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17.5.: theater und literatur aktuell +++ theater und literatur

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Zeitung: Frankfurter TAT-Theater vor dem Aus +++ "Ausnahmezustand" am Theater Basel +++ Uraufführung für "Die Nacht des schlaflosen Kellners" +++ Zittauer Theater feiert 200. Geburtstag +++ Brechts "Heilige Johanna der Schlachthöfe" an der Berliner Schaubühne +++ Sorbisches Ensemble feiert 50. Geburtstag +++ "perspectives" zeigen deutsch-französisches Spitzentheater

Zeitung: Frankfurter TAT-Theater vor dem Aus
Frankfurt/Main (ddp-swe). Die Finanzkrise der Stadt Frankfurt am Main erreicht offenbar das experimentelle Frankfurter Sprechtheater TAT. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) am Freitag berichtete, droht der Bühne als vierter eigenständiger Sparte der Städtischen Bühnen neben Oper, Schauspiel und Ballett das Aus. Die künstlerischen TAT-Leiter Tom Kühnel und Robert Schuster, deren Verträge noch bis Mitte 2004 laufen, sollen nach FAZ-Informationen ab 2003 nicht mehr in der TAT-Spielstätte Bockenheimer Depot inszenieren. Statt dessen solle es Gastspiele geben, das TAT mithin dem Ballett einverleibt werden. Hintergrund ist laut FAZ offenbar eine Absprache zwischen Kulturdezernent Hans-Bernhard Nordhoff (SPD) und dem Intendanten von TAT und Ballett, William Forsythe. Die Hoffnungen auf Einsparungen im Bühnenetat beliefen sich auf Summen zwischen 500 000 und 1,5 Millionen Euro, hieß es.
TAT-Dramaturg Bernd Stegemann sagte der FAZ, er wisse nichts von Schließungsplänen, bestätigte aber zugleich, dass es keine Pläne für Inszenierungen von Kühnel und Schuster im kommenden Jahr gebe.
Die Städtischen Bühnen stehen angesichts der angespannten Finanzlage der Stadt seit Monaten unter einem Spardruck, der schon wiederholt zu Rücktrittsdrohungen von Intendanten geführt hatte. Noch im laufenden Jahr sollen alle Sparten gegenüber dem Ansatz vom Frühjahr eine Million Euro einsparen, für die kommenden Jahre gibt es bereits weitere Kürzungspläne.

"Ausnahmezustand" am Theater Basel
Basel (ddp). Das Theater Basel ruft in der kommenden Saison den "Ausnahmezustand" aus. Unter diesem Spielzeit-Motto will die Schauspiel-Abteilung das schon sprichwörtliche Schweizer Katastrophenjahr und die Amokläufe der jüngsten Zeit theaterästhetisch zuspitzen. "In Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung blüht das Theater", sagte Chefdramaturg Lars-Ole Walburg am Donnerstag in Basel.
Im Spielplan stechen zwei Großprojekte ins Auge: Stefan Bachmann inszeniert in seiner letzten Saison als Basler Schauspieldirektor "Der seidene Schuh", ein Hauptwerk des französischen Dramatikers und glühenden Katholiken Paul Claudel. Das zweite Großprojekt mit dem Titel "Krieg um Troja" wird von Bachmanns designiertem Nachfolger Lars-Ole Walburg geleitet. Der Regisseur koppelt zwei Stücke von Euripides, "Iphigenie in Aulis" und "Die Troerinnen". "Diese archaischen Stücke hinterfragen die Kriegswirklichkeit, ohne platt zu aktualisieren", sagt Walburg. Beide Projekte zielen auf "eine absichtliche Überforderung" des Publikums.

