagen", unterstrich die Jury, der Hermann Beil, Georg Diez, Konstanze Lauterbach und beratend Joachim Sartorius angehören. Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderen George Tabori, Peter Stein, Bernhard Minetti, Claus Peymann und Pina Bausch.
Jelinik zählt zu den unbequemsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen und Theaterautorinnen. Provokation und Widerstand prägen ihr Leben und Werk - so etwa ihr Engagement gegen die Mitte-Rechts-Koalition in Österreich. Die Arbeit der 55-Jährigen ("Die Klavierspielerin") umfasst Lyrik, Prosa, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. Jelinek erhielt bereits zahlreiche Preise, darunter 1998 die höchste deutsche Literaturauszeichnung, den Georg-Büchner-Preis.