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3.6. theater und literatur aktuell +++ theater und literatur (1)

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Hunderte Erfurter protestieren gegen "Thüringer Theatersterben" +++ Off-Theater-Festival Unidram 2002 in Potsdam eröffnet +++ Uraufführung von Bauersima-Stück "Tattoo" am Düsseldorfer Schauspielhaus +++ "Romeo und Julia" an der Regensburger Schauspielschule

Hunderte Erfurter protestieren gegen "Thüringer Theatersterben"
Erfurt (dpa) - Mehrere hundert Bürger und Schauspieler sind am Samstag in Erfurt für den Neubeginn des ortsansässigen Schauspiels und gegen das "Theatersterben" im Freistaat auf die Straße gegangen. "Das Schauspiel in Erfurt ist wichtig, damit aus dem Land der Dichter und Denker nicht wieder ein Land der Richter und Henker wird", sagte der Schauspieler und Intendant des Neuen Theaters in Halle, Peter Sodann.
Nach einem Beschluss des Stadtrates wird das Erfurter Schauspiel im Juni 2003 als Sparte aufgelöst. Schwerpunkt der Arbeit soll das Musiktheater werden, ergänzt um Gastspiele bei Theater und Ballett. "Die politische Bedeutung des Schauspiels wird dabei verkannt", sagte Sodann. Der als Kommissar Ehrlicher ("Tatort") bekannte Schauspieler bezeichnete es als unfassbar, dass in einem der reichsten Länder der Welt an der Kultur gespart werde. Mit Botschaften wie "Lasst den Vorhang auf" machten viele Demonstranten vor dem Rathaus der Landeshauptstadt gegen das "Thüringer Theatersterben" mobil.
Auch in Nordhausen soll die Sparte Schauspiel zum 31. Juli 2004 wegfallen. Ohne Spartenabbau sei das Theater in seiner Existenz nicht zu sichern, teilte der Aufsichtsrat mit. Die Mitglieder folgten damit einen Vorschlag der Geschäftsleitung des Theaters. Der Nordhäuser Stadtrat muss am 12. Juni über die Schließung der Sparte entscheiden. Bei Schließung sollen bundesweit Schauspielgastspiele eingekauft werden. Die Arbeit des Kinder- und Jugendtheaters sei gesichert.

Off-Theater-Festival Unidram 2002 in Potsdam eröffnet
Potsdam (ddp). Das Osteuropäisch-Deutsche Festival für Off-Theater "Unidram 2002" ist am Sonntag in Potsdam eröffnet worden. Das Festival habe sich in den neun Jahren seines Bestehens zu einer "renommierten Adresse für innovatives und modernes Theater entwickelt", sagte Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) in ihrem Eröffnungsgrußwort. Zugleich sei Unidram ein "herausragender Höhepunkt" im kulturellen Leben der Stadt Potsdam, der weit über die Landes- und Bundesgrenzen hinaus ausstrahle.
An dem bis kommenden Samstag dauernden Festival nehmen freie Gruppen aus Osteuropa und Deutschland sowie Ensembles aus Westeuropa teil, um ungewöhnliche Inszenierungen zu präsentieren. Sie kommen unter anderem aus Russland, Tschechien, Litauen, Slowenien, Ungarn, Kroatien, Polen, Großbritannien und Deutschland. Im Theater-Nacht-Café bietet das Festival die Möglichkeit zu einem intensiven Austausch zwischen Publikum und Theatermachern.