Uraufführung für "Die Nacht des schlaflosen Kellners"
Oldenburg (ddp-nrd). Das Oldenburgische Staatstheater ist am Freitag der Schauplatz für die Uraufführung des Stücks "Die Nacht des schlaflosen Kellners". Der poetischen Geschichte des rumänischen Autors Gerhard Ortinau liegt ein authentischer Bericht zugrunde, wie das Staatstheater am Donnerstag mitteilte.
Der seit 1980 in Berlin lebende Autor von Prosa, Lyrik und Dramen interessiert sich für die geheimnisvolle Grauzone zwischen Realität und Absturz. So wird Hauptfigur Julia in "Die Nacht des schlaflosen Kellners" von Schuldgefühlen gequält und von Wahnvorstellungen heimgesucht. In der Inszenierung von Daniel Ris bringen die Darsteller Nicola Lembach, Bettina Römer, Henning Kober, Norbert Wendel und Thomas Winter die Geschichte von Julia auf die Bühne.
(Internet www.staatstheater-ol.niedersachsen.de)

Zittauer Theater feiert 200. Geburtstag
Zittau (ddp-lsc). Mit einem Festakt und der Premiere eines Dramas von Gerhart Hauptmann (1862-1946) feiert das Zittauer Theater am 25. Oktober Geburtstag. Genau 200 Jahre nach Eröffnung des Schauspielhauses kommt an diesem Tag "Vor Sonnenaufgang" auf die Bühne. Insgesamt plane das Gerhart-Hauptmann-Theater für die kommende Spielzeit zwölf Neuinszenierungen, sagte Intendant Reinhard May am Freitag in Zittau. Außerdem soll es wieder einen Bühnenball geben.

Brechts "Heilige Johanna der Schlachthöfe" an der Berliner Schaubühne
Berlin (ddp-bln). Zum wirtschaftspolitischen Weltgeschehen vor einem Dreivierteljahrhundert schrieb Bertolt Brecht einen illusionslosen Kommentar: "Als ich vor Jahren bei dem Studium der Vorgänge auf der Weizenbörse Chikagos plötzlich begriff, wie sie dort das Getreide der Welt verwalteten und es zugleich auch nicht begriff und das Buch senkte, wusste ich gleich: Du bist in eine böse Sache geraten." Im Jahr des New Yorker Börsenkrachs, 1929, begann er die "Heilige Johanna der Schlachthöfe" zu schreiben. Der Text wurde eine Abkehr vom expressionistischen Stil seiner Jugendtexte, ein Versuchobjektiver Erfassung der "bösen Sache".
Die Berliner Schaubühne, die sich seit ihrem jugendorientierten Neubeginn ebenfalls der Kritik an dieser "bösen Sache" verschrieben hat, befand das Stück nun für relevant und repertoiretauglich. Tom Kühnel inszenierte, die Premiere war am Donnerstag.
Das Schaubühnenprojekt, koproduziert vom TAT Frankfurt, ist erwartungsgemäß durchdrungen von zeitgenössischer Globalisierungskritik. Aktienkurse laufen ununterbrochen über Bildschirme. Die Bühne besteht aus verschiebbaren Büroparzellen, in denen die Mächtigen zwischen bimmelndem Elektronikequipment Entscheidungen treffen. Gläserne Trennwände werden von den Logos weltbeherrschender Unternehmen verziert. Und dann gibt es die Gegenseite, die der Armen und Arbeitslosen, die der Opfer des Finanzgebahrens der Großen. Diese vegetieren in unterwelt- oder afrikaähnlichen Bedingungen.
Wie kommt es, dass es zuviel Fleisch auf dem Markt gibt, aber die Armen hungern? Die einzige, die eine solche Frage stellt, ist Johanna, eine große Naive. "Ich will es wissen", verkündet sie, erwirbt Einsichten in die Gesetze eines unkontrollierten Marktes, sieht aber auch das Charakterelend der Arbeitslosen, das aus der Armut folgt. Johannas Forschungen über die "böse Sache" ergeben ein Schaukelmodell der Gesellschaft, wobei sich oben und unten immer gegenüberstehen. Für eine Seite entscheiden kann sie sich jedoch nicht, da sie beide Seiten zu gut kennen gelernt hat. Also stirbt sie, während die anderen sich zu einer Überlebens-Konsensgesellschaft zusammenraufen.
Kühnels Übersetzung von Brechts Kapitalismusanalyse in die Gegenwart gelingt nur teilweise. Sicherlich sind die Überlegungen der Mächtigen vom Elend der kleinen Leute heute nicht weniger entkoppelt als am Ende der 20er Jahre. Trotz aller Gegenwartsaufmotzung wirkt Brechts Stück in der Schaubühnenfassung ziemlich historisch. Vor allem mit Johannas Naivität konnte man am Lehniner Platz nichts anfangen. So werden die immer noch nicht gelösten Fragen, die dieses einfache und aufrichtige Mädchen an das "System" zu stellen vermag, gar nicht recht ernst genommen. Wie aber sollen plötzliche Passagen des Pathos überzeugen, wie die Verzweiflung der Figur glaubhaft werden, die sie befällt, nachdem sie Einblick in die Verstrickungen der Wirtschaftspolitik erhalten hat? Auch mit dem Proletariat tat man sich an der Schaubühne schwer - es hat ja auch sein äußeres Erscheinungsbild in den Jahrzehnten gründlich verändert. Für welches Elend die verwendeten Puppen stehen, wurde nicht so recht klar. Damit wurde aber auch nicht geklärt, für wen diese Johanna (Anne Tismer) eigentlich vom heimlich geliebten Monopolisten Mauler (Thomas Mehlhorn) lässt, für wen sie letztlich auch Gewalt gutheißt - und für wen sie stirbt. Freundlicher Applaus nach drei recht langen Stunden an der Schaubühne.
Jens Bienioschek

