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Schauspiel in Nordhausen wird geschlossen +++ Fronten verhärtet - Der Streit um Walser-Buch geht weiter +++ Alemannischer Literaturpreis 2002 für Martin Walser +++ Koeppen-Preis geht an Berliner Autorin Susanne Riedel
Schauspiel in Nordhausen wird geschlossenmdr - Das Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH will die Sparte Schauspiel zum 31. Juli 2004 aufgeben. Der Aufsichtsrat teilte am Freitag mit, ohne Spartenabbau sei das Theater in seiner Existenz nicht zu sichern. Die Mitglieder folgten damit einem Vorschlag der Geschäftsleitung des Theaters. Am 12. Juni entscheidet dann der Nordhäuser Stadtrat über die Schließung der Sparte. Nach dem Sparten-Ende sollen bundesweit Schauspielgastspiele eingekauft werden. Gesichert sei zudem die Arbeit des Kinder- und Jugendtheaters. Der Aufsichtsrat teilte außerdem mit, dass trotz des Abbaus der Abschluss eines Haustarifvertrages dringend nötig ist.
Nach dem Scheitern der Strukturreformpläne des Kunstministeriums ist die Nordhäuser Sparte die zweite, die in Thüringen geschlossen werden soll. Die Theaterleute und Träger hatten sich ebenso wie andere kleine Bühnen dem Ministeriums-Vorschlag nach einem landesbühnenähnlichen Theaterverbund widersetzt. Kürzlich hatte bereits Erfurt beschlossen, sein Schauspiel 2003 zu schließen. Das Kunstministerium will die Thüringer Theater bis 2008 mit jährlich rund 60 Millionen Euro fördern. Die steigenden Tarife bringen die Schauspielhäuser und Orchester jedoch in Finanznöte.
85 Prozent der Gesamtkosten in Nordhausen sind Personalausgaben. Der Aufsichtsrat erklärte, mit den Tarifanpassungen würden sich die Kosten bis 2008 bei unveränderter Mitarbeiterzahl um weitere 2,5 Millionen Euro erhöhen. Die vier Gesellschafter - die Städte Nordhausen und Sondershausen sowie die Landkreise Nordhausen und Kyffhäuser - wollen ihre Haushaltszuschüsse bis 2008 konstant halten. Das sei aber nur mit großer Anstrengung möglich. Das Land Thüringen hat erklärt, dass es nicht in der Lage ist, Kostensteigerungen durch höhere Zuschüsse abzufangen.
Fronten verhärtet - Der Streit um Walser-Buch geht weiter
Berlin (ddp). In der Debatte um seinen neuen Roman "Tod eines Kritikers" erhebt der Schriftsteller Martin Walser jetzt selbst schwere Vorwürfe gegen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Schirrmacher übernehme Nazi-Jargon und bediene antisemitische Klischees, sagte Walser am Freitag.
Die Kontroverse um das Buch, dem Schirrmacher seinerseits ein Spiel mit dem "Repertoire antisemitischer Klischees" vorgeworfen hatte, hält unterdessen unvermindert an. Schriftsteller Günter Kunert nannte es "schäbig", dass sich Walser in dem Buch an Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki rächen wolle. Publizist Ralph Giordano kritisierte Walser als gefährlichen "Provokateur". Dagegen stärkte der Verband deutscher Schriftsteller dem Autor den Rücken. VS-Vorsitzender Fred Breinersdorfer forderte Schirrmacher auf, "die Diskussion zu versachlichen, auf Walser zuzugehen und sich zu entschuldigen". Indessen wurde bekannt, dass Walser am Sonntag in Waldshut als "poetischer Chronist" und "brillanter Epiker" mit dem Alemannischen Literaturpreis 2002 ausgezeichnet werden soll.