Uraufführung von Bauersima-Stück "Tattoo" am Düsseldorfer Schauspielhaus
Düsseldorf (ddp-nrw). Tiger ist ein hochdotierter Installationskünstler - der weiß, dass er eigentlich alles verkaufen kann. Etwa eine Hamburger-Scheibe, die er an die Wand klatscht und einfach mal mit Schlagsahne einrahmt. Oder der eben seinen eigenen, scheinbar toten Körper auf den Kunstmarkt wirft, den seine Galeristin zu Spitzenpreisen an den Sammler bringen könnte. Mit seinem Stück "Tattoo" lenkt der Schweizer Dramatiker Igor Bauersima mit der Co-Autorin Réjane Desvignes einen ironischen Blick auf die Mechanismen der Kunstproduktion und ihren Verwertungsmöglichkeiten. Am Düsseldorfer Schauspielhaus hat Bauersima die Uraufführung als zeitgeistige Boulevard-Komödie inszeniert, die vom Publikum am Samstag mit einhelligem Beifall aufgenommen wurde.
Igor Bauersima knüpft dabei in "Tattoo" an das Verwirrspiel von Realität und Virtualität an, das er in der vergangenen Spielzeit in seinem Stück "Norway. Today" mit überwältigendem Erfolg in den Mittelpunkt gestellt hatte. Das hatte ihm den Preis des "Nachwuchsdramatiker des Jahres" eingebracht. Doch was in "Norway. Today" zu einem beklemmenden Kammerspiel wurde, ist nun eine grelle, mit Klischees arbeitende Abrechnung mit dem Kunstmarkt. Ins Zentrum stellen Bauersima und Réjane Desvignes das erfolgslose Künstlerpaar Fred und Lea, das noch ganz an das heilige, das unkorrumpierbare Kunstwerk glaubt: Fred arbeitet seit Jahren vergeblich an einem Roman, während Lea sich als Radio-Moderatorin über Wasser halten muss.
Ganz im Gegensatz zu Leas Schwester Naomi. Als Galeristin hat sie mit dem Künstler Tiger eine wahre Gelddruckmaschine unter Vertrag, dem alles aus den Händen gerissen wird. Selbst ein mit Ketchup dekoriertes T-Shirt. Und der jetzt für sein ultimatives Kunstwerk der befreundeten Lea einen Versprechen abringt: Nach seinem Tod soll sie sich um seinen komplett tätowierten Körper kümmern. Tiger inszeniert nur scheinbar seinen Tod; er lässt sich von seinem Verbündeten Alex als Puppe ausstopfen und in eine Glasvitrine in die spärliche Ein-Zimmer-Wohnung von Fred und Lea stellen. Dass die beiden nur für kurze Zeit dem Verkaufswert dieses Unikats widerstehen können, ist ebenso vorauszuahnen wie die Auflösung dieser schwarzen Kömodie: Plötzlich steht der leibhaftige Tiger vor ihnen, der sie zur Rede stellt, um dann im Rausch erschlagen zu werden.
Ist "Tattoo" eher ein oberflächliches Schwarz-Weiß-Stück, das versucht, hintergründig über Simulationen und den Lebensleitsatz "Das Fressen kommt vor der Moral" nachzudenken, wird es von Regisseur Bauersima gleichsam verdoppelt. Schnell können die Klappwände (Bühne: Bauersima) vom beengten Domizil Freds und Leas in ein cooles Loft aufgefaltet werden. Mit großer Videoleinwand und Basketball-Korb, an dem Tiger seine Wurfübungen macht. Und wenn nicht gerade lautstarke Pop-Musik das Schauspieler-Ensemble in einen Melancholie-Taumel versetzt, bleibt es ganz nah an sittsam bekannten Ausdrucksmustern. Markus Haase spielt den Tiger als aufgedrehten Trendsetter, der in Naomi (Eva Spott) eine kultivierte, aber abgebrühte Managerin mit dem entsprechenden Galeristen-Vokabular hat.
Birgit Stöger als Lea und Alexander Ebeert hingegen benötigen nicht mehr als nur eine Handvoll verwaschener Klamotten und einige verträumte Augenaufschläge, um das Bild vom zunächst aufrechten Intellektuellen komplett zu machen. Wie "Tattoo" überhaupt eigentlich nur herkömmliche Bilder und Vorurteile bedient. Weshalb "Tattoo" nicht ins Schauspielhaus, sondern eigentlich ins Boulevardtheater gehört.
Guido Fischer