Sorbisches Ensemble feiert 50. Geburtstag
Bautzen (ddp-lsc). Mit der Uraufführung des folkloristischen Tanztheaters "Pocasy Jahreszeiten" beginnen am Samstag in Bautzen die Festtage zum 50-jährigen Bestehen des Sorbischen National-Ensembles. Aus Anlass des Jubiläums sind innerhalb der kommenden zwei Wochen 17 Veranstaltungen in der Lausitz geplant, darunter auch in Crostwitz und Radibor, teilte das Ensemble mit. Zum Abschluss lädt es am 2. Juni zu einem Tag der offenen Tür ins Bautzener Stammhaus ein. Besucher können dann ein Familienprogramm, ein Serenadenkonzert und eine Terrassenparty erleben.
Das Sorbische National-Ensemble war 1952 auf Initiative der Sorbendachorganisation Domowina gegründet wurden. Tourneen führten das folkloristische Reiseunternehmen seitdem in mehr als 30 Länder. Nach eigenen Angaben gibt das Ensemble jährlich 200 nationale und internationale Gastspiele.
(www.sne-bautzen.de)

"perspectives" zeigen deutsch-französisches Spitzentheater
Saarbrücken/Moselle (ddp). Das Saarbrücker Theaterfestival "perspectives" startet heute zu seinem 25. Geburtstag einen Neuanfang. Das einzige Festival, das zeitgenössische französische Theaterstücke und Performances in Deutschland zeigt, streckt 2002 seine Fühler auch nach Frankreich aus. Der neue Kooperationspartner, das Departement Moselle, wird in verschiedenen Orten deutsche Produktionen zeigen. Damit sollen die "perspectives nouvelles" nach dem Willen der Veranstalter das Zusammenwachsen der Grenzregion weiter fördern.
Ein Highlight des Programms ist die Deutsche Erstaufführung von "La Tragédie d\'Hamlet" in der Regie von Starregisseur Peter Brook im Saarbrücker E-Werk. Das Berliner Ensemble zeigt Tom Peukerts Stück "Artaud erinnert sich an Hitler und das Romanische Café". Die Schaubühne in Berlin gastiert mit "Supermarket" in der Regie von Schaubühnenchef Thomas Ostermeier.
Die "perspectives" finden vom 17. bis 25. Mai 2002 in Saarbrücken und Metz sowie in Forbach, Saarguemines und anderen Orten im französischen Departement Moselle statt.
(Internet: www.perspectives-sb.de)