Walser hielt Schirrmacher vor, er halte von ihm verwendete Worte wie "Herabsetzungslust" und "Verneinungskraft" für etwas typisch Jüdisches. "Solche Wörter für eine jüdische Spezialität zu halten, bedeutet jedoch, den Sprachgebrauch des Nazi-Reichs zu übernehmen", fügte Walser hinzu. Schirrmacher betreibe "miese Philologie", sagte Walser: "Man könnte das statt antisemitisch auch einfach dumm nennen."
Giordano zeigte sich besorgt. In Deutschland geschähen derzeit dauernd Dinge, die Antisemitismus provozierten, sagte er. Walser müsse sich "selbst dafür verantwortlich machen, dass ihm möglicherweise auch falsche Bundesgenossen auf die Schulter klopfen". Er halte Walser für einen "zeitgenössischen Provokateur", der ausspreche, was sich andere nicht trauten. Es müsse bedacht werden, was damit in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland angerichtet werde.
Breinersdorfer betonte dagegen: "Die Freiheit des Autors, auch in Grenzen zwischen Politik und Moral vorzudringen, muss unantastbar sein." Der VS-Vorsitzende warf Schirrmacher einen "öffentlichen Überfall" auf Walser vor. Auch und gerade zum Schutz von Marcel Reich-Ranicki, der das Vorbild für den Kritiker Andre Ehrl-König in Walsers Roman ist, und von Juden, die sich nun möglicherweise angegriffen fühlen, wäre ein anderer Umgang unter Intellektuellen notwendig gewesen, fügte der VS-Vorsitzende hinzu.
Kunert sagte, Walser sehe sich "permanent als Opfer des bösen Juden Reich-Ranicki". Da sei auch kein Versehen und keine Fahrlässigkeit im Spiel, das sei vielmehr eine "konsequente Entwicklung". Kritiker Hellmuth Karasek, der mit Reich-Ranicki gemeinsam im "Literarischen Quartett" wirkte, betonte, er halte Schirrmachers Vorwürfe im wesentlichen Punkt für berechtigt. Das Buch werde zum "üblen Pamphlet" durch die "ungezügelte Mordlust", die es beherrscht. Diese wirke "wie eine Wiederholung der Mordlust, mit der Reich-Ranicki als Jude von den Nazis verfolgt wurde".
Cornelia Krüger
Breinersdorfer: Schirrmacher soll sich bei Walser entschuldigen
München (ddp). Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) stärkt dem Autor Martin Walser den Rücken. "Die Freiheit des Autors, auch in Grenzen zwischen Politik und Moral vorzudringen, muss unantastbar sein", sagte VS-Vorsitzender Fred Breinersdorfer in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur ddp am Freitag in München.
Dem Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ), Frank Schirrmacher, warf Breinersdorfer einen "öffentlichen Überfall" auf Walser vor. Damit habe er bewusst "eine solch aufgeheizte Debatte" angezettelt. Der VS-Vorsitzende forderte Schirrmacher auf, "die Diskussion zu versachlichen, auf Walser zuzugehen und sich zu entschuldigen".
Wenn es Schirrmacher nur um den Text und die Sache gegangen wäre, hätte er "zum Telefonhörer greifen, Verlag und Autor anrufen sollen, statt seine Bedenken gegen das Buch in einem öffentlichen Brief zu formulieren", sagte Breinersdorfer. Schirrmacher hatte einen Vorabdruck des Romans "Tod eines Kritikers" in der FAZ mit der Begründung abgelehnt, das Buch spiele mit dem "Repertoire antisemitischer Klischees".
Diese Vorgehensweise sei "in mehrfacher Weise unfair", betonte Breinersdorfer. Auch und gerade zum Schutz von Marcel Reich-Ranicki, der das Vorbild für den Kritiker Andre Ehrl-König in Walsers Roman ist, und von Juden, die sich nun möglicherweise angegriffen fühlen, wäre ein anderer Umgang unter Intellektuellen notwendig gewesen, fügte der VS-Vorsitzende hinzu.