"Romeo und Julia" an der Regensburger Schauspielschule
Regensburg (ddp-bay). Wenn es leise wird im Probenraum der Regensburger Schauspielschule, weil Romeo und Julia sich küssen und sich flüsternd ihre Liebe gestehen, hört man im Nebenraum das Gebrüll von Capulet, der sich nicht damit abfinden will, dass sich seine Tochter weigert, den Grafen Paris zu ehelichen. Dort sitzt auch Chris Hayes, ein ruhiger Mann um die 60, mit weißem, kurz geschorenem Haar, weißem Bart und einer Brille, durch die er wohlwollend seine Eleven betrachtet. Der ehemalige , als Regisseur eine Koryphäe in der modernen Theaterwelt, ist für vier Wochen nach Regensburg gekommen, um mit der Schauspiel Compagnia Regensburg das Shakespeare\'sche Herz-Schmerz-Stück "Romeo und Julia" einzustudieren.
Hayes hat mit Anthony Hopkins, Dustin Hofmann und Denzel Washington gearbeitet, jetzt arbeitet er mit noch wenig bekannten, angehenden Schauspielern wie Mona Juric, Thomas Jansen und Matthias Winter. An der Regensburger Schauspielschule habe er "mehr künstlerische Freiheit als an großen Bühnen", weil er hier nicht eingeengt werde durch Geldgeber oder unverrückbare Erwartungen des Publikums, sagt Hayes. Gerade bei klassischen Stücken wie jenen Shakespeares bevorzuge er mittlerweile Produktionen mit kleinem Budget. Die Leiterin der Schauspielschule, Maike Fabian, erklärt sich das damit, dass "Chris schon alles Große für sich abgehakt hat und jetzt nach neuen Konzepten sucht".
Das Konzept der Regensburger Schauspielschule sieht vor, dass dieSchüler möglichst früh bereits in Produktionen auf der Bühne stehen. Bei "Romeo und Julia" sind es vier Schüler, die gemeinsam mit zwei Lehrern der Schule und zwei Schauspielern aus München und Freiburg das 24-Personen-Stück bestreiten. Das bedeutet zwangsläufig, dass keiner nur eine Rolle verkörpert, sondern sich innerhalb des Stücks auf einen ständigen Wechsel einlassen muss.
Als das Projekt vor einem Jahr Gestalt annahm, konnten die Schauspieler zum ersten Mal die Arbeitsweise von Hayes erleben: Der Regisseur vergibt keine Figuren, sondern lässt die Mimen in die verschiedensten Rollen schlüpfen - bis sich zeigt, welche Person sie am glaubwürdigsten verkörpern können. Entsprechend sei auch jede Inszenierung für ihn neu, weil "es nicht funktioniert, sich eine klare Vorstellung zu machen, die erfüllt werden muss".
Die Schauspieler sind begeistert von Hayes\' Arbeitsweise. Man spüre einfach die Professionalität, sagt Schulleiterin Fabian. "Wenn alle anderen Panik kriegen" verweise er darauf, was in der verbleibenden Zeit noch alles zu schaffen sei. Und "Julia" respektive Mona Juric begreift den "größten Dramatiker des Abendlandes" seit der Arbeit mit Hayes ganz neu: "Shakespeare gibt ganz genaue Vorgaben im Text, man muss sie nur verstehen lernen." Obwohl das Ensemble die Original-Texte spricht, ist die Handlung in die Jetzt-Zeit übertragen. Es geht um "reiche Kiddies, die aus Langeweile nur Mist bauen - Romeo und Julia setzen sich davon ab und trauen sich, etwas Ehrliches zu beginnen, nämlich die Liebe".
"Romeo und Julia" wird am 1., 2., 7. und 8. Juni in der Regensburger Galerie "Leerer Beutel" gezeigt, anschließend im Theater an der Rott in Eggenfelden.
Nicole Ruby
Internet: www.schauspielschule-regensburg.de