Mit Blick auf die Antisemitismus-Vorwürfe sagte Breinersdorfer, der selbst Jurist und Drehbuchautor ist, es sei "höchst problematisch", einem Autor zu unterstellen, er identifiziere sich mit der Meinung seiner literarischen Figuren. "Das würde bedeuten: Wer über Kinderschänder schreibt, billigt was sie sagen und tun."
Alemannischer Literaturpreis 2002 für Martin Walser
Waldshut-Tiengen (ddp). Martin Walser bekommt am Sonntag in Waldshut den Alemannischen Literaturpreis 2002. Der am Bodensee lebende Schriftsteller erhält die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung aus Anlass seines diesjährigen 75. Geburtstages. Nach Angaben der Jury wird mit Walser ein "poetischer Chronist" und "brillanter Epiker des alemannischen Raums" geehrt. Die Laudatio hält der Freiburger Autor Karl-Heinz Ott.
Der Alemannische Literaturpreis wird alle drei Jahre für Autoren aus dem alemannischen Sprachraum einschließlich Vorarlberg, der deutschen Schweiz und dem Elsass ausgeschrieben. Preisstifter sind die Stadt Waldshut-Tiengen, der "Südkurier", die "Aargauer Zeitung" und die "Badische Zeitung". Bisherige Preisträger seit 1981 waren Ernst Burren, Maria Beig, Manfred Bosch, Franz Hohler, Markus Werner, Robert Schneider, Hermann Kinder und Arnold Stadler.
Die Preisverleihung findet am Sonntag um 17.00 Uhr in der Sparkasse Hochrhein in Waldshut satt.
Koeppen-Preis geht an Berliner Autorin Susanne Riedel
Greifswald (ddp-nrd). Die Berliner Schriftstellerin Susanne Riedel ist neue Trägerin des Wolfgang-Koeppen-Literaturpreises der Hansestadt Greifswald. Mit der Auszeichnung werde das lyrische Werk der 1959 im westfälischen Unna geborenen Autorin geehrt, teilte die Stadtverwaltung am Freitag mit. Riedel war vom vorherigen Koeppen-Preisträger, Thomas Lehr, vorgeschlagen worden. Sie verstehe es, mit einer präzise gearbeiteten Sprache voll lyrischer Überraschungen auf "die Banalität des Blöden und die Trivialität des Trostlosen" zu reagieren, begründete Lehr seine Wahl. Der Preis wird Riedel am 21. Juni in Greifswald verliehen.
Susanne Riedels erster Roman "Kains Töchter" war im Jahr 2000 erschienen. Für einen Auszug aus "Die Endlichkeit des Lichts" war sie vor zwei Jahren mit dem Jury-Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs geehrt worden. Mit dem Koeppen-Preis zeichnet die Geburtsstadt von Wolfgang Koeppen (1906-1996) seit 1998 alle zwei Jahre junge Autoren aus.
Bernhard Schlink zum Ritter der Ehrenlegion ernannt
Der Berliner Schriftsteller Bernhard Schlink ist mit dem französischen Orden eines Ritters der Ehrenlegion ausgezeichnet worden. Wie die französische Botschaft mitteilte, ehrt Frankreich mit Schlink eine herausragende Persönlichkeit des geistigen und kulturellen Lebens Deutschlands mit seinem höchsten nationalen Orden. Botschafter Martin begründete die Ehrung, Schlinks schriftstellerisches Können und die philosophische Dimension seines Denkens bestätigten den Rang des Autors, der heute zu den großen Schriftstellern der deutschen Gegenwartsliteratur zähle. Schlinks Roman "Der Vorleser" (weitere Bücher: Liebesfluchten, Selbs Betrug, Selbs Justiz, Selbs Mord) war in Frankreich äußerst erfolgreich. Der Erfolg zeige, so Martin, "dass unsere Landsleute verstanden haben, dass die von Ihnen gestellten Fragen jeden von uns berühren".